12.09.2000

Konzern-Journalismus bei tamedia?

Die Zürcher Gratiszeitung Metropol wirft Philipp Löpfe (Bild), Chefredaktor des Tages-Anzeigers, in ihrer Ausgabe vom Dienstag vor, die Veröffentlichung einer eher negativ gefärbten TV-Kritik zu Big Brother auf TV3 unterbunden zu haben. TV3 ist zu 50 Prozent im Besitz der tamedia, zu der auch der Tages-Anzeiger gehört. Unterdessen hat sich die Mediengewerkschaft comedia eingeschaltet, die in einem Schreiben die "Zensur beim Tages-Anzeiger" kritisiert und vor dem "sich ausbreitenden Konzernjournalismus" warnt. "persoenlich.com" hat Philipp Löpfe zu den Vorwürfen befragt. Das Interview:
Konzern-Journalismus bei tamedia?

"Maulkorb beim Tagi – Chefredaktor untersagt kritischen Bericht zu Big Brother" titelte Metropol in seiner heutigen Ausgabe.

Erst einmal beinhaltet der Artikel einige faktischen Fehler. So handelt es sich zum Beispiel nicht um einen Bericht zu "Big Brother", sondern um eine Fernsehkritik. Und diese Fernsehkritik habe ich abgelehnt – nicht aus publizistischen Gründen, sondern schlicht und einfach, weil die Wortwahl des Autors unter der Gürtellinie war. Zu schreiben, alle "Big Brother"-Teilnehmer seien geisteskrank, so etwas kann ich nicht akzeptieren.

Einmal mehr steht der Vorwurf des Konzernjournalismus im Raum.

Natürlich steht jedes Verlagshaus vor der Frage, wie es mit den anderen hausinternen Objekten umgehen soll. Bei der tamedia gibt es keine Vorschriften in Bezug auf Konzernjournalismus. Die einzige Regel besteht darin, dass jeder Artikel, der hausinterne Themen beinhaltet, vom Chefredaktor oder seinen Vertretern gegengelesen werden muss. Aus genau diesem Grund habe ich die TV-Kritik zu "Big Brother" auf den Tisch bekommen, schliesslich wird mir nicht jede Kritik vorgelegt. Der Autor hat mir also seinen Text vorgelegt, den ich als zu grob empfunden und daraufhin abgelehnt habe. Es ist schliesslich nicht unsere Art, Leute aufs Gröbste zu beschimpfen. Es gibt keinen Konzernjournalismus beim Tages-Anzeiger. Und mal abgesehen davon bewegt sich die Anzahl der Artikel über andere tamedia-Produkte selbst übers Jahr gesehen wohl irgendwo im Promillbereich.

Gegenüber der welschen Tageszeitung Le Temps haben Sie Ihre Zensur damit erklärt, dass Sie jegliche Aufregung vermeiden wollen, die den bevorstehenden Börsengang der tamedia negativ beeinflussen könne. Nun haben Sie die Aufregung, die Sie doch vermeiden wollten.

Und ob! (lacht) Ein tpischer Fall von einem Interview, das in Hochdeutsch geführt wurde, dann ins Französische übersetzt wurde, um anschliessend überspitzt wieder auf Deutsch zitiert zu werden! Das einzige, was ich damals gegenüber Le Temps gesagt habe, war, dass es natürlich sei, dass vier Wochen vor dem IPO mein Blutdruck erhöht sei. Und das hat – falls mein Französisch gut genug ist – Le Temps auch korrekt wiedergegeben. Alles andere wurde von Metropol beim Rückübersetzen zugespitzt.

Redaktoren des Tages-Anzeiges meinten gegenüber Metropol, es sei verheerend, die Pressefreiheit wirtschaftlichen Überlegungen unterzuordnen.

Ehrlich gesagt bezweifle ich, dass das Redaktoren vom Tagi gesagt haben sollen. Was hingegen stimmt, ist dass wir eine sehr interessante und auch konstruktive Aussprache mit der Redaktion hatten, in der ich meinen Standpunkt vertreten habe. Die Stimmung war keineswegs feindlich, sondern gut. Und somit tendiere ich dazu, die Zitate – die auch noch anonym waren – für frei erfunden zu halten.

Müssen wir damit rechnen, dass der Tagi – zumindest bis zum Börsengang – weitere das eigene Haus betreffende Themen weichspülen wird?

Nein, und zwar aus zwei Gründen. Erstens rechne ich nicht mit einer Flut von Themen, die die tamedia betreffen und die auch für den Tagi interessant wären. Und zweitens war kritische hausinterne Berichterstattung noch nie tabu – solange sie sich nicht unter der Gürtellinie bewegt. Aber einfach zu schreiben, dass alle "Big Brother"-Containerbewohner geisteskrank seien, das halte ich für nicht akzeptabel.

Unterdessen hat sich auch die Mediengewerkschaft comedia eingeschaltet, und kritisiert in einem Schreiben an VR-Präsidenten Dr. H.H. Coninx die Zensur beim Tages-Anzeiger (siehe auch Rubrik "Medien").

Wahnsinn (lacht laut). Wissen Sie, dass TV3 für "Big Brother" mit dem Spruch vom ganz normalen Wahnsinn wirbt? Ich glaube, da ist tatsächlich was dran!



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