Herr Kovic, Sie hatten die Reportage von Marcel Gyr in der Neuen Zürcher Zeitung kritisiert. Gyr geht darin der Theorie nach, ob Sars-CoV-2 aus einem chinesischen Labor stammt und durch einen Unfall entwischen konnte (persoenlich.com berichtete). Was gefällt Ihnen daran nicht?
Die Reportage habe ich grundsätzlich als gut und willkommen empfunden. Bei diesem Thema gibt es leider einige lächerliche Verschwörungstheorien. Dieser Text der NZZ war aber auf einem anderen Level. Man versuchte zu rekonstruieren, was hätte passieren können. Was ich schlecht fand: Die wissenschaftliche Seite wurde komplett ignoriert. Stattdessen hat der Autor eine spannende Geschichte, einen Thriller oder Krimi, erzählt, der die wissenschaftliche Faktenlage ignoriert. Und das geht nicht.
Gyr hat sich in seinem Artikel auf Aussagen der WHO oder der US-Regierung, sowohl von Donald Trump als auch jene von Joe Biden, gestützt, dass man dies untersuchen müsste. Sie kritisieren aber nicht, dass Tageszeitungen grundsätzlich über solche Theorien oder Gerüchte berichten?
Überhaupt nicht. Die Prämisse des Artikels ist durchaus plausibel. Die chinesische Regierung hat gerade zu Anfang der Pandemie vieles verschwiegen und zeigt sich auch jetzt nicht wirklich kooperativ. China nutzt die Pandemie für einen riesigen Propagandafeldzug. Daher ist es nicht unplausibel zu fragen: Wissen wir denn, was im Detail passiert ist? Die Frage ist, wie man vorgeht. Ist man ergebnisoffen und hält man sich an die Fakten? Oder hat man die Story im Hinterkopf, wonach irgendwelche düsteren Dinge im Hintergrund abgelaufen sein müssen, so dass man sich nur auf solche Hinweise stützt?
«Er sagte: ‹Die Leute wissen ja schon, wer Steve Bannon ist›»
Überraschte es Sie, dass so ein Text bei der NZZ publiziert wurde?
Ehrlich gesagt, nein. Damit will die Zeitung wohl ein Publikum ansprechen, das sowieso schon affin für Ansichten ist, die den wissenschaftlichen «Mainstream» zur Corona-Pandemie hinterfragen. Dies habe ich auch mit Marcel Gyr besprochen, mit dem ich nach dem Erscheinen meines Textes Kontakt hatte. Unter anderem hatte ich ihn ja beschuldigt, Informationen einer Fake-News-Seite – jener der rechtskonservativen Website Breitbart – in dem Text zu verbreiten und sogar zu verlinken. Dazu sagte er: «Die Leute wissen ja schon, wer Steve Bannon ist.» Da habe ich ihm gesagt, solche Dinge müsse man kontextualisieren, das sei schliesslich sein Job als Journalist. Am nächsten Tag war der Link im Artikel verschwunden und ein Verweis zu sehen, der die Website als Propagandaseite bezeichnete.
Das hört sich heikel an.
Ich finde schlecht, dass wir zuerst über solche Dinge streiten mussten, statt dass man selber auf die Idee kommt, besser zu recherchieren und den Text in einen Kontext zu setzen.
Wer in der Reportage am schlechtesten wegkommt, ist die chinesische Regierung. Diese hat in den meisten europäischen und nordamerikanischen Medien ebenfalls einen schlechten Ruf. Reitet die NZZ auf einer Propaganda-Welle gegen China?
So weit würde ich nicht gehen, zu behaupten, dass die NZZ instrumentalisiert wurde. Die Zeitung hat die Theorie zu wenig kritisch aufgegriffen, weil sie die Wissenschaft ignoriert hat. Es ging also mehr um schlechten Journalismus statt um etwas anderes.
«Wenn man Verschwörungstheorien thematisiert, hat dies negative Effekte auf gewisse Leute»
Sie hatten es erwähnt, der Autor des Textes selber kam auf Sie zu. Gab es sonst noch andere Reaktionen?
Nein, ausser ein paar Kommentaren bei der Medienwoche gab es nichts.
Erstaunte Sie das? Eigentlich müsste man doch meinen, bei der Veröffentlichung von solch einem Vorgehen eines Journalisten müsste doch allgemeine Empörung herrschen.
Einerseits denke ich, dass viele des NZZ-Publikums es begrüssen, dass die Zeitung solchen Theorien nachgeht, und dies beklatschen. Andere, die dies nicht gut fanden, entschieden sich wahrscheinlich dazu, den Text totzuschweigen, um dem Thema nicht noch mehr Aufmerksamkeit zu generieren. Schliesslich ist das Thema nicht ganz rational.
Ist das ein Problem von Medien? Wenn diese über Theorien oder Gerüchte von Verschwörungen berichten, dass umso mehr Leute an diese glauben?
In diesem Fall würde ich nicht sagen, dass der Text der NZZ sich um eine Verschwörungstheorie dreht. Dafür bräuchte es noch weitere Punkte. Was die NZZ gemacht hat, ist halbwegs gut: Ergebnissoffen schauen, was spricht für diese These. Nur die Art und Weise war eben zu wenig kritisch und faktenorientiert. Bei Verschwörungstheorien selber wäre es aber hochproblematisch, wenn man eine Bühne dafür böte. Denn so würde sich diese Theorie vervielfältigen. Das ist ein allgemeines Dilemma: Wenn man Verschwörungstheorien thematisiert, hat dies negative Effekte auf gewisse Leute.
Dazu habe ich eine kurze Recherche gemacht. In den letzten zehn Jahren hat sich die Berichterstattung von ausgewählten Tageszeitungen zu Artikeln mit dem Schlagwort «Verschwörungstheorien» jedes Jahr erhöht, um sich im Jahr 2020 schliesslich zu vervielfachen. Dieser Anstieg letztes Jahr hat wohl mit den Demonstrationen von Corona-Skeptikern zu tun. Dies zeigt, dass viele Leute solche Theorien beschäftigen und die Medien dies auch thematisieren.
Vielleicht muss ich mich korrigieren. Ich sage nicht, dass die Medien nicht über solche Theorien berichten sollten. Das Dilemma ist, wie man darüber berichtet, so dass der Schaden nicht grösser ist als der Nutzen. Die Forschung hat eben gezeigt, dass «falsche» Berichterstattung über Verschwörungstheorien zu noch mehr Anhängern führt.
Können Sie ein Beispiel machen?
Nehmen wir QAnon. Diese Verschwörungstheorie wurde 2020 sehr bekannt. Leute, die noch nie davon gehört haben, lesen etwas von pädophilen Demokraten oder «Deep-State»-Menschen, «die Juden», die irgendwie etwas machen. Dies bleibt hängen in den Köpfen. Und die Forschung zeigt, wie wichtig es ist, inwiefern man solche Themen verpackt. Da sehe ich Verbesserungspotenzial bei uns in den Medien.
«Es braucht Engagement und Ressourcen, um solche Studien zu verstehen»
Trotzdem zeigt sich in der Praxis, dass es für die Journalistin oder den Journalisten nicht einfach ist, sich auf «die Wissenschaft» abzustützen. Es gibt ja innerhalb verschiedener Felder verschiedene Perspektiven auf Dinge. So ist eine ausgewogene Berichterstattung eine Herausforderung für Medienschaffende.
Ausgewogenheit ist ein falsches Ideal. Wenn man sich die Literatur über die Herkunft von Sars-CoV-2 anschaut, merkt man, dass gar keine Debatte herrscht: In der relevanten Forschung spricht alles dafür, dass das Virus natürlichen Ursprungs ist. Es gibt es in diesem Fall also gar keine «zweite Seite». Daher ist es meiner Meinung nach die Pflicht des Journalismus, diesen Fakt widerzugeben und nicht mit dieser journalistischen Daumenregel zu argumentieren. Aber klar, die Arbeit der Medienschaffenden ist nicht einfach. Es braucht Engagement und Ressourcen, um solche Studien zu verstehen. Wenn man dies nicht investieren will, dann soll man auch nicht Journalismus machen.
Sehen Sie hier den Abbau von Wissenschaftsjournalistinnen und -journalisten auf Schweizer Redaktionen ursächlich?
Das ist die unsichtbare Tragödie in der Medienlandschaft – in der Schweiz wie auch international: Wissenschaftsressorts werden systematisch abgebaut. Politik und Sport werden stärker priorisiert, da dies mehr Klicks generiert. So geht das Verständnis für die Wissenschaft immer mehr verloren. Das ist fatal. Das führt dazu, dass Journalistinnen und Journalisten wie gesagt einfach «beide Seiten» zu Wort kommen lassen, da sie selber nicht viel von der Materie verstehen. Die führen dann diese Binsenweisheit an, dass es eben auch in der Wissenschaft verschiedene Perspektiven gibt.
«Mittlerweile habe ich etwas resigniert»
Letztes Jahr ist viel passiert. Die Pandemie verändert viele Felder innerhalb unserer Gesellschaft. Verschwörungstheorien nehmen mehr Platz ein in der Berichterstattung von seriösen Medien. Wie optimistisch blicken Sie in die Zukunft?
Am Anfang der Pandemie hatte ich optimistisch gedacht, dass die Medien zuerst ins kalte Wasser springen müssen und dann zur Besinnung kommen. Dies, insofern sie mit Verschwörungstheorien in Kontakt kommen und nach Konsultation von entsprechender Literatur eine gute Berichterstattung vornehmen werden. Ich hatte auch selber zeitweise Medienschaffenden Studien geschickt, was man hierbei beachten sollte.
Beispielsweise?
Wenn es um eine Aussage einer Verschwörungstheorie geht, sollte man dies nicht einfach so stehen lassen, sondern zeigen, was die Fakten sind, dann die Verschwörungsbehauptung thematisieren und schliesslich nochmals die Wahrheit aufzeigen.
Ihr Fazit?
Mittlerweile habe ich etwas resigniert. Die starken journalistischen Routinen mit anderen Logiken und Herangehensweisen zu durchbrechen, ist offenbar recht schwierig. Hier bin ich etwas enttäuscht. In meiner Wahrnehmung hat ein Learning nur bedingt stattgefunden.
Marcel Gyr hat zu den Vorwürfen von Marko Kovic gegenüber persoenlich.com folgendermassen Stellung genommen:
«Die Wissenschaft ist sich nicht derart einig, wie das Herr Kovic darstellt. In der Washington Post beispielsweise (auch im Walls Street Journal) wird die Möglichkeit eines Laborunfalls seit Wochen und Monaten offen debattiert. Auch CNN führt Interviews mit Leuten, die davon ausgehen, Sars-CoV-2 sei durch einen Unfall in Wuhan in die Welt gesetzt worden (z.B. Robert Redfield, immerhin selber Virologe und Ex-Chef der US-Gesundheitsbehörde).
Noch wichtiger ist mir folgende Feststellung von Herrn Kovic, die er in der Medienwoche geschrieben hat: ‹Die Frage, ob Sars-Cov-2 aus einem Labor stammt, ist ebenso wichtig wie berechtigt und lässt sich nicht einfach so als Verschwörungstheorie abtun.› Herr Kovic gilt als Experte für Verschwörungstheorien, deshalb ist mir diese Feststellung wichtig.»
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