Erstmals hat ein Schweizer Gericht den Gewinn berechnet, den ein Medienunternehmen mit persönlichkeitsverletzender Berichterstattung erzielt haben soll. Wie plausibel erscheint Ihnen der Betrag, den Ringier an Jolanda Spiess-Hegglin zahlen soll?
Das Kantonsgericht Zug begründet in seinem Entscheid ausführlich, wieso es grundsätzlich der Berechnungsmethode von Jolanda Spiess folgt. Ringier drang mit der eigenen «Mehrgewinn»-Berechnungsmethode und den entsprechend vorgelegten Zahlen nicht durch.
Wieso nicht?
Das lag in der Sache unter anderem daran, dass Ringier zum Teil mit Zahlen aus dem Jahr 2023 argumentierte, obwohl es um Artikel aus den Jahren 2014 und 2015 ging. Das lag aber auch daran, dass das Gericht auf dem Bundesgerichtsurteil zur Gewinnherausgabe in Sachen Willy Schnyder, dem Vater der Tennisspielerin Patty Schnyder, von 2006 aufbaute und auf die rechtliche Lehre verweisen konnte. Mir erscheint mit Blick auf den begründeten Entscheid plausibel, dass Jolanda Spiess mit ihren finanziellen Forderungen deutlich näher an der Wahrheit lag als Ringier.
«Klar ist gemäss Rechtsprechung, dass es immer nur um eine Schätzung gehen kann»
Die Berechnung des erzielten Gewinns wird immer ein Knackpunkt bleiben, weil es keine einheitliche Methode dafür gibt. Warum sollte gerade ein Gericht den korrekten Wert ermitteln können?
Ein Gericht, in diesem Fall das Kantonsgericht Zug, bewegt sich nicht im luftleeren Raum. In einem Zivilverfahren müssen die Parteien die Tatsachen, auf die sie sich berufen, darlegen und entsprechende Beweismittel liefern. In diesem Fall argumentierten beide Parteien unter anderen mit eigenen Privatgutachten. Das Gericht bildete sich seine Überzeugung, wie die richtige Berechnung aussieht, aufgrund der Argumente und Beweise, welche die Parteien vorbrachten. Ob diese Überzeugung rechtlich und sachlich stimmt, werden die weiteren gerichtlichen Instanzen zeigen, sofern sich die Parteien nicht doch noch einigen können. Klar ist gemäss Rechtsprechung, dass es immer nur um eine Schätzung gehen kann.
Gegenstand der Klage waren vier Artikel mit denen Ringier einen Gewinn von über 300’000 Franken erzielt haben soll. Nun hat aber Blick damals über 150 Artikel zu Jolanda Spiess-Hegglin veröffentlicht. Könnte es also sein, dass Ringier dereinst mehrere Millionen Franken an Gewinn herausgeben müsste?
Ja, das wäre denkbar, wenn Jolanda Spiess-Hegglin alles in allem vor Gericht obsiegen würde. Bei 150 Artikeln, für die Ringier beispielsweise jeweils einen Gewinn von 50'000 Franken an Jolanda Spiess herausgeben müsste, würde einschliesslich Zins ein Gesamtbetrag von deutlich mehr als zehn Millionen Franken resultieren. Der geschuldete Zins von fünf Prozent erhält mit jedem weiteren Tag, den das Verfahren dauert, grösseres finanzielles Gewicht. Die prozessualen Hürden für Jolanda Spiess-Hegglin wären aber hoch.
«Wenn der Entscheid des Kantonsgerichts Zug abschreckt, dann hoffentlich vor einer vergleichbaren Berichterstattung»
Wenn das Urteil vor den höheren Instanzen Bestand hat, würde dies, wie Ringier befürchtet, eine abschreckende Wirkung auf die personenbezogene Berichterstattung entfalten und damit die Medienfreiheit gefährden?
Nein, ich teile diese Befürchtung nicht. Ladina Heimgartner von Ringier distanziert sich ausdrücklich vom damaligen «harten Boulevardstil», den der Blick längst nicht mehr praktiziere. Heimgartner muss auch eingestehen, dass Ringier mit der Blick-Berichterstattung die Persönlichkeit von Jolanda Spiess widerrechtlich verletzt hatte. Ringier löschte die Artikel aus gutem Grund, sogar aus der Schweizer Mediendatenbank.
Das ist die Vergangenheit. Aber warum sehen Sie keinen Einschüchterungseffekt für künftige Berichterstattung?
Wenn der Entscheid des Kantonsgerichts Zug abschreckt, dann hoffentlich vor einer vergleichbaren Berichterstattung. Die weiterhin vielen Journalistinnen und Journalisten in der Schweiz, die gewissenhaft und sorgfältig arbeiten, können ihre wichtige Funktion wahrnehmen, ohne die Persönlichkeit der Personen, über die sie berichten, widerrechtlich zu verletzen. Die Medienfreiheit ist kein Freipass für Persönlichkeitsverletzungen.
Wie ordnen Sie das vorliegende Urteil medienrechtlich ein? Schliesst es eine Lücke oder schafft es neue Unsicherheiten?
Das Kantonsgericht Zug hat mit seinem Entscheid erst einmal ein bemerkenswertes und lange erwartetes medienrechtliches Präjudiz geschaffen. Immerhin ist die Gewinnherausgabe bei Persönlichkeitsverletzungen seit Jahrzehnten ausdrücklich im Gesetz vorgesehen. Nach dem Bundesgerichtsurteil von 2006 in Sachen Willy Schnyder blieb durch den damaligen Vergleich mit Ringier offen, wie genau der Gewinn, der herausgegeben werden muss, zu berechnen ist. Nun hat das Kantonsgericht Zug gezeigt, wie diese Lücke geschlossen werden kann. Wenn es alles in allem bei dieser Rechtsprechung bleibt, wird jener Journalismus in der Schweiz, der auf Qualität setzt, erheblich gestärkt.
Martin Steiger sitzt im Beirat von #NetzCourage, einer Organisation, die Jolanda Spiess-Hegglin gegründet hatte.
KOMMENTARE
28.01.2025 17:15 Uhr