20.01.2020

Teenager erleben Journalismus

«Es muss nicht immer alles perfekt sein»

Wenig Aktualität und langfädige Beiträge: SRF räumte der YouNews-Jugendmedienwoche viel Platz ein. Waren «10vor10» und «Tagesschau» nicht etwas peinlich? Mit-Initiant Franz Fischlin zieht Bilanz. Wichtigstes Learning dabei: Er will seinen Fokus häufiger hinterfragen.
Teenager erleben Journalismus: «Es muss nicht immer alles perfekt sein»
Er hat die Initiative YouNews zusammen mit Viviane Manz (SRF) und Michael Marti (Tamedia) gegründet: «Tagesschau»-Moderator Franz Fischlin. (Bild: SRF)
von Edith Hollenstein

Herr Fischlin, was haben Sie letzte Woche während der Jugendmedienwoche YouNews von den Teenagern gelernt?
Diese Tage waren sowohl für die Jugendlichen als auch für uns Journalistinnen und Journalisten inspirierend, und zwar gegenseitig. Ich selber arbeitete mit zwei Jungs (13/15) zusammen für einen «Tagesschau»-Beitrag über die Lauberhorn-Abfahrt. Dazu haben wir im Vorfeld mögliche thematische Zugänge diskutiert. Dabei war es für mich lehrreich zu erfahren, welche Interessen und Ideen die beiden hatten.

Was für eine Idee hatten die Jungen?
Ein Blick hinter die Kulissen interessierte sie am meisten. Sie wollten erfahren, was beim Start einer solchen Abfahrt alles passiert, alles nötig ist. Wen es braucht. Auch bei der Diskussion über die bildliche Umsetzung – dazu hatten wir neben unseren Handys und einer Helmkamera, einen Kameramann und eine Drohne zur Verfügung – brachten sie ihre Storytelling- und Bild-Ideen ein. Beim Kontaktieren der Interviewpartner vor Ort beeindruckte mich ihre Direktheit. Linus und Nicolas gingen etwa auf Funktionäre zu und fragten ganz banal: «Was machen Sie da?». (lacht) Eine solche Frage würden wir Journalisten kaum stellen, weil wir meinen, das sei eine zu einfache Frage. Aber es hilft, das Gegenüber zu öffnen.

Ist das jetzt Ihr Learning? Werden Sie tatsächlich künftig Ihre Interviewpartner fragen: «Was machen Sie da?»
Nein, das werde ich nicht (lacht). Doch ich werde versuchen, meinen journalistischen Fokus, der normalerweise eher faktenorientiert ist, auch ab und an zu hinterfragen. Das Zwischenmenschliche, die Atmosphäre bei einem Interview darf nicht unterschätzt werden. Ein einfacher, lockerer Zugang kann helfen, dass sich Interviewpartner nicht eingeschüchtert fühlen, wenn wir Journalisten mit unseren kritischen Fragen kommen. Was nicht heisst, dass wir nicht auch weiterhin kritische Fragen stellen sollten. Der Mix macht es aus.

«Gegenüber Journalisten wäre Viola Amherd vielleicht zurückhaltender gewesen»

Aber ist es nicht auch etwas peinlich, wenn die «Tagesschau» oder «10vor10» so naive Fragen stellen und der Blick und der Tagi sozusagen zur Schülerzeitung werden?
Überhaupt nicht. Aus dem Publikum gab es ungewöhnlich viele und eigentlich nur positive Reaktionen. Die Leute realisierten: «Aha, so gestalten die Jungen ihre Interviews und das sind die Fragen, die sie interessieren.» Und dass Verteidigungsministerin Viola Amherd in der Sendung «10vor10» so unverblümt gesagt hat, sie habe ihr abhörsicheres Handy noch nie gebraucht, war doch einigermassen erstaunlich. Gegenüber einer Journalistin oder einem Journalisten wäre sie vielleicht zurückhaltender gewesen als bei diesem Schüler.

Dafür gibt es doch «SRF Myschool»! In «10vor10» kamen am Freitag holprige Off-Texte und ungewöhnlich langfädige Beiträge mit Redundanzen – das erinnerte teilweise ein wenig an die «Sendung mit der Maus».
Und wenn auch! Es muss nicht immer alles perfekt sein. Wir wollten es möglich machen, dass die Jungen effektiv mitarbeiten und Beiträge realisieren können. Es zeigt doch auch, dass wir die Jugendlichen wirklich ernst nehmen. Für mich ist klar: Nur im direkten Gespräch können wir Medienschaffende die Jugendlichen kennenlernen und allenfalls auch Vorurteile revidieren. So etwa das Vorurteil, dass die junge Generation nur Softnews konsumieren wolle. Jugendliche sagten uns, dass sie gerade auch vor dem Hintergrund der Fake News froh seien um unsere Arbeit – dass sie beispielsweise auch von einer «Tagesschau» nicht Unterhaltendes und Interessantes, sondern vor allem Relevantes erwarteten: verlässliche und faktenorientierte Informationen.

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YouNews erreicht nur sehr wenige Jugendliche. Damit die Jungen die journalistischen Marken kennen, braucht es doch mehr.
Ganz direkt waren in diesem Jahr 250 Schülerinnen und Schüler beteiligt. Dazu kommt Mund-zu-Mund-Propaganda. Eine Kollegin hat mir erzählt, dass ihre Kinder am Freitag zum ersten Mal «Arena» geschaut hätten, als sie nach Hause kam. Ihre beiden Mädchen hatten das via Social Media mitbekommen und wollten sehen, wie die Jungen die Bundespräsidentin interviewen. Es stimmt nicht, dass sich die Jungen nicht für Politik interessieren. Es ist eher die Art und Weise, wie wir ihnen die Themen vermitteln, mit der sie wenig anfangen können. Wir können und wollen nicht alles umkrempeln. Aber die Erkenntnisse fliessen in unsere Arbeit ein. Und der Dialog geht auch übers Jahr weiter.

«YouNews wird den Medienkonsum der Jungen nicht ändern»

Ziel ist also nicht, dass diese Jungen, die nun zum ersten Mal «Arena» geschaut hatten, erneut einschalten.
Nein, das ist nicht unser primäres Ziel. Zentral ist, dass die Jugendlichen wissen, dass es SRF oder auch andere traditionelle Medien gibt. Was wir professionelle Journalistinnen und Journalisten machen, welchen Aufwand es braucht, um Radio- und TV-Sendungen zu produzieren, zu recherchieren und Artikel zu schreiben. YouNews wird den Medienkonsum der Jungen nicht ändern. Aber was ist die Alternative? Dass wir Traditionsmedien einfach untätig sind und abwarten? Wohl kaum.

Wie werden künftig die Feedbacks der Jungen fürs Publikum von «Tagesschau» oder vom «Medienclub» sichtbar sein?
Beim «Club» und beim «Medienclub» wird es sicher nicht das letzte Mal gewesen sein, dass wir das Studio verlassen – ob wir dabei wieder mit den Handys filmen oder nicht, das ist nicht entscheidend. Das Rausgehen aus dem Studio hat sich bewährt. Und auch sich überraschen lassen, was inhaltlich kommt. Ganz grundsätzlich: Medienlandschaft und Medienkonsum verändern sich derart schnell. Da hilft agil und flexibel sein, so wie es die Jungen sind.



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