06.02.2019

Zwingli

«Der Rohschnitt ist für mich immer ein Schock»

Simone Schmid hat das Drehbuch für den «Zwingli»-Film geschrieben. Im Gespräch erzählt die frühere Journalistin, wie sie in dieser Zeit mit Nähe und Distanz haderte. Zudem sagt sie, was ein gutes Drehbuch ausmacht und warum die Schweiz punkto Dramaserien hinterherhinkt.
Zwingli: «Der Rohschnitt ist für mich immer ein Schock»
«Ich hatte immer eine Geschichtenmaschine im Kopf»: Die Drehbuchautorin Simone Schmid. (Bild: zVg.)
von Michèle Widmer

Frau Schmid*, über 100’000 Besucher lockte «Zwingli» bisher in die Kinos (persoenlich.com berichtete). Zahlt sich das für Sie als Drehbuchautorin aus?
Der Kinoerfolg freut mich auch aus finanzieller Sicht. Generiert ein Film mehr als 10’000 Eintritte, erhalten die Macher über das Förderinstrument Succès Cinéma einen Bonus. Die Auszahlung erfolgt nicht in Geld, sondern als Guthaben für ein neues Filmprojekt. Mich freut das besonders, da das Team auf einen Teil des Honorars verzichtet hat, damit der Film überhaupt realisiert werden konnte.

Fast fünf Jahre lang haben Sie sich mit der Figur Zwingli befasst. Wie muss man sich Ihre Arbeit vorstellen?
Ich war in dieser Zeit natürlich nicht immer zu 100 Prozent mit diesem Stoff beschäftigt. Zuerst habe ich ein Exposé verfasst, worin ich meinen Fokus beim Erzählen festhielt. Bei Zwingli interessierte mich vor allem sein Aufstieg und Fall sowie die Beziehung zu seiner Frau Anna. Danach folgen die Treatments, worin ich auf etwa 20 Seiten mehr ins Detail ging. Hier ging es darum, wie soll der Film aufgebaut sein, welche Figuren kommen vor und welche Charaktereigenschaften haben sie? Erst danach kam es zur ersten Fassung des Drehbuchs. Schritt für Schritt arbeiteten wir uns im Team um Regisseur und Co-Autor Stefan Haupt und Produzentin Anne Walser an die Endversion heran. Bei «Zwingli» gab es insgesamt 15 Drehbuchfassungen. Wobei die Änderungen am Anfang natürlich grösser waren, als gegen den Schluss hin.

Der Film basiert auf wahren Begebenheiten. Wie viele Fakten stecken drin, wie viel Fiktion?
Der Film ist eine Projektion von heute auf die damalige Zeit. In gewisser Weise ist also alles Fiktion. In Bezug auf die Fakten haben wir nichts dazuerzählt. Die Fiktionalisierung basiert mehr auf dem Weglassen von Stoff. Wir mussten Zwinglis zwölf Jahre in Zürich auf zwei Stunden herunterbrechen. Interpretiert haben wir auch bei den Charakteren der Figuren. Zwingli und Annas Mutter beispielsweise sind im Film Gegenspieler. Ob das so war, wissen wir nicht. Allerdings wissen wir, dass Annas Mutter in ihrem Wirtshaus Altartafeln gehortet hat, was vielleicht darauf hindeutet, dass sie den alten Glauben nicht ganz loslassen wollte.

«In einem Drehbuch schwingt so viel zwischen den Zeilen mit»

Lange haben Sie sich mit den Charakteren und der Geschichte auseinandergesetzt. Wie fühlt es sich an, das fertige Drehbuch am Schluss in die Hände der Regie und der Schauspieler zu übergeben?
Loslassen ist zentral beim Drehbuchschreiben. Es bleibt einem gar nichts anderes übrig, wenn man nur schreibt und nicht auch die Regie macht. Kommunikation ist diesbezüglich sehr wichtig. In einem Drehbuch schwingt so viel zwischen den Zeilen mit. Aber wenn alle dieselbe Vision teilen, bin ich überzeugt, dass viele Köpfe mehr können als einer allein. Bei «Zwingli» war das übrigens sehr speziell. Als ich die Szenen mit der Ausstattung von damals sah, war ich überwältigt. Das war mehr, als ich mir nach meiner eigenen Recherche zu den einzelnen Figuren vorstellen konnte.

Wann haben Sie den Film zum ersten Mal gesehen?
Das war im Zürcher Kino Riff Raff in einer kleinen Runde noch vor der definitiven Fertigstellung. Der Rohschnitt ist für mich immer ein Schock. Es zeigt, wie diffizil es ist, beim Publikum Emotionen auszulösen. Der Schnitt und die Tonmischung sind enorm wichtig. Ich bin sehr selbstkritisch und es fiel mir schwer in die Zuschauerrolle zu gehen und mich verführen zu lassen. Den fertigen Film habe ich dann fast allein in einem Kino mit den Musikern gesehen. Das war toll.

«Das Drehbuchschreiben hat mich verändert»

Wie sind Sie zum Drehbuchschreiben gekommen?
Ich hatte immer eine Geschichtenmaschine im Kopf. Immer, wenn ich etwas Luft hatte, sind mir Ideen gekommen für Geschichten und Figuren. Damit habe ich dann jeweils mein Notizbüchlein gefüllt. Ich war aber je länger je mehr frustriert, weil ich damit nichts gemacht habe. Also habe ich Kurzgeschichten geschrieben. Das literarische Schreiben mit all seinen Möglichkeiten sich auszudrücken, hat mich aber eingeschüchtert. Als ich dann einen Kurs zum Drehbuchschreiben bei der Migros Klubschule besucht habe, merkte ich, dass mir das extrem liegt. Beim Drehbuchschreiben ist man formal stark limitiert, die Konzentration liegt bei der Geschichte und den Figuren. Für mich war diese Limitierung eine Befreiung.

Sie haben acht Jahre bei der «NZZ am Sonntag» und beim «Tages-Anzeiger» gearbeitet. Warum haben Sie den Job als Journalistin aufgegeben?
Als ich das Angebot bekam, im Writers Room des «Bestatters» mitzuschreiben, arbeitete ich beim «Tages-Anzeiger». Ich dachte immer, dass ich beide Jobs parallel machen kann. Dann hat es mich aber fast zerrissen. Das Drehbuchschreiben hat mich verändert. Als Journalistin war es wichtig, Distanz zu haben und objektiv zu bleiben. Als Drehbuchautorin wollte ich Themen und Leute an mich heran und in mich hinein lassen. Ich spürte, ich möchte subjektiver sein und Geschichten aus meiner Warte erzählen können.

Sie konnten zu wenig tief in Themen eintauchen?
Das Tempo im heutigen Journalismus hat sicherlich auch eine Rolle gespielt. Wenn ich nach bestem Wissen und Gewissen aus dem Tag heraus einen Kommentar schreiben musste, hat mich das gestresst. Ich bin sehr perfektionistisch und daran habe ich in dieser Zeit gelitten. Der Wechsel in die Fiktion fühlte sich dann wie eine grosse Befreiung an. Obwohl ich noch immer viel recherchiere, fühle ich mich beim Schreiben nicht mehr einer faktischen Wahrheit verpflichtet, sondern der subjektiven Wahrhaftigkeit.

Welche Parallelen gibt es bei den beiden Jobs?
Die Recherchearbeit ist sicherlich sehr ähnlich – Literaturstudium, Expertengespräche und Originalquellen. Beim Schreiben kommt die Reportage in der klassischen Form sehr nahe ans Drehbuchschreiben heran.

Sie unterrichten Drehbuchschreiben am MAZ. Was macht ein gutes Drehbuch aus?
Da gibt es verschiedene Elemente. Sehr wichtig ist die Struktur. Wie entsteht ein Sog, der eine Identifikation mit der Hauptfigur entstehen lässt? Wichtig ist auch, wie interessant die einzelnen Szenen aufgebaut sind. Oftmals geht es hier auch um Informationsvergabe – wie kreativ ist der Autor im Erzählen zwischen den Zeilen? Ein gutes Drehbuch spricht nicht explizit aus, was es sagen will. Der Zuschauer erfährt, was er erfahren muss, ohne dass er merkt, dass er es erfahren hat. Das nennt man Subtext. Zudem ist beim Drehbuchschreiben die Erzählprämissen sehr zentral. Ein Thema zieht sich oftmals durch die Szenen und am Schluss wird es aufgelöst. Die Kür sind schliesslich die Dialoge. Auch da gibt es verschiedenste handwerkliche Regeln.

«Eine gute Serie zu schreiben ist verdammt schwierig und harte Arbeit»

Sie haben im Writers' Room der SRF-Serie «Der Bestatter» mitgearbeitet. Bei welcher anderen Serie würden Sie gerne einmal mitarbeiten?
Ich würde wahnsinnig gern einmal in einem Writers' Room einer grossen Serie im Ausland dabei sein. Die BBC hat immer wieder tolle Projekte, zum Beispiel die Serie «Sherlock» oder «Bodyguard». Da gibt es meiner Meinung nach in der Schweiz noch Nachholbedarf bei uns Autoren. Wir haben noch nicht so viel Erfahrung im Bereich des Serienschreibens, gerade was moderne Dramaserien betrifft.

Gibt es Bestrebungen dieses Kow-how in die Schweiz zu holen?
Ja, natürlich. Bei der SRG ist man in allen Landesteilen bestrebt, die Qualität der Serien zu verbessern – zum Beispiel, indem ausländische Autoren in die Writers' Rooms geholt oder mit erfahrenen Serien-Dramaturgen aus dem Ausland zusammengearbeitet wird. Vor drei Jahren hat die SRG zum Beispiel einen Workshop für Fernsehautoren organisiert, der von zwei Autoren der Serien «Doctor House» und «Hannibal» geleitet wurde. Dabei simulierten wir einen Writers' Room und wir waren verblüfft darüber, wie effizient man eine Idee entwickeln kann, wenn ein autoritärer Showrunner die Leitung übernimmt. Solch «industrielles» Arbeiten ist jedoch in der Schweiz nicht gang und gäbe. Und neuerdings kommt man gerade in Europa auch wieder von der Idee der grossen Writers' Rooms weg und lässt Serien in kleineren Teams schreiben. Fakt ist: Eine gute Serie zu schreiben ist verdammt schwierig und harte Arbeit.

Gibt es denn genug Drehbuchautoren in der Schweiz?
Es gibt viele Drehbuchautoren und -autorinnen hierzulande. Doch gerade die professionellen Serienautoren sind dünn gesät, da sind die meisten oft über viele Monate im Voraus ausgebucht. Nicht jeder Autor mag diesen Spagat, den das Serienschreiben im Team mit sich bringt: Einerseits muss man aus sich schöpfen und am Laufband gute Ideen kreieren – andererseits muss man auch team- und konfliktfähigfähig sein und sich von vielen Ideen schnell wieder verabschieden können.  Ich hoffe jedenfalls, dass es weiterhin Formate wie der «Bestatter» gibt, bei deren Produktion auch Nachwuchsautoren nachgezogen werden.

«Der Bestatter», «Zwingli» und dieses Jahr steht noch «Di Schöni Fanny» von Pedro Lenz an. Was machen Sie besser als Ihre Kolleginnen und Kollegen? 
Ich glaube nicht, dass ich etwas besser mache als meine Kolleginnen und Kollegen. Damit ein Projekt wie «Zwingli» tatsächlich realisiert wird, gehört auch immer eine Portion Glück dazu. Aber sicherlich bin ich ehrgeizig, ich arbeite hart und bin besessen davon, gute Arbeit abzuliefern. Und vielleicht habe ich durch meine Herkunft aus dem Journalismus eine andere Haltung dem Schreiben gegenüber als wenn ich an einer Filmschule gewesen wäre – aber um das zu beurteilen, müssten Sie meine Auftraggeber fragen.





*Simone Schmid hat Geografie in Bern und Journalismus in Hamburg/Luzern studiert und war Journalistin bei der «NZZ am Sonntag» und dem «Tages-Anzeiger». 2014 absolvierte sie die Drehbuchwerkstatt München/Zürich. Sie war bei drei Staffeln Co-Autorin der SRF-Serie «Der Bestatter». Aktuell läuft der Film «Zwingli» im Kino, für welchen sie das Drehbuch schrieb. Im Herbst kommt ihr nächstes Projekt ins Kino: Der Film «Manager» (Arbeitstitel), den sie zusammen mit Sabine Boss schrieb. Zurzeit arbeitet sie unter anderem an der Kino-Adaption des neuen Pedro-Lenz-Romans «Di schöni Fanny». Sie lebt und arbeitet in Zürich und im Tessin und unterrichtet Drehbuchschreiben am MAZ.



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