22.08.2012

Erfolgreiche Frauen

Mona Vetsch

Einfach und nah an der Scholle ist die Thurgauer Bauerntochter aufgewachsen, bevor sie mit ihrer erfrischenden Art im Nu den Leutschenbach und die Herzen des Publikums eroberte – so die gängige Kurzbiographie von Mona Vetsch. Im Interview mit persoenlich.com nimmt die "Club"- und DRS3-Moderatorin Stellung zu ihrer "Tellerwäscherkarriere". Sie erzählt von ihrer Kindheit, wie sich ihr öffentliches Bild gewandelt hat und von nervigen Mails, die sie frühmorgens bei Laune halten. Das Interview:
Erfolgreiche Frauen: Mona Vetsch

Frau Vetsch, was ist schwieriger, am Morgen früh wach auszusehen oder wach zu tönen?

Wach auszusehen ist eindeutig viel schwieriger. Das schaffe ich manchmal noch nicht einmal nachmittags um halb zwei. Eine grosse Herausforderung ist mittlerweile: Wie schminkt man Augen, wenn man sie vor dem Spiegel nicht aufbringt?

Stimmt, Sie werden mittlerweile ja auch im Radiostudio von Kameras observiert.

Ja, ja! Das ist die Konvergenz. Wir werden von halb sieben bis halb neun auf SF2 übertragen. Das Projekt heisst "3 auf 2".

Kann man lernen, am morgen aufgestellt zu sein oder ist das reine Typensache?

(überlegt) Lernen ist wohl das falsche Wort. Wachsein hat vor allem damit zu tun, ob sich jemand am Morgen um Viertel nach drei überhaupt begeistern kann, etwas zu machen. Wenn man um diese Zeit nur Begeisterung für sein Kopfkissen aufbringt, hat sich die Sache schon erledigt. Für mich spielt die Zeit keine Rolle, entscheidend ist nur, ob genug passiert. Schlimm ist es, wenn nichts läuft. Da habe ich viel lieber Stress, denn Adrenalin hilft am Morgen extrem: Am Ende ist es mir lieber, wenn wir das ganze Programm vom Vorabend über den Haufen werfen müssen, Leitungen zu Korrespondenten zusammenbrechen, als dass Ereignislosigkeit herrscht.

Ist diese Aufregung am Morgen auch meistens gegeben?

Ja, ja. Manchmal reicht schon ein nerviges Mail am Morgen um drei. Dann bin ich schon gut drauf (lacht).

Der Morgen ist eine sensible Zeit. Die Menschen reagieren sehr empfindlich. Ertragen Sie als Hörerin Radiomoderatoren am Morgen?

Es stimmt, keine Zeit ist so sensibel wie der Morgen. Wir bekommen am Morgen auch am meisten Hörerreaktion – im Guten wie im Schlechten. Am Morgen kann ein einziger Spruch für den Hörer Himmel oder Hölle bedeuten. Der Morgen ist im Radio die Prime Time: Es sind diejenigen Leute am Werk, die dem Sender auch das Gesicht geben sollen. Ich selbst habe eine "déformation professionelle". Ich kann nicht mehr Radio hören wie andere Menschen. Ich muss das Gehörte ständig kommentieren, ob alleine oder in Gesellschaft – eine echte Krankheit.

Wen hören Sie denn gerne am Morgen?

Bei DRS 3? Natürlich alle! (lacht). Ich höre aber auch gerne DRS 2. Ich schätze die Ruhe, die von diesem Programm ausgeht. Durch die Privatsender zappe ich mich immer mal wieder durch. Bei Roman Kilchsperger beispielsweise merkt man einfach, dass er sein Handwerk absolut beherrscht.

In der Jugendsendung Oops haben Sie sich bei SF als verrückte Tante etabliert.

(unterbricht) Ohne Tante bitte! – damals war ich noch verdammt jung.

Sie fielen abwechselnd mit blauen und roten Haaren auf. Warum wirken Sie mittlerweile soviel angepasster?

Weil ich natürlich angepasster bin, falls man so bünzlig ist und Angepasstsein mit Haarfarbe gleichstellt. Mit einer solchen Frage kann man bei mir gar nichts abholen: Ich will mich nicht entschuldigen, für das, was ich heute darstelle oder einmal dargestellt habe. Dazu kommt: Es sind seither siebzehn Jahre vergangen. Sich über eine solch lange Zeit nicht zu verändern, das wäre tatsächlich merkwürdig.

Bilder halten Sie aber mit diesen ungewöhnlichen Haarfarben in Erinnerung.

Das stimmt. Als öffentliche Person und gewissermassen als Marke "Mona Vetsch" bin ich gefordert, eine solche Entwicklung für das Publikum glaubwürdig und nachvollziehbar zu machen. Das ist nicht immer einfach. Man kann Zuschauer nicht einfach mit sich nehmen: Wer früher Oops schaute, schaut sich jetzt nicht unbedingt auch den Club an. Man muss aber auch nicht den Anspruch haben, den gleichen Menschen über Jahrzehnte zu gefallen. Aber die Veränderungen passieren natürlich nicht von heute auf morgen, insofern gibt es auch für das Publikum eine gewisse Gewöhnungszeit und sanftere Übergänge. Meine roten Haare waren auch nicht von einem auf den anderen Tag einfach weg, sie sind langsam verblüht.

Artikel über Sie beginnen meistens mit folgender Schilderung: "Sie ist in einem kleinen Dorf im Kanton Thurgau als Bauerntochter aufgewachsen." Und dann folgt die Überleitung zur Karriere in den Schweizer Medien, der Gegensatz vom einfachen Mädchen vom Lande und der grossartigen Medienkarriere in Zürich. Können Sie sich mit dieser biographischen Darstellung identifizieren?

(lacht) Das ist meine Tellerwäscherkarriere. Es ist eigentlich ein Wunder, dass jeweils nicht noch geschrieben steht: "Kommt aus bildungsfernem Haushalt und hat trotzdem die Matura gemacht." Natürlich ist diese Geschichte einerseits ein Fakt, andererseits sehe ich nicht ein, wieso meine Karriere erstaunlicher sein soll, nur weil ich Bauerntochter bin. Beim SF oder bei DRS 3 landet man nicht über Beziehungen, sondern letztendlich über Talent, Engagement, vielleicht auch durch Zufall und mit Glück. In diesem Sinne sehe ich in meiner Herkunft nichts Ausserordentliches. Aber die Leute sind fasziniert von meinem biographischen Hintergrund. Ich darf dann jeweils erzählen, wie ich früher Äpfel aufgelesen habe. (lacht)

Sie finden diese Darstellung aber in Ordnung.

Sie sagt nicht viel über mich aus. Am ehesten sagt sie etwas darüber aus, was mich als Moderatorin auszeichnet. So nimmt mich das Publikum als bodenständig und geerdet wahr, obwohl ich als Bauerntochter ein Totalausfall und für nichts zu brauchen war – das ist keine Koketterie. Meinen Dialekt zum Beispiel finden die einen super, die andere den blanken Horror. Mir haben auch schon Leute schulterklopfend gratuliert, dass ich es "trotz Ihres Dialektes!" geschafft habe.

Wie waren Sie als Kind?

Ich habe viel gelesen und nie gern und gut mit den Händen gearbeitet. Ich habe mir selber das Lesen beigebracht und viel geschrieben. Ich war ein typisches "Sitzt-am-Küchentisch-und-macht-etwas-für-sich-Kind". Als ich ein bisschen älter war, machte ich Rollenspiele mit meiner Schwester. In der Schule war ich sehr gut. Ich war aber gar kein braves Mädchen: im Gegenteil, ein lautes.

Zuhause waren Sie also eher introvertiert?

Ich wehre mich dagegen, dass Lesen etwas Introvertiertes sein soll. Lesen ist direkte Kommunikation – sie findet einfach im Kopf statt. Mich faszinieren alle Arten im Umgang mit Sprache. Logischerweise habe ich auch immer viel geredet. Wer in unserem Haushalt gehört werden wollte, musste laut sprechen, um sich durchzusetzen. Die Vorstellung von mir als stilles Gemüt mit Hornbrille wäre völlig falsch.

Sie haben schon früh viel gearbeitet. Haben Sie das Gefühl, Sie hätten in Ihrer Jugend etwas verpasst?

Ich war auch viel im Ausgang, aber danach fragen Sie ja nicht (lacht). Mein Glück ist, dass ich in meinem Job genau das machen kann, was ich wirklich gern mache. Ich hatte nie ein Hobby. Als Journalist hat man schliesslich auch die Möglichkeit, alles, was einen irgendwie interessiert, in die Arbeit einzubringen. Für Journalisten gibt es zwischen Arbeit und Privatleben auch keine klare Grenze. Wenn ich beispielsweise den Radio einschalte, fängt es bei mir gleich an zu rattern: Haben wir das angesprochene Thema auf unserem Radar? Müssen wir etwas umstellen? Man schaltet kaum ganz ab, gleichzeitig gehört die thematische Grenzenlosigkeit zu den absoluten Vorzügen dieses Berufs.

Sie haben in einer Kirche geheiratet. Sind Sie einfach traditionell oder tatsächlich religiös?

Ich weiss gar nicht, was religiös wäre. Für mich gehört die Kirche wie der Turnverein zu meiner Heimat. Ich bin reformiert und habe die Kirche durchwegs als etwas Positives erlebt. Die Rituale waren auch wichtig für mich. Diese spielen auf dem Land wohl noch eine grössere Rolle: Festlichkeiten wie Erntedank oder Ostern strukturieren die Zeit. Kirchlich heiraten oder nicht war für mich keine grosse Frage.

Tatsächlich?

Ja, da spürt man die ländliche Prägung. Übrigens genauso wie mein Eintritt in den Schützenverein: Wenn man in einem Dorf aufwächst, das keinen Laden, keine Beiz und keine Kirche und nicht einmal ein Postauto hat, überlegt man sich nicht lange, was man mit seiner Zeit Lässiges anstellen könnte, man nutzt die wenigen Möglichkeiten, die es gibt. Man geht in die Jugi, den Turnverein, in die Kirche oder eben in den Jungschützenkurs. Es ist ganz einfach.

Und Sie haben sich speziell für den Jungschützenkurs entschieden?

Nein (lacht). Das war der einzige rebellische Akt in meinem Leben. Als die Anmeldung "an alle Haushalte" gekommen ist, legte mein Vater den Zettel beiseite und sagte, "Mona müssen wir ja ohnehin nicht fragen, die geht da sowieso nicht hin" – ich, mit Irokesenfrisur und so, ist ja klar. Aus Trotz habe ich mich gleich für den Kurs eingeschrieben.

Wie managen Sie Familie und Job?

Durch beidseitiges Job-Sharing. Mein Mann und ich teilen uns sowohl die Berufs- als auch die Familienarbeit – wie man so schön sagt – zu gleichen Teilen. Die Kinder sind zwei Tage in der Krippe. Absprachen sind da eigentlich einzig bei aufwändigen Projekten notwendig, Wir koordinieren uns, dass sich nicht beide gleichzeitig in Zusatzarbeit stürzen. Das Modell funktioniert für uns sehr gut, bei allen Konflikten, die es natürlich trotzdem gibt.

Wie ist das Schweizer Fernsehen als Arbeitgeber?

Als Moderatorin ist man eher vom Format als vom Arbeitgeber abhängig. Für mich klappt es gut, ich könnte mit meinem jetzigen Familienmodell aber keine wöchentliche Sendung machen.

Bei "Focus" waren Sie in einer Führungsposition.

Ja, da leitete ich ein paar Jahre lang ein kleines Team. Das war super. Ein Führungsjob bedeutet meistens auch, dass man für schwer vorausplanbare Einsätze bereit sein muss. Momentan wäre das sehr schwierig, zumindest eine grosse Herausforderung. Im Moment bin ich einfach Angestellte und gesegnet mit guten Chefs.

Wie sind Sie selbst als Chefin?

Keine Ahnung (lacht). Das müssen Sie andere fragen.

Gemäss Ihrer Selbstwahrnehmung?

Im Zuge der Ausbildung, die man als Führungsperson durchläuft, gibt es ja so Tools, mittels denen man sich selbst beurteilen muss. Lustigerweise kam anhand meiner Selbsteinschätzung heraus, dass es sich bei mir klischiert um eine männliche Führungskraft handeln müsste. Denn alle weiblich konnotierten Eigenschaften stellten in meiner Beurteilung eher einen Entwicklungsbereich dar.

Um welche Eigenschaften handelte es sich?

Ich weiss es auch nicht mehr im Detail, Ich kann dann gut mit Leuten arbeiten, wenn ich von diesen überzeugt bin und wenn ich ihnen viele Freiheiten lassen kann, weil ich weiss, dass sie mit diesen gut umgehen können. Die Kontrolle gebe ich jedoch nicht völlig aus den Händen. Ich fordere von mir viel und ich fordere auch von anderen viel. Ich habe also durchaus auch ein sportliches Moment. Das Kompetitive schätze ich sehr. Ich mag es, Ziele hoch zu setzen. Ich mache klare Ansagen und schätze es, wenn dies auch andere tun. Mir kann man fast alles ins Gesicht sagen, ich bin auch nicht rasend nachtragend.

Sind Sie eine Streberin?

Ich bin schon ehrgeizig. Früher wurde ich als ziemliche "Kampfsau" wahrgenommen. Ich bin definitiv nicht der Typ "Mitmachen ist alles". Ich habe früher vor allem Teamsportarten gemacht, da ist jeder Einzelne mitverantwortlich für den Erfolg des Ganzen. Wenn ich etwas mache, gebe ich Vollgas, schliesslich macht das auch mehr Spass.

Wie holen Sie sich in Ihrer jetzigen Tätigkeit Bestätigung?

Das Schöne bei Moderationseinsätzen ist, dass man danach generell immer unzufrieden ist. Wer einen Job sucht, bei dem man am Abend ganz glücklich ins Bett geht und findet, man sei der Grösste, ist da völlig am falschen Platz. Wenn ich nach einem "Club" im Bett liege, gehe ich die ganze Sendung noch einmal durch, und ich ärgere mich, dass ich hier nicht unterbrochen und da nicht auf ein Gesprächsangebot eingegangen bin. Zufrieden ist man nie. Im Gegensatz zu den Menschen am Fernseher, die einfach die eine Sendung gesehen haben, sehe ich immer auch noch die Sendung, die es hätte geben können. Die perfekte Sendung wird es natürlich nicht geben, aber sie geistert in meinem Kopf herum und ich leide an den verpassten Chancen. Das sportliche Element beim Moderieren besteht gerade darin, dass man versucht, aus diesen verpassten Chancen zu lernen und sie das nächste Mal zu nutzen.

Aber jetzt mal ehrlich: Fanden Sie sich noch nie einfach unwiderstehlich gut? Es gibt ja auch Momente der Selbstüberschätzung.

(überlegt) Nein, ich glaube eher, dass ich zur Sorte Mensch gehöre, die sich so lustvoll selbstzerfleischt, dass es für mich und mein Umfeld ganz schön anstrengend sein kann. Diese Momente der Selbstüberschätzung kenne ich also nicht, das hat aber auch damit zu tun, dass meine Arbeit selten nur von mir alleine abhängig ist. Im "Club" zum Beispiel bin ich als Moderatorin immer auch der Eigendynamik des Gesprächs ausgeliefert. Ich kann bei einer Gesprächsrunde mit sechs Teilnehmern unmöglich voraussehen, welchen Verlauf die Diskussion nehmen wird. Am Ende kann ich nie nur mir selbst auf die Schulter klopfen, wir sind immer im Team unterwegs. Es gibt also allenfalls ein Gefühl davon, dass ich alles, was in meinen Möglichkeiten stand, gemacht habe.

Interview: Benedict Neff



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