12.10.2021

Ringier

«Mir ist Authentizität extrem wichtig»

Seit 100 Tagen ist Sandro Inguscio nun Chefredaktor von Blick.ch und Blick TV. In seinem ersten grossen Interview verrät er exklusiv Nutzungszahlen des digitalen Fernsehens. Ausserdem spricht der 35-Jährige über die neue Strategie, Storys in 360 Grad – und Steffi Buchli.
Ringier: «Mir ist Authentizität extrem wichtig»
«Ich kenne nach elf Jahren beim Blick die Mechanik des Newsrooms in- und auswendig», so Sandro Inguscio, seit 1. Juli Chefredaktor von Blick.ch und Blick TV. (Bilder: Blick/Thomas Meier)
von Christian Beck

Herr Inguscio, Sie sind ja quasi der neue Jonas Projer. Wie gross waren die Fussstapfen, die Ihr Vorgänger hinterliess?
Ich bin Sandro Inguscio und darf die wichtige Arbeit fortführen, die Jonas Projer hier begonnen hat. Die Fussstapfen des Projektes sind sehr gross – und ich habe die Ehre, dieses Projekt zu verantworten.

Was ist Ihre Idee von Blick TV?
Die Hauptaufgabe ist, das Projekt noch mehr in den Newsroom zu integrieren, damit es mit der Marke komplett verschmilzt. Blick TV ist Blick – und Blick ist Blick TV. In diesem Bereich konnten wir bereits viel bewirken. Sicherlich ein grosser Vorteil: Ich lebe die Blick-DNA und weiss, wie die User und unsere Leute funktionieren. Ich kenne nach elf Jahren beim Blick die Mechanik des Newsrooms in- und auswendig. Indem die Leitung von Blick.ch und Blick TV nun zusammengeführt wurde, kommt jetzt alles aus einem Guss. Ich wäre aber der Falsche gewesen, um das Projekt zu initiieren. Im Aufbau der Technik und in der Rekrutierung dieses tollen und erfahrenen TV-Teams war die Erfahrung und das Netzwerk von Jonas Projer sehr wertvoll.

«Das ist ein ansehnlicher Wert nach 1,5 Jahren Blick TV»

Jonas Projer wollte nie Zahlen zu Blick TV nennen. Eine der wenigen bekannten Zahlen: 840'000 Zuschauende waren in der ersten Sendewoche dabei (persoenlich.com berichtete). Lassen Sie heute die Katze aus dem Sack?
Es ist nicht so, dass wir keine Zahlen kommunizieren wollen. Uns ist es aber wichtig, Zahlen dann zu publizieren, wenn sie solide und valide sind. Aber da uns Transparenz wichtig ist, werden wir gerne konkret: Im September haben täglich 570'000 Unique Userinnen und User den Livestream von Blick TV gesehen. Im ganzen Jahr waren es, Stand heute, im Schnitt 550'000. Davon schauen sich 410'000 Userinnen und User den Livestream täglich mindestens 15 Sekunden an. Das ist ein ansehnlicher Wert nach 1,5 Jahren Blick TV.

Keine Hexerei, wenn der Videoplayer beim Scrollen einfach mitwandert.
In der zweiten Woche als Chefredaktor führte ich gemeinsam mit der Produkteabteilung eine Neuerung ein. Wer bislang den Player wegklickte, musste dies bei jedem Besuch erneut tun. Neu verschwindet der Player für 24 Stunden – in der Hoffnung, den User morgen wieder überzeugen zu können. Das hat sich bewährt. Die Closing-Rate ist frappant gesunken.

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Sind Sie mit den Zahlen zufrieden?
Zufrieden bin ich nie. Aber was richtig Spass macht, ist die Entwicklung in den vergangenen 100 Tagen. Ich bin wahnsinnig zufrieden damit, wie schnell meine Ideen beim Team und beim User Anklang gefunden haben. Meine Überzeugung ist: Der Blick-User kommt zum Blick, also will er auch Blick erhalten. Die Blick-DNA muss auch im Bewegtbild stattfinden. Und daran arbeiten wir.

Wie?
Ein aktuelles Beispiel. Wenn heute das Thema «Extinction Rebellion» ist und Zürich wird lahmgelegt, dann kann man nicht nur vor Ort sein und live senden. Damit ist es nicht getan. Sonst ist es so: Wer es gesehen hat, hat es gesehen und danach ist fertig. So verschenken wir Potenzial. Es braucht vielmehr vom Newsressort schon im Vorfeld einen Vorschautext, in dem die Polizei sagt, was zu erwarten ist. Blick TV muss vor Ort sein, wenn aktuelle Bilder live gesendet werden können. Das Video-on-Demand-Team muss sofort und anschliessend die besten Szenen in den Artikeln am richtigen Ort platzieren. Gleichzeitig sprechen im Studio 2 zwei Politiker über die Live-Bilder. Daraus generieren wir wiederum ein verschriftlichtes Interview für Online und den Print. Der User erhält so eine 360-Grad-Experience, den Blick in allen Erzählformen – und wir als Titel Inhalte für alle Kanäle.

Bislang war Blick TV eher lineares Fernsehen …
Zu Beginn gab es 17-mal pro Tag eine Sendung zur vollen Stunde. Ich reduzierte diese Sendestruktur auf neu noch drei pro Tag: eine am Morgen, einen Schwerpunkt am Mittag mit dem Fokusthema des Tages und eine Sendung am Abend. In der Zwischenzeit machen unsere Leute Storys in Bewegtbild, die wir auf Blick.ch platzieren. So finden User jederzeit Themen, die sie interessieren – und nicht nur zur vollen Stunde ein neues Häppchen. Es ist ein Wechsel von einer Live-First- zu einer konsequenten Breaking-News-Strategie mit massivem Video-on-Demand-Rückgrat.

«Seit Juli übertreffen wir unsere Ziele deutlich»

Und was bedeutet das für die Zahlen von Video-on-Demand (VOD)?
Durch das «Live to VOD» waren die VOD-Zahlen nicht auf dem Niveau, das wir uns erhofften. Seit Juli übertreffen wir unsere Ziele deutlich. Im Vergleich zum Januar konnten wir im Juli die VOD-Zahlen mehr als verdoppeln. Im August und September hatten wir 75 bis 85 Prozent mehr Views als im Januar. Wir erzielen heute im Schnitt 650'000 bis 850'000 Videoviews pro Tag. Und: Gezählt wird erst, wenn der User die Pre-Roll-Werbung fertig geschaut hat. Das ist die härteste Videowährung, die es gibt.

Was ist Ihnen wichtig?
Aktualität und Dringlichkeit. Wir wollen das schnellste Breaking-TV der Schweiz sein – und damit eine Newsplattform, die mit Geschwindigkeit, Qualität und Professionalität überzeugt. Meine Herausforderung ist es, diese Mentalität in jedem Ressort zu stärken. Wenn sich Kim Kardashian und Kanye West scheiden lassen, ist das eine News für People-Interessierte. Diese Nachricht muss schnellstmöglich in der gleichen Herangehensweise auf der Seite sein wie die Klimaaktivisten, der Flugzeugabsturz oder die Meldung, dass YB Meister ist. Der Blick will den User dort abzuholen, wo sein Herz schlägt.

Sie selbst sind seit 1. Juli in Ihrer neuen Funktion als Chefredaktor Blick.ch und Blick TV. Zuvor waren Sie Nachrichtenchef. Was hat sich für Sie verändert?
(Überlegt.) Ich war schon immer von Leidenschaft und Herzblut getrieben und will jeden Tag besser sein als gestern. Die Leidenschaft für die Marke Blick ist durch meine neue Funktion nun in eine nochmals ganz neue Dimension gerückt. Der Respekt und die Demut vor dieser Aufgabe sind sehr gross.

Sie führen nun 67 Leute – inklusive Freelancern. Begegnen Ihnen Ihre Arbeitskollegen anders als früher?
Nicht so, dass ich es als behindernd empfinde für das, was wir jeden Tag leisten. Ich sage stets: Ich bin immer noch derselbe Sandro. Genau aus diesem Grund sitze ich auch inmitten des Newsrooms. Ich hätte die Möglichkeit gehabt, ein eigenes Büro zu haben – das wollte ich aber nicht. Ich lebe nicht nur die Marke Blick, ich will sie auch spüren. Nur so kann ich die Geschichten leben und prägen, so wie ich das möchte. Ich will nahbar sein, weil wir nahbaren Journalismus machen.

«Ich will vorangehen und meinem Team als Vorbild dienen»

Und sonst? Was zeichnet Ihren Führungsstil aus?
Ich sah mich immer weniger als Chef, sondern als Leader. Ich will vorangehen und meinem Team als Vorbild dienen. Ich will meine Leidenschaft, die ich für diesen Job und diese Marke seit eh und je hatte, jeden Tag vorleben. Die Mitarbeitenden sollen sich an mir orientieren, festhalten und notfalls auch hinter mir verstecken können. Sie können auch mal vorausgehen, immer im Wissen, dass ich ihnen den Rücken freihalte. Mir ist Authentizität extrem wichtig.

Von der Starttruppe sind einige nicht mehr dabei – darunter die Moderatoren und Moderatorinnen Simone Stern, Nico Nabholz oder Damian Betschart. Wie werden diese Aushängeschilder ersetzt?
Sie werden nicht eins zu eins ersetzt. Ich bin der Überzeugung, dass wir diese freien Moderationsstellen wirkungsvoller fürs Projekt einsetzen können. Mit Reto Scherrer und Sylwina Spiess haben wir zwei Top-Aushängeschilder. Früher wurde praktisch jede Sendung von zwei Personen moderiert. Seit 1. Oktober wird die Morgen- und Abendsendung jeweils von einer Person moderiert, nur den Fokus am Mittag moderieren beide zusammen.

Spiess und Scherrer stehen Ihnen nicht 365 Tage zur Verfügung …
Es gibt neu einen Moderatorenpool für talentierte Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. So erhöhen wir die Chance, dass jederzeit jemand hier ist, der einspringen kann, auch noch abends in Breaking-Situationen. 

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Gibt es noch weitere News?
Der Sport geniesst historisch beim Blick einen hohen Stellenwert. Deshalb ist es richtig und wichtig, dass der Sport auch sein eigenes Videodesk hat. Früher hatte das Ressort Sport ein eigenes Videoteam. Mit Blick TV kam dann alles aus einem Pool. Ich bin der Überzeugung, dass jeder seine Stärken ausspielen und machen muss, worin er der Beste ist. Drei Desk- und zwei Praktikantenstellen wurden deshalb von Blick TV zum Sport transferiert. So kann Steffi Buchli ein Sport-Videodesk aufbauen, das wiederum ins Bewegtbild einzahlt. Sport in Video funktioniert wahnsinnig gut. 

Nebst Steffi Buchli gibt es noch weitere Chefredaktoren, zum Beispiel für den gedruckten Blick oder den SonntagsBlick. Wie eng ist die Zusammenarbeit?
Noch nie so eng wie heute. Wir haben eine wahnsinnig gute Chefredaktions-Zusammenstellung, die sehr inhaltsfokussiert ist. Niemandem geht es um seine eigene Person, sondern alle arbeiten dafür, dass Blick die Transformation im Digitalbereich und als Marke machen kann.

Seit 100 Tagen sind sie Chefredaktor. Wo stehen Blick.ch und Blick TV in 1000 Tagen?
Mein Ziel ist, dass möglichst vielen Menschen bewusst wird, dass Blick richtig guten Journalismus macht – attraktiv, relevant, immer up to date.



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