14.01.2018

Republik

Die Expedition in die Realität beginnt

Schon Monate vor dem Start wurden alle Erwartungen übertroffen. Seit Sonntag ist die «Republik» online. Wie will man die Vorschusslorbeeren einlösen? Eine Bestandsaufnahme in der «Republik»-Redaktion.
Republik: Die Expedition in die Realität beginnt
Der «Mission Control Room» in der «Republik»-Redaktion. Richard Höchner blickt zu einer Verlegerin auf dem Bildschirm. (Bild: persoenlich.com)
von Marius Wenger

Donnerstag, 11. Januar, drei Tage vor dem Go-Live der «Republik»: Auf den kleinen runden Tischen in der «Kommandozentrale» liegen «Neue Zürcher Zeitung», «New York Times» sowie Süsses und Salziges für Zwischendurch. Die Kaffeemaschine läuft auf Hochtouren, aber nicht am Anschlag. Einen ähnlichen Eindruck macht das Team: Für eine kurze Unterhaltung finden die Redaktionsmitglieder Daniel Binswanger und Ariel Hauptmeier in einer Ecke stehend durchaus Zeit. Bald verlassen sie den Raum aber wieder Richtung Arbeitsplatz oder sonstwohin – ebenso wie Carlos Hanimann, der von einer kurzen Rauchpause auf dem Balkon zurückkehrt. Das Sofa jedoch ist verwaist.

An der Wand hängen eine Timeline aus unzähligen Post-its sowie drei Bildschirme, auf denen die Porträts der Abonnenten – beziehungsweise Verleger, wie sie hier genannt werden – in Endlosschleife gezeigt werden. «Sie schauen uns ständig über die Schultern», sagt Richard Höchner, Leiter der Community- und Netzwerk-Redaktion.

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3000 Unterstützer respektive 750'000 Franken waren das Ziel des Crowdfundings im vergangengenen Mai. Mit 3,4 Millionen gesammelten Franken wurden die Erwartungen mehr als übertroffen (persoenlich.com berichtete). Mittlerweile zählt die «Republik» über 15’000 zahlende Abonnenten.

Die Abonnenten sind gleichzeitig Genossenschaftsmitglieder von Project R, der Firma hinter der «Republik». Die Genossenschaft will durch Stärkung, Erhalt und Weiterentwicklung des Journalismus als vierte Gewalt die Demokratie fördern. Die Republik ist das erste journalistische Format von Project R.

Die Verleger sind nicht nur auf den Bildschirmen stets präsent im ehemaligen Hotel Rothaus an der Zürcher Langstrasse, wo die «Republik» ihre Redaktion eingerichtet hat: Im ganzen Treppenhaus sind Papierzettel mit ihren Statements dazu, warum sie die «Republik» unterstützen oder was sie von ihr erwarten.

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Auf den Austausch mit der Community, den Dialog auf Augenhöhe mit der Leserschaft will man viel wert legen. «Wir wollen Gastgeber sein, nicht nur digital, auch physisch», sagt Höchner. Die Möglichkeit dazu hat die Republik praktischerweise im Redaktionsgebäude. Gleichentags mit dem Go-Live der Republik eröffnet im Erdgeschoss des ehemaligen Stundenhotels eine Bar. Etwa alle zwei Wochen will die «Republik» hier öffentliche Veranstaltungen durchführen. Die erste Gelegenheit zum Austausch mit der Redaktion bot sich bereits am Sonntagabend. «Gleichzeitig mit dem Launch startet auch die Debatte mit der Community», meint Höchner.

Die Leser sollen aber auch Inputs für Themen liefern und in die Recherchen eingebunden werden. «Momentan wählen wir unsere Themen ziemlich klassisch: Entweder jemand hat enorm viel Herzblut dafür, oder wir knüpfen an eine bestehende Debatte an», sagt Olivia Kühni, Leiterin Analyse und Wissenschaft. Vermehrt wolle man aber auch aufgreifen, was die Leserinnen und Leser in ihrem Alltag wirklich beschäftige. «Durchlässigkeit» ist ein Schlagwort, das immer wieder fällt. Der Grundsatz gilt nicht nur gegen aussen, sondern auch innerhalb, wie Kühni sagt: «Die IT-Mitarbeiter sind Teil der Redaktion und nicht Dienstleisterinnen der Autoren. Wir fangen keine Geschichte an, ohne vorher mit IT und visuellen Gestaltern darüber gesprochen zu haben.»

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Was sind denn nun die Themen, mit denen die «Republik» überzeugen will? «Wie überall ist der Themenmix fest von den Journalisten und ihren Interessen abhängig. Momentan bedeutet dies für uns einen Fokus auf Politik-, Tech-, Ökonomie- und sozialwissenschaftliche Themen», sagt Kühni. Inland- und insbesondere Bundeshaus-Themen sollen in naher Zukunft gestärkt werden: Ab Sommer wird Urs Bruderer aus Bundesbern berichten. Konkretes wird aber geheim gehalten.

«Nie sind alle mit dem Themenmix zufrieden, dieses Ziel haben wir auch nicht», sagt Kühni. «Genauso wenig glauben wir, dass wir journalistisch alles besser machen als die anderen, auch wenn uns dieser Anspruch oft nachgesagt wird.» Der grösste Unterschied sei nicht der Journalismus der «Republik», sondern das Geschäftsmodell.

Die Republik will dem Motto «Weniger ist mehr» folgen. Ein bis drei Artikel pro Tag wurden versprochen. Das «Richtige» auszuwählen, wird so nicht einfacher. Eine der offenen Fragen, die momentan am meisten beschäftige, ist gemäss Kühni: Wie stark soll die «Republik» auf das Tagesgeschehen eingehen? «Auch in dieser Frage sind die Erwartungen höchst unterschiedlich: Die einen wollen uns als Alternative zur Tageszeitung, die anderen nur Hintergrundberichte», ergänzt Höchner. Für die in der Startphase anvisierte Flughöhe verwendet Kühni den Begriff «latente Aktualität»; grundsätzlich sollen aber die Teammitglieder mit ihren unterschiedlichen Backgrounds die Verlegerschaft in ihrer ganzen Breite abholen.

Eine Etage über dem «Mission Control Room», wie der Aufenthaltsraum im Team genannt wird, liegt das Redaktionssitzungszimmer. Auch hier: Unzählige Post-its an der Wand, in der Mitte des Raums ein Tisch und mehrere Stühle, die nicht so recht zusammenpassen wollen. «Es kommen schon fast nostalgische Gefühle hoch, die Möbel sind seit dem Anfang hier, alle aus dem Brockenhaus», sagt Geschäftsführerin Susanne Sugimoto bei der Führung durch die Redaktionsräumlichkeiten. Es ist eines der ersten drei gemieteten Zimmern im ehemaligen Hotel Rothaus. Mittlerweile sind acht weitere dazugekommen, fast jedes mit Dusche und WC. Autoren sind keine hier. Ihre Büros befinden sich im kleinen Nebenhaus, das im Innenhof steht. Sie sollen nicht gestört werden.

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Die Zeit des Crowdfundings im vergangenen Mai sei klar die stressigste Zeit gewesen, sind sich Sugimoto und Höchner einig. Für Kühni, die erst nach der Sammelaktion zum Team stiess, war es der November. «Viele neue kamen ins Team. Wir mussten erst zusammenwachsen.»

Mittlerweile besteht das Team aus 30 Personen. «Es ist wie in einer WG hier», meint Höchner. Gänge, Treppenhaus und Zimmer sind eng, man lernt sich gezwungenermassen kennen. «In der Kommandozentrale sitzen wir oftmals auch abends noch zusammen, sprechen und trösten einander wenn nötig», so Höchner weiter.

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Wie ist die Stimmungslage kurz vor dem Launch? «Positive Aufregung», sagt Sugimoto. «Mit dem Wissen, dass alle ihr Bestes gegeben haben, sind wir bereit. Es ist gut, uns endlich nicht mehr nur mit uns selber zu beschäftigen», meint Höchner. Von IT-Chefin Clara Vuillemin, die «auf der Suche nach Inspiration» kurz in der «Kommandozentrale» vorbeischaut, klingt es etwas anders: «Ich habe verdammt Angst. Die grösste Gefahr beim Crowdfunding war, dass wir keine Aufmerksamkeit erhalten. Die grösste Gefahr jetzt ist, dass alle zuschauen, wie wir auf die Fresse fallen.» Sugimoto lacht und meint: «Auch dann kann man wieder aufstehen und weitermachen».

«Ever tried. Ever failed. No matter. Try again. Fail again. Fail better.» Diesem Slogan, der im letzten Newsletter erwähnt wurde, will man treu bleiben. «Wir arbeiten iterativ», sagt Höchner. «Ziel ist es nicht, perfekt zu sein, aber immer perfektionierbar, also offen und fähig für Veränderung zu bleiben.» Dazu ist man auf Feedback angewiesen. Einerseits von den Lesern und Verlegerinnen, andererseits  wurden die ersten externen Blattkritiken in Auftrag gegeben: Bei Vertretern der Medienbranche, bei Politikerinnen – und einer Schulklasse.

Die grösste Angst scheint tatsächlich, dass die Expedition an den Leserinnen und Verlegern – und damit an der Realität – vorbeigeht. Es wird viel Aufwand betrieben, um dies zu verhindern. Geografisch gesehen wurde der «Hafen» dafür jedenfalls geschickt gewählt: Wohl an kaum einem anderen Ort in der Schweiz versammeln sich so viele unterschiedliche Realitäten auf engstem Raum wie direkt vor der Tür der «Republik», an der Langstrasse. 

 



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