11.02.2022

Rundschau

«Ich versuchte, an der Haustür Distanz zu halten»

Für eine Reportage hat Helena Schmid Personen, die auf Telegram zu Gewalt aufgerufen haben, persönlich besucht. Die Journalistin sagt, wie sie bei der Recherche im Internet vorgegangen ist und warum Sie sich bei den Hausbesuchen für den konfrontativen Ton entschieden hat.
Rundschau: «Ich versuchte, an der Haustür Distanz zu halten»
«Es war für mich schwierig abzuschalten in den vier Wochen»: «Rundschau»-Reporterin Helena Schmid. (Bild: Rundschau)
von Michèle Widmer

Frau Schmid, am Mittwoch wurde Ihre Reportage zu Gewaltaufrufen auf Telegram in der «Rundschau» gezeigt. Welche Reaktionen haben Sie darauf erhalten?
Als wir die Recherche am Dienstag via Pressemitteilung ankündigten, haben sich bereits erste kritische Stimmen per Mail gemeldet. Der Hauptvorwurf war, dass wir Massnahmenkritiker in ein schlechtes Licht rücken, anstatt über Linksextreme zu berichten, die angeblich Anschläge gegen eben diese verüben sollen. Deshalb hatte ich mit einer Welle an Reaktionen gerechnet. Die ist bisher aber ausgeblieben. Bis jetzt habe ich rund zehn Mails erhalten. Die Hälfte davon mit positivem Feedback. Eine Massnahmenkritikerin hat mir in einer langen Nachricht geschrieben, dass sie sich nicht gehört fühlt. Und dass wir Medien, indem wir ihnen nicht zuhören, auch verantwortlich seien für diese Radikalisierung. Ich schreibe ihr sicher zurück.

«Im Vorfeld dieser Recherche habe ich sichergestellt, dass man meine Adresse nicht herausfindet»

Durch Ihre Recherche sind nun Ihr Name sowie Ihr Gesicht in mutmasslich gewaltbereiten Kreisen bekannt. Wie erlebten Sie das?
Nach der Recherche veröffentlichte jemand auf Telegram ein Foto von mir an einer Demonstration. Wenige Tage später outete ein anderer mein Telegram-Profil, teilte meinen richtigen Namen, meine Handynummer und den Hinweis, dass ich in Zürich wohne. Danach wurde ich aus allen Telegram-Kanälen rausgeworfen. Da ich meine Recherche zu diesem Zeitpunkt schon abgeschlossen hatte, war das kein Problem.

Welche Sicherheitsvorkehrungen haben Sie selbst getroffen?
Ich bin in den sozialen Medien eh schon vorsichtig unterwegs. Im Vorfeld dieser Recherche habe ich sichergestellt, dass man meine Adresse nicht herausfindet. Oder, dass mein Facebook-Account nicht gehackt werden kann.

«Ich habe mir vorher genau überlegt, wie ich meine Sätze formuliere»

Sie haben Personen, die extreme Drohungen ausgesprochen haben, persönlich besucht. Wie haben Sie dieses Aufeinandertreffen erlebt?
Vor diesen Drehs war ich immer sehr angespannt. Diese Leute haben aber weniger aggressiv reagiert, als ich erwartet habe. Ich habe bewusst notorische Droher aufgesucht und nicht Menschen, die einmal etwas Dummes geschrieben haben. Dennoch: Kein Einziger, den ich konfrontiert habe, wollte zu seinen Äusserungen stehen. Diese Menschen verstecken sich hinter der Anonymität auf Telegram und wollen sich im realen Leben nicht damit auseinandersetzen.

Wie haben Sie sich auf diese Treffen vorbereitet?
Ich musste mich im Vorfeld entscheiden: Will ich einen friedlichen Ton anschlagen, um Vertrauen zu gewinnen und allenfalls jemanden so zum Reden zu bringen? Oder will ich die Person direkt konfrontieren, um so eine Reaktion herauszuholen? Bei den Hausbesuchen habe ich letztere Variante gewählt, weil diese notorischen Droher höchstwahrscheinlich eh nicht mit mir geredet hätten. Ich habe mir vorher genau überlegt, wie ich meine Sätze formuliere. Es war damit zu rechnen, dass das Gespräch sehr kurz wird – allenfalls auch, dass mir die Tür vor der Nase zugeschlagen wird. Mein «Rundschau»-Kollege Thomas Vogel hat mir da viele hilfreiche Tipps mitgegeben. Zudem habe mich sehr detailliert mit dem Kameramann abgesprochen – wo stehe ich, wo steht er? Er hatte die Kamera eingeschaltet auf den Schultern, dass jeder erkennen kann: Jetzt wird gefilmt.

Im Beitrag ist zu sehen, wie ein Mann die Tür öffnet. Bei allen anderen blieben die Türen zu?
Dass dieser Mann vor laufender Kamera mit uns sprach, war sehr wichtig für die Reportage. Eine Frau hat uns sogar reingelassen, wollte dann aber nicht gefilmt werden. Sie meinte, sie sei nicht gewaltbereit. Sie verglich das Vorgehen der Regierung immer wieder mit einer Vergewaltigung. Dann würde man sich ja auch wehren. Wenn ich sagte, das sei doch nicht vergleichbar, sah sie dies nicht ein.

Sie haben auch an einer Demonstration von Massnahmengegnern gedreht. Wie waren die Reaktionen auf Sie und die Kamera dort?
Zuerst war ich eine Weile inkognito und ohne Kameramann unterwegs, weil ich damit rechnete, an meiner Arbeit gehindert zu werden. Als wir dann gemeinsam als SRF-Team unterwegs waren, wurden wir schon sehr oft angefeindet. Während wir Leute befragt haben, schrien andere mit einem Megafon drein: «Mach die Kamera aus, sonst erlebst du was!» Aber die meisten Teilnehmerinnen und Teilnehmer waren friedlich – sie finden einen als Journalistin nicht sonderlich cool, aber sie würden dich nicht anschreien.

Welche Sicherheitsvorkehrungen haben Sie für diese persönlichen Besuche oder den Dreh an der Demonstration getroffen?
Ich habe mich im Vorfeld sehr klar mit der «Rundschau»-Leitung abgesprochen und mögliche Szenarien diskutiert. Wichtig war uns, dass ich versuche, beispielsweise an der Haustür physisch Distanz zu halten. An der Demonstration entschieden wir erst vor Ort, ob wir die Konfrontation machen können – je nach Stimmung. Da bei der Gruppierung, die wir konfrontieren wollten, eine Nähe zur Neonazi-Szene besteht, mussten wir davon ausgehen, dass sie gewaltbereit sind. Wir sind also vorsichtiger vorgegangen als bei den Hausbesuchen. Heisst: Ich stellte die Fragen defensiver, um eine Eskalation zu vermeiden.

«Wir sind zwei Tage lang von Adresse zu Adresse gefahren»

Wie haben Sie die Protagonisten ausfindig gemacht?
Von SRF Data habe ich die Benutzernamen von Telegram-Usern mit extremen und wiederkehrenden Gewaltaufrufen erhalten. Ich habe auf Telegram alle Infos gesucht, die ich über diejenigen Personen herausfinden konnte. In anderen sozialen Kanälen habe ich dann den richtigen Namen, den Wohnort und Bilder gefunden. Adressangaben findet man über Dienste wie Search, Teledata oder Moneyhouse. Oder man fährt einfach mal vorbei, schaut sich um und fragt allenfalls bei Nachbarn.

Das haben Sie gemacht?
Ja, wir sind zwei Tage lang von Adresse zu Adresse gefahren.

Ihre Reportage basiert auf der Recherche von SRF Data, die eine Million Telegram-Nachrichten analysiert haben. Wie kam diese Zusammenarbeit zustande?
Als ich erfahren habe, dass SRF Data Telegram-Chats analysiert, habe ich den Kontakt gesucht und mir überlegt, welchen Beitrag ich leisten kann. Das Daten-Team ist gut in quantitativen Recherchen. Der Kontakt zu den einzelnen Protagonisten war dann mein Part.

Wie lange hatten Sie für diese Reportage Zeit?
Ich hatte rund vier Wochen Zeit – zwei Wochen davon waren reine Recherchearbeit am Smartphone und am Computer. SRF Data beschäftigte sich aber bereits seit November mit dem Thema.

Was war für Sie die grösste Herausforderung bei der Reportage?
Die Personen hinter den Benutzernamen ausfindig zu machen, war wahnsinnig anstrengend und brauchte viel Konzentration. Irgendwann kommt man einfach nicht mehr weiter. Sich dann nochmals aufzuraffen und nochmals jede Nachricht genau zu lesen, brauchte viel Disziplin. Zudem war es für mich schwierig abzuschalten in den vier Wochen.

Kommen wir zu den anfänglich genannten kritischen Reaktionen zurück: Laut SRF Data sind 8 Prozent der Nutzer für 82 Prozent der toxischen Nachrichten auf Telegram zuständig. Was sagen Sie zu dem Vorwurf der Unverhältnismässigkeit?
Es ist wichtig, dass man sagt, dass es sich um eine Minderheit handelt. Doch die Verhältnismässigkeit ist klar gegeben. Diese wenigen Gewaltaufrufe werden von tausenden Menschen gelesen, die sich dann womöglich davon inspirieren lassen und Gewalt verüben. Im Beispiel Telegram verstecken sich diese Menschen hinter einer Anonymität. Indem wir sie outen und verurteilen, was sie machen, zeigen wir ihnen, dass das nicht geht.



Newsletter wird abonniert...

Newsletter abonnieren

Wollen Sie Artikel wie diesen in Ihrer Mailbox? Erhalten Sie frühmorgens die relevantesten Branchennews in kompakter Form.

Kommentar wird gesendet...

Kommentare

  • Ernst Laub, 11.02.2022 13:54 Uhr
    Sehr gut, Gewalt muss diskreditiert werden. Interessant wäre in diesem Zusammenhang auch die Befragung von Polizisten, die harmlose, friedfertige Bürger (nicht selten ältere Damen) - teilweise recht brutal - "geschubst" und zusammengeknüppelt hatten. Ich weiss, sie haben nur Befehle ausgeführt!....... Nur so wegen dem Gesamtzusammenhang und der Ausgewogenheit.
Kommentarfunktion wurde geschlossen

Diese Artikel könnten Sie auch interessieren:

Zum Seitenanfang20240427

Die Branchennews täglich erhalten!

Jetzt Newsletter abonnieren.