26.10.2020

Berichterstattung über Corona

Sind die Medien zu abhängig von Experten?

Wissenschaftler sind die Stars der Krise. Das sei problematisch, hiess es am Montag an einem Podium an der Universität Zürich. Laut Medienprofessor Mark Eisenegger hätten die Journalisten bei der Frage der Masken und bei Impfungen kritischer sein müssen.
Berichterstattung über Corona: Sind die Medien zu abhängig von Experten?
Marcel Salathé, Epidemiologe der EPFL Lausanne, ist ein bei den Medien beliebter Experte aus der Wissenschaft. Hier zu Gast bei 10vor10. (Bild: Videostills SRF und Uni ZH)
von Edith Hollenstein

Wissenschaftsberichterstattung ist wichtiger denn je, dennoch werden diese Ressorts in den Medien tendenziell ab- statt aufgebaut. Nur gerade 2,1 Prozent der Medienberichterstattung beziehen sich schwerpunktmässig auf Wissenschaft. Dies zeigt eine Analyse des fög (Forschungszentrum Öffentlichkeit und Gesellschaft) der Universität Zürich im Rahmen des Jahrbuchs Qualität der Medien 2020. Zudem zeige sich eine starke Abnahme der Einordnungsleistung, erklärte Linards Udris, stellvertretender Forschungsleiter des fög, an einer Medienkonferenz am Montag. 

«Wissenschaftsberichterstattung ordnet immer weniger ein. Das sind missliche Grundvoraussetzungen – nicht nur während einer Pandemie», so Udris. Er glaubt: Die Medien hätten besser über Corona berichten können, wenn sie den Wissenschaftsjournalismus besser gepflegt hätten in den letzten Jahren. 

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Anders sieht es Alexandra Trkola. Die Leiterin des Instituts für Medizinische Virologie der Universität Zürich war Gast bei der anschliessenden Podiumsdiskussion. Sie hat in diesen Tagen viel zu tun und neben ihrer intensiven Arbeit steht sie den Medien Rede und Antwort. «Es gibt durchaus gut informierte Journalistinnen und Journalisten, die sich sehr für die Wissenschaft interessieren», stellt Trkola fest (siehe auch Video unten ab 0.40 min).

«Zu viel verlangt»

Die fehlende Einordung sieht sie als kein grosses Problem, denn auch Wissenschaftlerinnen könnten viele Studien selbst nicht abschliessend einordnen. Zu Beginn der Pandemie im Frühling habe man das Virus zu wenig gut gekannt, als dass innerhalb der Wissenschaft ein Konsens bestanden haben könne. Trkola sagt: «Wenn nun von Wissenschaftsjournalisten verlangt wird, die Coronastudien kompetent einordnen und reflektieren zu können, ist das zu viel verlangt.»

In der Medizin gebe es derzeit eine Flut von Veröffentlichungen. «Ein Wahnsinn, was da alles auf den Preprint-Servern veröffentlicht wurde über Corona», sagt Trkola. In diesen Hunderttausenden von Veröffentlichungen eine valide Antwort auf ein Problem zu finden, sei sehr schwierig. Das Filtern überfordere sowohl die Wissenschaft als auch den Journalismus.

Sie ist der Ansicht, dass es richtig und sinnvoll ist, dass Journalisten externe Experten aus der Wissenschaft anfragen und deren Standpunkte transportieren. «Die Schweizer Medien machen ihre Arbeit sehr gut, sehr engagiert und ich finde es nicht verwunderlich, dass Corona einen so grossen Anteil an der Berichterstattung hat», sagt Trkola, die drei Abonnementszeitungen liest und häufig die SRF-Tagesschau, andere SRF-Sendungen sowie Radio konsumiert.

«Tagesschau» sucht Expertinnen

Auch wenn SRF vergleichsweise gut dasteht: Sogar die «Tagesschau» sei sehr stark abhängig von Expertinnen und Experten, sagt Redaktionsleiterin Regula Messerli. Anfangs der Pandemie habe die «Tagesschau» vereinzelt auf die Gesundheitsfachredaktion «Puls» oder auf Wissenschaftsexperten vom Radio SRF zurückgegriffen. Doch starke Abhängigkeit von externen Experten sei eine Tatsache. Messerli sagt, dass ihre Redaktion versuche, nicht immer die gleichen Experten vor die Kamera zu holen, sondern unterschiedliche Meinungen abbilden wolle – vor allem auch jene von Frauen.

Die Vielfalt der Standpunkte sei zentral, denn «vieles in dieser Pandemie ist ja nicht in Blei gegossen. Es gibt ständig neue Erkenntnisse, neue Informationen – man muss frühere Befunde wieder über den Haufen werfen.» Beim Fernsehen sei man bei der Wahl von externen Experten etwas stärker eingeschränkt, denn Interviewte im TV zu sein, sei schwieriger als in Zeitungen oder im Radio – weil das Bild eine wichtige Rolle spiele.

Die Schwierigkeiten, Professorinnen oder generell Frauen als Expertinnen zu finden, ortet Messerli in der Zurückhaltung, die viele Frauen bei Interviewanfragen zeigen würden. Sie hätten sehr hohe Ansprüche an sich selbst und verfügten oftmals über weniger Routine in TV-Auftritten als ihre männlichen Kollegen. Um mehr Frauen als Auskunftspersonen zu gewinnen, sei vor allem viel mehr Recherche von den Journalistinnen und Journalisten gefragt, so Messerli.

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Unter Corona-Einschränkungen: Die Gäste des Podiums abgetrennt durch durchsichtige Wände. (Bild: Videostill Uni Zürich)

Masken und Impfstoff als Beispiel

Ist es also nicht so tragisch, wie die Forscher des fög meinen? An zwei Beispielen präzisiert Mark Eisenegger warum er Wissenschaftsberichterstattung als zentral und von den Medienhäusern vernachlässigt erachtet:

Beim Thema Masken habe er im März, zwei Wochen vor dem Lockdown, festgestellt, dass der Schweizer Wissenschaftsjournalismus zu wenig Kraft entwickelt habe, um die Aussagen des Bundes kritisch genug einordnen zu können. «Vermutlich wäre der Befund zum damaligen Zeitpunkt gewesen, dass man die Wirksamkeit der Masken nicht so genau kenne. Die Medien hätten die Aussagen des Bundesamts für Gesundheit stärker infrage stellen sollen», sagt Eisenegger. «Auch Unsicherheiten bei bestimmten Fragestellungen gehören zur Wissenschaft und zur Einordnungsleistung, die Journalistinnen und Journalisten leisten müssten.»

Zudem habe es sehr früh Meldungen über bald verfügbare Impfstoffe gegeben. Wirklich kritischer Wissenschaftsjournalismus hätte auf Basis von empirischen Belegen aufzeigen sollen, dass man nicht wissen kann, wie lange die Impfstoffentwicklung dauert. Der Journalismus, so Eisenegger, habe gut gearbeitet in dieser Krise. Doch in den letzten Jahren sei ausgerechnet beim Wissenschaftsjournalismus stark gespart worden. Darum müsse man sich nicht wundern, wenn der Journalismus jetzt so stark und «in ungesunder Weise von Experten abhängig» werde.

«Bei BSE war es ähnlich»

Der beim Podium ebenfalls mitdiskutierende Bakom-Direktor Bernard Maissen wiederum sieht das Problem nicht so akut. Früher, bei der BSE-Krise etwa, hätten die Medienhäuser viel grössere Wissenschaftsredaktionen gehabt. Doch der Diskurs sei in etwa der gleiche gewesen wie jetzt bei Corona: «Auch damals haben sich alle auf externe Experten gestürzt – vor allem in der ersten Phase.» Erst mit der Zeit habe es zusätzliche Informationen und damit auch mehr einordnende Beiträge gegeben. Maissen stört sich viel mehr daran, dass Redaktionen Artikel nur wegen knackiger, provokanter Schlagzeilen verfassen.

Laut Matthias Zehnder, Autor, Publizist und Berater, haben die Wissenschaftler als Stars in den Medien wenig mit der derzeit wichtigen Virologie zu tun, sondern vielmehr mit dem Bedürfnis, dass Medien Stars lieben. «So haben sich die in den Medien genannten Experten rasch konzentriert auf drei, vier Personen und die obligaten Gegenstimmen», sagte Zehnder. In der Aufmerksamkeitswelt gelte nun einmal, dass ein Thema personalisiert und emotionalisiert werden müsse.

Gegen Ende der Podiumsdiskussion machte Eisenegger eine bemerkenswerte Aussage: «Es mag vielleicht erstaunen, wenn ich jetzt das als Medienwissenschaftler sage, aber: Selbstverständlich sollten Journalistinnen auch gegenüber Wissenschaftlern kritisch eingestellt sein. Sie sollten generell kritisch umgehen mit Forschern und mit Studien. Nicht nur bei SRF oder bei Abo-Zeitungen: Gerade auch bei Pendlerzeitungen, die sehr viele Leute im Land erreichen: «Wenn dort zu wenig Einordnung und kritischer Umgang gepflegt wird, hat das natürlich gesellschaftlich negative Auswirkungen.»



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Kommentare

  • Victor Brunner, 28.10.2020 09:22 Uhr
    Die Presse, die JournalistenInnen sind auch heute nicht kritisch. Sie sind überfordert und greifen in ihrer Hilflosigkeite zu ExpertenInnen. Deren gibt es viele und teilweise widersprechen sie sich fundamental. Trotzdem wird alles publiziert, der Zwang Seiten zu füllen dominiert, nicht die Qualität, das nachfragen und prüfen!
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