15.02.2019

Westschweiz

Neue Medien drängen auf den Markt

Nach dem Verschwinden von «L'Hebdo» und «Le Matin» sollen diesen Frühling mit Hilfe von Crowdfunding zwei neue Titel eine Leserschaft in der Romandie finden. Der Journalistenverband Impressum glaubt, dass es Platz für neue Titel hat.
Westschweiz: Neue Medien drängen auf den Markt
Ein halbes Jahr nach dem Verschwinden der gedruckten Tageszeitung «Le Matin» will «Micro» die Lücke füllen. (Bild: Keystone/Laurent Gillieron)

Rückläufige Anzeigen- und Verkaufserlöse haben in den letzten zwei Jahren Spuren in der Medienlandschaft hinterlassen. Wie dramatisch die Situation ist, zeigen Zahlen, die der Medienwissenschaftler Manuel Puppis von der Universität Freiburg erhoben hat.

Demnach gingen die Netto-Werbeumsätze der Kaufzeitungen in der Schweiz seit 1995 um eine Milliarde Franken auf 506 Millionen Franken im Jahr 2017 zurück. Durch die Online-Werbung konnten die Verluste bei Weitem nicht aufgefangen werden. Sie macht heute nur gerade 80 bis 85 Millionen Franken aus. Laut Puppis gibt es in der Schweiz zwar nach wie vor eine beachtliche Anzahl von Zeitungen, mit Ausnahme der Regionalteile aber fast nur noch identische Inhalte.

In der Westschweiz gingen seit Ende 2016 durch Restrukturierungen insgesamt fast 100 Journalistenstellen verloren. «‹L'Hebdo› und ‹Le Matin› haben eine Lücke hinterlassen, die noch nicht gefüllt werden konnte», sagt Dominique Diserens, Zentralsekretärin von Impressum. «Wir glauben, dass es Platz für neue Titel hat.»

Direkte Presseförderung

Es sei deshalb ermutigend zu beobachten, dass zurzeit neue Medien wie Heidi.news und Micro am Entstehen seien. Impressum gibt sich optimistisch für die Zukunft der Medien in der Romandie, wagt aber keine Prognose dazu, wie viele Zeitungstitel – sei es online oder gedruckt – eine Überlebenschance haben.

Eine direkte Presseförderung wäre laut Diserens sicherlich sehr zum Vorteil des Sektors. Man warte deshalb gespannt auf entsprechende Gesetzesprojekte in den Kantonen Genf und Waadt.

Krise nicht bei den Lesern

«Die Presse ist nicht wegen der Leserinnen und Leser in der Krise», sagt der Genfer Journalist Serge Michel. Er schrieb für das «Journal de Genève» und für «Le Temps» und war Mitglied der Direktion der französischen Zeitung «Le Monde». Diese hat er kürzlich verlassen, um an der Lancierung des Projekts Heidi.news mitzuarbeiten. Mit an Bord ist Tibère Adler, ehemaliger Chef von Edipresse.

«Das einzige, das wir gegen das Verschwinden der Pressetitel in der Romandie tun können, ist neue Titel zu lancieren», sagt Adler. «Die grossen Deutschschweizer Verlagshäuser investieren überall, ausser in den Journalismus. Das ist ihre Wahl, aber dies darf uns nicht daran hindern, etwas dagegen zu unternehmen.»

Heidi.news will ab Frühling 2019 in französischer und englischer Sprache zehn bis 15 Artikel pro Tag anbieten, die sich mit Themen wie Wissenschaft und Gesundheit befassen und auf Tablets und dem Smartphone gelesen werden können. Darüber hinaus soll es längere Reportagen und Artikelserien geben, die auch in gedruckter Form erscheinen sollen.

Keine Renditen angestrebt

Die Initianten von Heidi.news konnten bisher rund ein Dutzend Persönlichkeiten überzeugen, in das Projekt zu investieren. Diese stellten ein Startkapital von einer Million Franken zur Verfügung und erklärten sich bereit, in den nächsten zehn Jahren auf eine Dividende zu verzichten.

Bis im Frühling sollen 2000 Gründungsmitglieder gefunden werden, die bereit sind, 160 Franken für ein einjähriges Online-Abonnement zu zahlen. Die Hälfte des Ziels ist laut Adler erreicht.

Papier nicht passé

Auf der Suche nach Geldgebern und Abonnenten ist seit einigen Wochen auch der Verein Micro, der von einer Gruppe von ehemaligen Journalisten, Fotografen und Karikaturisten der eingestellten Zeitung «Le Matin» gegründet wurde. Die meisten von ihnen sind nach wie vor arbeitslos und wollen beweisen, dass die Zeit für Zeitungen in Papierformat nicht vorbei ist, wie Vereinspräsident Fabien Feissli zur Nachrichtenagentur Keystone-SDA sagte.

Falls bis Ende Februar mindestens 90'000 Franken zusammenkommen, soll im Mai der offizielle Startschuss für das Projekt fallen. Zwei Wochen vor Sammelschluss sind bereits 90 Prozent finanziert. Das Journal «Micro» soll drei Mal pro Woche erscheinen und in Restaurants, Bistros und Tea-Rooms in der ganzen Westschweiz gelesen werden können. «Wir wollen eine Zeitung für Monsieur und Madame tout le monde machen, aber nicht den ‹Matin› kopieren», betont Feissli.

Korrekte Löhne

Zurzeit sind Feissli und seine Mitstreiter in der ganzen Romandie unterwegs, um ihre Nullnummer zu verteilen und die Restaurantbesitzer von ihrer Idee zu überzeugen. «Micro» müsse nicht rentabel sein, sagte Feissli. Alle Mitarbeitenden seien bereit, anfänglich ehrenamtlich zu arbeiten. Ziel sei allerdings schon, sich möglichst schnell einen kleinen Lohn auszahlen zu können.

Wie die Zukunft der Medien aussehen werde, sei ganz schwierig zu sagen, sagt der Medienexperte Puppis. Crowdfunding sei sicherlich eine Alternative, wenn es um das Finden von Startkapital gehe. Diese Finanzierungsform dürfe aber nicht mit dem langfristigen Betrieb und Überleben eines Mediums verwechselt werden. (sda/cbe)

Von Bettina Mader, Keystone-SDA

 



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