Herr Wolf, Ihr Interview mit Harald Vilimsky, dem FPÖ-Generalsekretär und Spitzenkandidaten, in welchem Sie diesen Rassismus-Vorwürfen konfrontierten und ein Wahlplakat mit einer «Stürmer»-Karikatur verglichen, löste eine veritable Staatskrise aus. Hat Sie die Heftigkeit der Diskussion, die bis nach in Deutschland und die Schweiz überschwappte, überrascht?
Also, eine «Staatskrise» sehe ich wirklich nicht. Ich sehe einige absurd überzogene Reaktionen auf das Interview, wie den jenseitigen Vergleich mit dem NS-Volksgerichtshof durch eine FPÖ-Politikerin. Es geht in dieser Debatte aber gar nicht um mich, ich fühle mich auch nicht bedroht. Die Attacken sind jedoch ein weiteres Symptom dafür, wie eine Regierungspartei in Österreich den öffentlich-rechtlichen Rundfunk zerstören möchte. Ein führender FPÖ-Politiker sprach schon vor einem Jahr ganz offen von der notwendigen «Neutralisierung» des «Oppositionsrundfunks». Und wie er noch wörtlich dazu gesagt hat: «Auch auf die Gefahr hin, dass uns eine sogenannte Orbanisierung vorgeworfen wird. Das müssen wir durchziehen». Insofern finde ich die Diskussion über das Verhältnis der FPÖ zur Medienfreiheit angemessen und auch notwendig.
Vor allem der Vergleich mit dem Nazi-Blatt «Stürmer» sei ein «Vergleich der Sonderklasse» beklagte sich Harald Vilimsky und drohte vor laufender Kamera mit «Folgen». War dies nicht voraussehbar?
Dass mich Herr Vilimsky im Interview attackieren würde, war absolut vorhersehbar. Er macht das in jedem Interview. Dass er mir mit «Folgen» droht, war neu. Dass der Vorsitzende des ORF-Stiftungsrats Norbert Steger mir dann öffentlich ein «Sabbatical» nahelegt, war auch neu. Steger war allerdings mal FPÖ-Parteichef und versteht sich offenbar noch immer als FPÖ-Politiker. Die FPÖ hat übrigens am nächsten Tag einen EU-Wahlspot mit einer TV-Journalistin «Armina Wolf» online gestellt und verbreitet ihn seither mit sehr viel Werbegeld. Dieser Werbespot wurde ganz offensichtlich schon vor dem Interview produziert. Ich vermute deshalb, Herr Vilimsky hätte es im Interview jedenfalls auf einen Eklat angelegt, egal, was ich ihn gefragt hätte.
«Das TV-Interview ist eine sehr faire Form von Journalismus»
Würden Sie die Frage heute noch so stellen?
Ich glaube, der Vergleich dieser offen rassistischen «Karikatur» der FPÖ-Jugend mit der Bildsprache des «Stürmer» drängt sich historisch halbwegs sensiblen Menschen geradezu auf. Deshalb habe ich die Frage gestellt und ich würde sie auch wieder stellen. Was mich übrigens durchaus wundert: Ich habe keinen Kommentar von der Fernsehkanzel gesprochen, in dem ich verkündet hätte, die FPÖ würde «Stürmer»-Plakate verbreiten. Sondern ich habe live im Studio dem FPÖ-Generalsekretär die Frage gestellt, was die Zeichnungen unterscheidet. Er konnte darauf live und ungekürzt antworten, was immer er wollte – und genau das hat er auch getan. Er hat seine Empörung wirklich nicht versteckt, bis hin zur Drohung. Es ist die Grundidee von TV-Interviews, dass Gästen kritische Fragen gestellt werden und sie darauf unmittelbar antworten können. Ich halte das eigentlich für eine sehr faire Form von Journalismus.
Vor allem die FPÖ nutzt dieses Gespräch als Angriff auf den ORF, den öffentlich-rechtlichen Sender. Wem nützt oder schadet jetzt die ganze Diskussion? Dem ORF, der FPÖ, der Regierung oder Ihnen?
Ich möchte hoffen, dass diese Debatte, die ja nicht der ORF begonnen hat, jedenfalls den Plänen schadet, den öffentlichen Rundfunk in Österreich «zu neutralisieren» und eine «Orbanisierung durchzuziehen». Insofern könnte die Diskussion der Medienfreiheit nützen.
Sie sind der bekannteste und profilierteste Interviewer Österreichs. Gibt es Gespräche, die Sie so nicht mehr führen würden?
Ich habe in 17 Jahren «ZiB2» mehr als 2000 Interviews geführt. Ich würde praktisch alle nicht mehr genauso führen, wenn ich sie nochmal machen könnte. Sie müssen in Live-Interviews in sehr kurzer Zeit sehr viele Entscheidungen treffen. Nie sind alle diese Entscheidungen optimal. Bei manchen Interviews würde ich fünf Prozent anders machen, könnte ich sie wiederholen, bei manchen fünfzig Prozent. Auch im Vilimsky-Interview würde ich manches anders machen, allerdings nicht die Frage nach dem Bilder-Vergleich. Ich glaube, diese Frage und die Reaktion darauf, waren für die Zuseher wirklich aufschlussreich. Und darum geht es mir in Interviews.
Ist die Meinungsäusserungsfreiheit in Österreich durch die ganze Verpolitisierung der Medien gefährdet?
Man muss die Kirche im Dorf lassen. In Österreich werden keine Journalistinnen verfolgt, keine Reporter eingesperrt und keine Redakteurinnen ermordet wie – schrecklicherweise – in anderen europäischen Ländern. Österreich ist nicht die Türkei, nicht Malta oder die Slowakei und auch nicht Ungarn. Aber eine Regierungspartei, die FPÖ, möchte den öffentlich-rechtlichen Rundfunk de Facto verstaatlichen.
«In meinen Interviews geht es selten um die Kindheit»
Was meinen Sie damit?
Die FPÖ verlangt, dass die Rundfunkgebühren abgeschafft und durch eine Finanzierung aus dem staatlichen Budget ersetzt werden, was den ORF finanziell ganz unmittelbar von der jeweiligen Regierung abhängig machen würde. Die ÖVP-FPÖ-Koalition möchte die ORF-Führung durch eine Gesetzesänderung neu besetzen, mehrere leitende Redakteure wurden bereits ausgewechselt. Im Regierungsprogramm steht, dass auch die Aufsichtsbehörden über den Rundfunk neu organisiert werden sollen. Regierungskritischen Zeitungen werden öffentliche Inserate gestrichen, während gleichzeitig Propaganda-Medien aus dem Umfeld der FPÖ mit Inseraten von FPÖ-geführten Ministerien gefördert werden. Und regelmässig werden Journalistinnen und Journalisten vor allem via Social Media gezielt diffamiert und auch bedroht. Ein FPÖ-Politiker sagte erst vor wenigen Tagen: «Redakteure werden weinen, weil sie persönlich geklagt werden.» Im weltweiten Pressefreiheit-Ranking von «Reporter ohne Grenzen» ist Österreich im letzten Jahr um fünf Plätze abgerutscht. Ich hätte das, offen gesagt, vor ein paar Jahren noch nicht für möglich gehalten, auch wenn der damalige FPÖ-Chef Jörg Haider schon vor 25 Jahren gedroht hat: «Wenn ich etwas zu reden habe, wird in den Redaktionsstuben in Zukunft weniger gelogen.»
In der Schweiz hatten wir soeben eine heftige Diskussion, weil Roger Schawinski eine Edelprostituierte in seiner Sendung nach einem entsprechenden Zitat von Alice Schwarzer nach sexuellem Missbrauch in ihrer Kindheit befragte. Ist dies zulässig? Oder anders gefragt: Wie weit darf ein Talkmaster Ihrer Ansicht nach gehen?
Ich muss gestehen, so sehr ich Roger Schawinski schätze, habe ich diese Debatte nicht näher verfolgt. Ich kann auch zu den Grenzen von Talkmastern nichts Sinnvolles sagen, weil ich etwas anderes mache: Ich interviewe in einem Nachrichtenmagazin Politiker und Politikerinnen. Da geht es selten um ihre Kindheit.
Armin Wolf wurde für seine Arbeit, vor allem für seine Live-Interviews vielfach ausgezeichnet, unter anderem mit dem «Robert-Hochner-Preis» und dem «Axel-Corti-Preis» sowie mit vier «Romys» als beliebtester TV-Moderator.