31.01.2022

Medienpaket

«Kleine Medien würden deutlich profitieren»

Skandinavische Länder setzen seit Längerem auf eine direkte Förderung von Onlinemedien. Der Medienforscher Manuel Puppis sagt, weshalb die Pressefreiheit im Norden trotzdem hoch ist – und er äussert sich zu den Argumenten der Gegner des geplanten Mediengesetzes in der Schweiz.
Medienpaket: «Kleine Medien würden deutlich profitieren»
«Medienfreiheit wird nicht einfach als negative Freiheit verstanden, als Abwehrrecht gegen den Staat, sondern als positive Freiheit», sagt Manuel Puppis, Professor für Medien und Kommunikation, Universität Fribourg. (Bild: Universität Fribourg/zVg)

Herr Puppis, Sie kamen beim SRF-«Club» zum Medienpaket kaum zu Wort. Fühlen Sie sich auf der Bühne der Wissenschaft besser aufgehoben?
Mein regelmässiger Austausch mit Vertreterinnen und Vertretern aus Politik, Medienwirtschaft und Journalismus zeigt hoffentlich, dass ich keine Berührungsängste habe. Davon abgesehen können auch wissenschaftliche Debatten durchaus heftig verlaufen. Aber um in einer Diskussionsendung zu Wort kommen zu können, müssen alle Diskussionsteilnehmer ein Interesse an einem Austausch mitbringen. Die Fähigkeit zur Lautstärke würde ich jetzt auch nicht mit der Stärke von Argumenten oder gar Überzeugungskraft verwechseln. 

Viele Zuschauer waren entsetzt, wie sich die beiden Lager angebrüllt und ins Wort gefallen sind. Wie haben Sie das erlebt?
Das stimmt ja nicht für alle Teilnehmerinnen und Teilnehmer … Es war eine unangenehme Diskussion, doch das kam leider nicht völlig überraschend. Das heisst jetzt nicht, dass ich ein Problem mit hart geführten Diskussionen hätte. Allerdings empfände ich ein Mindestmass an Faktentreue und Dialogbereitschaft von Vorteil, um auch einen Erkenntnisgewinn zu erzielen.

Konkret?
Einige Punkte sind in der wissenschaftlichen Debatte unbestritten: Dass Medien in einer Finanzierungskrise sind und dass Förderung nicht per se zu Abhängigkeit vom Staat führt. Auf dieser Basis liesse sich über viel entscheidendere Fragen streiten: Ist Medienförderung der richtige Weg, um eine vielfältige Medienlandschaft zu erhalten? Und sind die vorgeschlagenen Massnahmen dazu wirklich geeignet? Da kann man schliesslich aus guten Gründen unterschiedliche Ansichten vertreten.

Bisher in der Debatte untergangen ist Ihre Forschung zuhanden des Bakom, wonach die Medienfreiheit in skandinavischen Ländern sehr hoch ist, obschon diese seit Längerem auf direkte Förderung von Onlinemedien setzen. Wie erklären Sie sich diese Unabhängigkeit vom Staat im Norden?
In meiner Wahrnehmung wird der Punkt, dass Medienförderung und Medienfreiheit sich nicht ausschliessen, in der Debatte relativ häufig erwähnt. Die skandinavischen Länder rangieren genauso wie die Schweiz in allen Erhebungen zur Pressefreiheit auf den vordersten Plätzen. In der internationalen Forschung zu Mediensystemen wird argumentiert, dass eine aktive Medienpolitik in diesen Ländern eben nicht zum Ziel hat, Medien unter staatliche Kontrolle zu bringen, sondern Bedingungen für eine freie und vielfältige Medienlandschaft zu schaffen. Dazu gehört beispielsweise ein starker Service public oder auch Medienförderung. Medienfreiheit wird also nicht einfach als negative Freiheit verstanden, als Abwehrrecht gegen den Staat, sondern als positive Freiheit: Der Staat hat eine Verpflichtung, die Medienvielfalt sicherzustellen. Das sieht im Übrigen auch der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte so.

«Weder in Skandinavien noch im Schweizer Modell gibt es einen Leistungsauftrag oder eine inhaltliche Evaluation der Berichterstattung»

Dänemark, Schweden und Norwegen setzen auf eine «direkt-selektive Produktionsunterstützung» von Onlinejournalismus. Was muss man sich darunter vorstellen?
Alle drei skandinavischen Länder kennen seit Langem eine direkte Förderung von Printmedien. Zwar gilt wie in der Schweiz ein reduzierter Mehrwertsteuersatz für die Presse, und diese indirekte Förderung ist in allen europäischen Ländern finanziell gesehen die bedeutendste Massnahme überhaupt. Aber anders als in der Schweiz vergünstigt man in Skandinavien nicht den Posttransport von Zeitungen, sondern subventioniert die Presse direkt. Selektiv meint hierbei, dass nicht alle Medien gleich profitieren, sondern kleine Titel bevorzugt werden. Mit der Digitalisierung war es dann relativ einfach, dieses Modell auf Onlinemedien auszudehnen: Egal ob Print oder Internet – alle textbasierten journalistischen Angebote werden in so einer konvergenten Förderung gleichbehandelt.

Lässt sich dieses Modell so einfach auf den Kleinstaat Schweiz mit seiner Sprachenvielfalt und einer anderen Kultur und einem kritischen Verhältnis zum Staat übertragen?
Warum denn nicht? Das vorgeschlagene Massnahmenpaket respektiert die Unabhängigkeit der Medien – es leistet sogar einen Beitrag dazu, dass Medien ihrer wichtigen Aufgabe nachgehen können. In der Forschung zählen die skandinavischen Länder übrigens zum selben Typus von Mediensystemen wie die Schweiz – die Unterschiede sind also nicht so gravierend. 

Zentral beim nordischen Modell und bei der Onlineförderung des geplanten Medienpakets sind die Förderkriterien. Gemäss der Nein-Seite würden genau diese dazu führen, dass Staatsbeamte entscheiden, welche Medien von Subventionen profitieren würden. Was entgegnen Sie?
Die direkte Onlinemedienförderung, die Teil des Massnahmenpakets ist, funktioniert genau gleich wie die indirekte Posttaxenverbilligung bisher schon: Wer bestimmte formale Förderkriterien erfüllt und einen Antrag stellt, bekommt die Gelder weitgehend automatisiert. Also alles wie bisher. Und weder in Skandinavien noch im Schweizer Modell gibt es einen Leistungsauftrag oder eine inhaltliche Evaluation der Berichterstattung. Damit besteht gar kein Hebel, um besonders staatskritische Medien abzustrafen. Bei der genau gleich funktionierenden Posttaxenverbilligung beschwert sich jedenfalls niemand über sogenannte «Staatsmedien». Und auch bei den Lokalradio- und Regionalfernsehstationen, die seit Jahrzehnten einen Teil der Serafe-Abgabe erhalten und sogar einen Leistungsauftrag erfüllen müssen, wäre mir dieser Vorwurf neu. 

«Die grössten Onlinemedien wie 20minuten.ch oder blick.ch sind gratis, also gar nicht förderberechtigt»

Was sagen Sie zur Kritik der Gegner am Medienpaket, dass 70 Prozent der Fördermittel direkt zu den grossen Medienkonzernen fliessen würden?
Ich wüsste ja gerne, wie irgendjemand heute so genau berechnen kann, wie die Förderung sich künftig auf kleine und grosse Medien verteilen würde. Es liegen einfach zu wenige Informationen vor, um präzise Aussagen zu machen. Gerade bei der Frühzustellung lassen sich keine Berechnungen anstellen – bisher ist nur bekannt, dass die Förderung degressiv ausgestaltet wird.

Wie sieht es bei der Posttaxenverbilligung aus?
Davon gehen heute ca. 20 Prozent an Tamedia, CH Media und Ringier, 80 Prozent an kleine und mittlere Verlage. Künftig profitieren zwar auch die wenigen grossen Zeitungen, die bisher ausgeschlossen sind, dafür wird die Förderung aber degressiv ausgestaltet, das heisst: Kleine erhalten pro Exemplar eine stärkere Vergünstigung als grosse. Laut Bakom sollen es künftig immer noch 75 Prozent sein – auf diesen Wert kommt man aufgrund der Erfahrung mit den Covid-Notmassnahmen, von denen alle Zeitungen profitiert haben. 

Auch die Onlineförderung folgt einem Degressionssystem. Von welchen Verhältnissen ist hierbei auszugehen?
Die kleinsten Medien bekommen bis zu 60 Prozent ihrer Publikumseinnahmen aus der Förderung, die grössten hingegen – so hört man – nur gerade 1,5 Prozent. Für Onlineangebote mit dem gleichen «Zeitungsmantel» kann zudem nur ein Antrag auf Förderung gestellt werden. Anrechenbar sind auch nur die Publikumseinnahmen für das Onlineangebot. Und die grössten Onlinemedien wie 20minuten.ch oder blick.ch sind gratis, also gar nicht förderberechtigt. Das Bakom geht davon aus, dass je rund die Hälfte der Förderung zu kleinen und zu grossen Verlagen fliessen würde. Kleine Medien würden unter dem Strich also deutlich profitieren – und viele von ihnen brauchen diese Förderung auch, weil sie in sehr kleinen Märkten tätig sind.

Die Macher der Gratismedien verstehen nicht, weshalb ihre Angebote nicht gefördert werden sollen. Hat man sie in der Debatte vergessen oder wie ist dies zu rechtfertigen?
Das ist ja schon bisher bei der indirekten Posttaxenverbilligung so. Ich gehe davon aus, dass Bundesrat und Parlament die Onlinemedienförderung einfach sehr eng an einem Modell anlehnen wollten, das man in der Schweiz schon seit Gründung des Bundessstaates kennt. 

«Ich befürchte, dass bei einem Nein der Rotstift auch bei Lokal- und Regionalredaktionen angesetzt wird»

Der Verein «Media Forti», den Sie präsidieren, ist Mitglied des Ja-Komitees «Die Meinungsfreiheit» – aktuell sieht es gemäss Umfragen nicht nach einer Annahme aus. Was würde ein Nein für den Schweizer Journalismus bedeuten?
Warten wir den Abstimmungssonntag ab. Bei aller Unzufriedenheit mit einzelnen Medienleistungen und trotz der Tatsache, dass das Massnahmenpaket ein politischer Kompromiss ist, der halt bessere und schlechtere Elemente enthält: Viele Menschen sind sich bewusst, wie wichtig Medien für unsere Demokratie sind und dass Medien anständig finanziert sein müssen, damit sie ihre Aufgabe erfüllen können. Bei einem Nein wird die Lage für viele kleine Zeitungen und Onlinemedien schwierig.

Inwiefern?
Auflagen sinken, die Printwerbung ist stark rückläufig, im Internet geht die Werbung grösstenteils zu Kleinanzeigenportalen und internationalen Plattformen, die Zahlungsbereitschaft online ist tief. Mit der Einrichtung von Zentralredaktionen wurde bereits auf sprachregionaler und nationaler Ebene gespart – ich befürchte, dass bei einem Nein der Rotstift auch bei Lokal- und Regionalredaktionen angesetzt wird. Und das hat Auswirkungen auf unsere Demokratie. Aus der Forschung wissen wir, dass das Ausmass der Lokalberichterstattung direkt mit der Wahlbeteiligung auf Gemeindeebene zusammenhängt.

Lassen Sie uns zum Schluss auf den SRF-«Club» zurückkommen: Würden Sie mit dem Wissen von heute bei vergleichbarer Besetzung nochmals teilnehmen?
Grundsätzlich ja – und die Besetzung war mir ja vorher bekannt. Auch wenn ich mir eine zivilisiertere Debatte gewünscht hätte, finde ich es dennoch wichtig, dass sich Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler einbringen. Abgesehen davon spricht das Verhalten einiger Gegner ja auch für sich selbst.


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KOMMENTARE

Piero Schäfer
31.01.2022 09:44 Uhr
Hervorragendes Interview! Hoffe, dass ein paar Tageszeitungen es übernehmen werden, wenn es nicht schon zu spät ist!
Maja Ziegler
31.01.2022 07:46 Uhr
Professor Puppis ist ein Idealist, fern der Praxis und der Realität. Das Verlagsgeschäft ist ein Business wie jedes andere auch. Er muss wirtschaftlich geführt und nicht vom Staat subventioniert werden. Das erfordert eine hohe Leistungsbereitschaft, Disziplin und Leidenschaft für das Zeitungsgeschäft. Die Redaktionen müssen zwingend unabhängig sein und bleiben. Alles andere ist Betrug am Leser.
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