08.11.2020

US-Wahlen

So verkünden die Medien den neuen Präsidenten

New York Times, The Observer, El Mundo, El Pais und auch die Schweizer Sonntagszeitungen: Die Frontseiten nach der Wahl von Joe Biden zum neuen US-Präsidenten.
US-Wahlen: So verkünden die Medien den neuen Präsidenten
Die Frontseite der Sunday Times am Sonntag nach der Entscheidung der US-Wahlen. (Keystone)

Donald Trump und die Medien: Dieses Verhältnis war in den vergangenen vier Jahren oft mehr als angespannt. Entsprechend wenig wehmütig fällt der Abgesang der internationalen Presse nach der Abwahl Donald Trumps aus. Auf den neu gewählten Präsidenten Joe Biden sehen viele jedoch schwierige Aufgaben zukommen. Die Pressestimmen im Überblick:


The New York Times (USA)
«Nachdem das amerikanische Volk in den Abgrund des autokratischen Nationalismus geblickt hat, hat es sich entschieden, von der Kante wegzutreten. Die Auszählung der Stimmzettel wird noch ein paar Tage dauern, aber die Zahlen stehen: Joe Biden wird die 270 Wahlstimmen haben, die für den Einzug ins Weissen Haus erforderlich sind, und wahrscheinlich noch viele mehr. Der vier Jahre lang währende Angriff von Präsident Trump auf unsere demokratischen Institutionen und Werte wird bald beendet sein.»


The Washington Post (USA)
«Die aufrührerische Rhetorik von Präsident Trump im Angesicht seiner Wahlniederlage verdeutlichte die beispiellose Gefahr, der das Land nun durch einen verärgerten und verstörten Regierungschef ausgesetzt ist, der noch 75 Tage im Amt ist. Ausser sich zu weigern, die Niederlage einzuräumen und das Klima durch falsche Betrugsvorwürfe zu vergiften, könnte Herr Trump mit Aktionen in seinen letzten Amtstagen unermesslichen Schaden anrichten, von der Entlassung kompetenter ranghoher Vertreter der Geheimdienste und im Bereich der nationalen Sicherheit bis hin zur Begnadigung seiner kriminellen Gesellen - und vielleicht auch sich selbst.»

 

The Wall Street Journal (USA)
«Herr Trump hasst es, zu verlieren, und zweifellos wird er bis zum Ende kämpfen. Aber wenn es zu einer Niederlage kommt, wird er sich selbst und seinem Land am besten damit dienen, indem er Amerikas demokratische Traditionen wahrt und sein Amt mit Würde verlässt.»

The Observer (England)
«Angesichts so vieler Herausforderungen könnten sich viele fragen, ob Biden, der bald 78 Jahre alt wird, seinen Kurs beibehalten kann. Doch weitaus wichtiger als sein Alter ist die Tatsache, dass er ein anständiger, ehrlicher und erfahrener Staatsmann ist. Nach so viel Verbitterung und Hass ist er der erfahrene Konsensbildner, den die USA und die Welt brauchen (...) Der Jubel ist völlig gerechtfertigt.»

De Telegraph (England)
«Historiker werden wahrscheinlich zu dem Schluss kommen, dass Joe Biden zu einem grossen Teil gewonnen hat, weil er nicht Donald Trump war. (...) Biden muss seinen Sieg in einem Anti-Trump-Referendum in eine Wahl für eine Agenda umsetzen, die die Menschen wirklich zusammenbringt.»


Le Monde (Frankreich)
«Der grösste Fehler wäre es jedoch, sich mit einem Seufzer der Erleichterung zufrieden zu geben. Am Ende von vier Jahren eines verheerenden Mandats, ein paar Monaten eines erniedrigenden Feldzugs und Tagen oder Wochen eines entsetzlichen rechtlich-politischen Guerillakriegs wird der Demokrat (Joe Biden) am Ende in das von seinem Vorgänger verlassene Trümmerfeld vorstossen, mit der gewaltigen Aufgabe, alles oder fast alles wieder aufzubauen.»

Neue Zürcher Zeitung (Schweiz)
«Angetreten ist er als Versöhner, und bei all seinen Schwächen verkörpert er jenen Wesenszug des Landes, der diesem in der Vergangenheit geholfen hat, aus Krisen zu finden. Als ein Mann, der sich nach schweren Schicksalsschlägen (er verlor seine erste Frau und zwei Kinder) und politischen Niederlagen wieder aufrappelte, ist er das Gegenmodell zur narzisstischen Opferrhetorik Trumps.»

Tages-Anzeiger (Schweiz)
«Mehr als 70 Millionen Amerikaner haben Trump diesmal ihre Stimme gegeben ? und damit explizit gutgeheissen, was er in den letzten vier Jahren getan und gesagt hat. Diese Menschen werden nicht verschwinden, auch nicht mit salbungsvollen Aufrufen an Einheit und Harmonie. Und doch: Eine zweite Amtszeit Trumps hätte Amerika an einen finsteren Punkt geführt. Sie hätte die Wunden vertieft und neue geschlagen. Mit Trumps Abwahl ist zumindest die Blutung gestoppt.»

 

SonntagsBlick (Schweiz)
«Noch tobt und wehrt sich Donald Trump. Aber die Zeichen stehen auf Wechsel: Der rote Hahn muss das Weisse Haus verlassen. Klar darf man da aufatmen! Nach vier Jahren Jähzorn und diesen besonders üblen vier Tagen seit den US-Präsidentschaftswahlen vom Mittwoch. (...) Für Euphorie besteht indes auch nach einer Vereidigung von Joe Biden keinerlei Anlass. Das liegt an der Person des neu gewählten US-Präsidenten. Vor allem aber sind die Umstände, die Trump einst ins Amt gebracht und ihm vier Jahre später über 70 Millionen Stimmen eingebracht haben, nicht aus der Welt. In seinem Bestseller "Die Abwicklung" beschreibt der Journalist George Packer den Niedergang der USA als Industrienation und den Einfluss des Geldes auf Washington. In diesem Buch aus dem Jahr 2013 hat Joe Biden einen prominenten Auftritt: Packer schildert ihn als uninspirierten, kalten, ja verlogenen Charakter, der sein ganzes Leben nur von einem Wunsch beseelt war - zum US-Präsidenten gekürt zu werden. Nun sieht Biden diesen Traum verwirklicht. Doch wie er sein Land voranbringen könnte, dazu fehlen dem bald 78-Jährigen die Ideen und die Energie.»

Neue Zürcher Zeitung (Schweiz)
«Biden ist zuzutrauen, das Vertrauen wiederherzustellen. Seine politische Prägung erfuhr er im Senat, in dem Konsensfähigkeit und überparteiliche Zusammenarbeit bis vor einigen Jahren als selbstverständlich galten. Zudem ist er ein Pragmatiker und kein Ideologe. Es wird ihm zwar kaum gelingen, die in den letzten Jahren aufgerissenen Gräben zuzuschütten. Aber vielleicht vermag er immerhin wieder eine Gesprächsbasis zu schaffen, ohne die ein Heilungsprozess aussichtslos ist. Denn diese Wahl hat in erschreckender Weise deutlich gemacht, dass die Anhänger der beiden politischen Lager geografisch, kulturell und medial in Parallelwelten leben, die kaum noch Überschneidungen aufweisen. (...) Trump war angetreten, um die bestehende Ordnung aufzubrechen. Das hat er getan, in seiner Partei, in den USA und weltweit. Die Trümmerhaufen zu beseitigen, wird viele Jahre in Anspruch nehmen, wenn es denn überhaupt gelingt. Biden hat akute Krisen zu bewältigen und muss gleichzeitig die Behebung des Schadens angehen, den Trump dem Ansehen der USA und ihrer Institutionen zugefügt hat.»

De Telegraaf (Niederlande)
«Bis auf weiteres liegt Donald Trump auf Konfrontationskurs. Noch hat er die Zeit dafür. Die amerikanische Verfassung schreibt vor, dass der neue Präsident erst am 20. Januar ins Weisse Haus einzieht. (...) Angesichts der unkonventionellen Art des Präsidenten wird auch befürchtet, dass er bei seinem Auszug keineswegs kooperativ sein wird. In dem Fall wäre es die Aufgabe des Secret Service, der den Präsidenten noch bis zum 20. Januar beschützen muss, ihn aus dem Weissen Haus zu entfernen.»

De Standaard (Belgien)
«Biden erbt ein tief gespaltenes Land mit zersplitterten Machtverhältnissen. Die Demokraten besetzen das Weisse Haus und das Repräsentantenhaus, die Republikaner dominieren den Senat und in gewisser Weise auch den Obersten Gerichtshof. Diese Gegensätze könnten zu einer neuen Pattsituation führen.»

Irish Times (Irland)
«Es wirft ein bemerkenswert schlechtes Licht auf eine schändliche Präsidentschaft, dass der Machtverlust von Donald Trump vor allem von den Autokraten der Welt betrauert wird.»

El Pais (Spanien)
«Der Sieg des demokratischen Kandidaten Joe Biden bei der Präsidentschaftswahl in den Vereinigten Staaten, der stärksten Macht der Welt, bremst den Vormarsch des Nationalpopulismus. Biden ist kein perfekter oder inspirierender Kandidat. Aber er steht dafür, dass das Weisse Haus zur Mässigung, zur Achtung demokratischer Prinzipien und Institutionen zurückkehrt sowie zum Dialog und Multilateralismus auf internationaler Ebene. Sein Erfolg ist ein Zeitenwechsel für sein Land und für den Westen.»

El Mundo (Spanien)
«Joe Biden ist der gewählte Präsident der Vereinigten Staaten. Er reagierte mit einer Erklärung, dass er sich "geehrt" fühle durch "die Ehre, die mir das amerikanische Volk verliehen hat". Der amtierende Präsident Donald Trump weigert sich jedoch, das Ergebnis zu akzeptieren. (...) Aber die Chancen, dass Trump vor Gericht gewinnt, was er bei den Wahlen verloren hat, scheinen gering.»  (sda/dpa/wid)



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