10.07.2001

"Der Chefredaktoren-Job bei 20 Minuten ist einer der interessantesten in der Medienszene"

Markus Eisenhut (Bild) übernimmt die publizistische Gesamtverantwortung für das in Zürich, Bern und Basel erscheinende Pendlerblatt 20 Minuten. Er wird sein Amt am 1. Oktober 2001 antreten. Im Interview mit "persoenlich.com" spricht der designierte Chefredaktor über die eingeschlagene Strategie der Vernetzung von Print und Web, den Konkurrenzkampf unter den Tageszeitungen und den Preis für den Chefredaktoren-Stuhl. Das Interview:
"Der Chefredaktoren-Job bei 20 Minuten ist einer der interessantesten in der Medienszene"

Herzliche Gratulation zu Ihrer neuen Funktion. Was wird nun anders bei 20 Minuten?

20 Minuten ist mit der Multimedia-Strategie sehr erfolgreich, was auch die neuesten Leser-Zahlen zeigen. Jetzt geht es vor allem einmal darum, den eingeschlagenen Weg zu optimieren. Wie das im Detail aussehen wird, will ich hier noch nicht sagen. Erst einmal möchte ich mich mit der Redaktion kurzschliessen, da ich nicht weiss, in wieweit diese schon informiert ist.

Sie haben es angetönt: Die Vernetzung von Print und Web ist bei 20 Minuten Programm...

Wobei die Möglichkeiten der Vernetzung meines Erachtens noch viel zu wenig konsequent genutzt werden. Ich glaube aber ganz stark an diese Strategie und werde sie daher in Zukunft noch forcieren. Mehr dazu kann ich zum jetzigen Zeitpunkt nicht sagen.

Urs Weber, erster Chefredaktor von 20 Minuten, verstarb unerwartet, und sein designierter Nachfolger Danni Härry wurde einen Tag vor Stellenantritt vom Verwaltungsrat wieder ausgeladen. Sie übernehmen kein leichtes Erbe...

Das sehe ich absolut anders. Ich kenne einen grossen Teil der Leute, die bei 20 Minuten arbeiten, ich bin vertraut mit den Strategien des Blattes, seinen Machern. Und schliesslich war die Redaktionsleitung in die Evaluation, die sich über zwei Monate hingezogen hat, mit einbezogen. So gesehen fühle ich mich wirklich gestützt. Was mir vor allem gestern bei der Information der Redaktion stark zu schaffen gemacht hat, ist, dass ich jetzt dort bin, wo mit Urs Weber ein guter Kollege von mir ein grosses Loch hinterlassen hat. So gesehen ist das ein sehr ambivalentes Gefühl: Auf der einen Seite freue ich riesig auf meine neue Stelle, auf der anderen Seite ist da dieser Verlust. Die Sache mit Danni Härry war tatsächlich sehr unglücklich, und zwar für beide Seiten...

20 Minuten, Metropol, Zürich-Express, Basler Stab: Es wurde immer wieder gesagt, dass der Markt nicht mehr als zwei Gratis-Zeitungen tragen könne. Nun sind es Titel wie Blick oder auch Tages-Anzeiger, die an Lesern verlieren. Wie wird sich der Markt Ihrer Meinung nach entwickeln?

Ich bin sicher, dass sich das Konzept von 20 Minuten durchsetzen wird. Immerhin hat der Titel innerhalb von nur eineinhalb Jahren eine halbe Millionen Leser gewonnen. Meines Erachtens wird es einerseits eine Konzentration auf Hintergrundzeitungen geben, andererseits auf Schnelllese-Blätter wie 20 Minuten. Das Lesersegment von 20 Minuten umfasst sehr viel junge Leser, während die etablierten Titel oft ältere Leser haben. Und die werden – so hart das jetzt tönt – eines Tages wegsterben.

Sie wechseln von einem renommierten Blatt mit vielen Eigenleistungen zu einem Titel, von dem es in der Branche heisst, er setze auf gekürzte Agentur-Meldungen. Ist das der Preis für den Chefredaktoren-Stuhl?

Letztlich vielleicht schon, wobei ich den Stellenwechsel als grosse Chance sehe. Das Konzept von 20 Minuten ist die Zukunft. Und es ist nicht so, dass wir nur sda-Meldungen übernehmen – auch 20 Minuten bringt seine eigenen Geschichten, wenn auch sicherlich nicht im Stil und mit dem Aufwand eines Tages-Anzeigers. Da sind 80 hauptsächlich junge Leute, die voller Lust und Elan sind, eine gute Zeitung zu machen. Und da ist die Verquickung von Print und Web – ich glaube, dass alles macht den Job eines Chefredaktors von 20 Minuten zu einem der momentan interessantesten in der Medienszene Schweiz. Der Tages-Anzeiger ist eine, grosse renommierte Zeitung, aber auch das kann seine Nachteile haben.

Werden Sie Tagi-Journalisten mit abziehen?

Erst einmal muss ich sehen, welche Stellen bei 20 Minuten offen sind, was für Leute wir noch brauchen könnten. Ich glaube aber eher nein. Ein Tages-Anzeiger-Journalist, ein Tages-Anzeiger-Autor wechselt nicht einfach so zu einem Titel wie 20 Minuten.

Wer wird Ihr Nachfolger beim Tages-Anzeiger?

Der Redaktion steht eine Strukturänderung bevor, mit der Folge, dass es meinen Job als Chef vom Dienst in dieser Form wohl nicht mehr geben wird. Abgesehen davon hat der Titel sowieso nicht zu dem gepasst, was ich letztlich gemacht habe. Mit der Ankündigung von gestern, bei 20 Minuten einzusteigen, habe ich meine Vorgesetzten wohl tatsächlich auf dem linken Fuss erwischt. Andererseits habe ich schon öfters kommuniziert, dass mir der Job beim Tagi in der Form nicht wirklich gefallen hat und ich ihn wohl nicht noch viel länger gemacht hätte. Der Tages-Anzeiger ist aber ein interessantes Blatt, und so gesehen wird es kaum ein Problem sein, einen Nachfolger - in welcher Form auch immer - für mich zu finden.



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