06.02.2023

#MediaToo

Vorwürfe schlagen Wellen – Tamedia wehrt sich

Journalistin Anuschka Roshani hat in einem Spiegel-Gastbeitrag über ihre Zeit beim Magazin von Tamedia berichtet. Mehrere Medien haben den Fall über das Wochenende aufgegriffen. Tamedia informierte am Sonntag die eigenen Mitarbeitenden über die Untersuchungen.
#MediaToo: Vorwürfe schlagen Wellen – Tamedia wehrt sich
Ex-Magazin-Journalistin Anuschka Roshani hat gegen Tamedia und den ehemaligen Magazin-Chefredaktor Finn Canonica schwere Vorwürfe erhoben. (Bilder: Keystone/Ennio Leanza, Tamedia)
von Christian Beck

Die Schilderungen der Ex-Magazin-Journalistin Anuschka Roshani haben hohe Wellen geschlagen. In der aktuellen Spiegel-Ausgabe erhob Roshani schwere Vorwürfe gegen den ehemaligen Magazin-Chefredaktor Finn Canonica. Sie schrieb über Sexismus, Machtmissbrauch und Mobbing. Tamedia warf sie «Verletzung der Fürsorgepflicht aufgrund sexistischer Diskriminierung und Mobbings» vor und reichte deshalb Klage ein (persoenlich.com berichtete).

Die grossen Schweizer Medienhäuser haben den «Fall Roshani» aufgegriffen: Blick, die CH-Media-Zeitungen und die NZZ. Auch 20 Minuten, das wie Tamedia zum Mutterkonzern TX Group gehört, berichtete über Roshanis Gastbeitrag im Spiegel.

Die NZZ befragte ehemalige Magazin-Mitarbeitende. «Man habe von der Ungleichbehandlung und dem Mobbing durch den Vorgesetzten gewusst, sich dieser Dynamik aber kaum entziehen können», heisst es im Artikel. Doch der Fall Canonica ist im Haus Tamedia kein Einzelfall. «Es war alles noch viel schlimmer. Was nun publik wurde, ist lediglich die Spitze des Eisbergs», so ein ehemaliger Magazin-Journalist in einem weiteren Artikel der CH-Media-Zeitungen vom Sonntag.

«Sexistische Arbeitskultur»

Vor zwei Jahren, im März 2021, beklagten sich 78 Journalistinnen in einem Brief an die Chefredaktion über die «sexistische Arbeitskultur». Eine der Initiantinnen des Briefes war Salome Müller. Heute arbeitet sie beim Schweizer Büro von Die Zeit. In einem langen Artikel schrieb sie: «Als sich im März 2021 der damalige Co-Geschäftsleiter Marco Boselli und der Tamedia-Chefredakteur Rutishauser mit den Absenderinnen des Frauenbriefs zu einem Onlinecall treffen, geloben sie Nulltoleranz und volle Aufklärung.» Roshani habe sich dadurch ermuntert gefühlt, Canonicas Verhalten zu melden.

Es habe mehrere Gespräche gegeben und Roshani habe den Tamedia-Verantwortlichen ein siebenseitiges Dossier vorgelegt. «Fünf ehemalige Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Tagi-Magi bestätigten der Zeit, was Roshani in ihrem Dossier beschrieben hat: Finn Canonica habe die Redaktion nach dem Prinzip ‹Inner Circle› und ‹Outer Circle› geführt. Entweder sei man für ihn oder gegen ihn», heisst es im Zeit-Artikel. Die Versuche von Anuschka Roshani, mit Tamedia eine gütliche Einigung zu erzielen, seien gescheitert. Sie erhielt Ende September die Kündigung.

Anuschka Roshani von Tamedia enttäuscht

Gegenüber dem SonntagsBlick zeigte sich Roshani enttäuscht von diesem Verhalten. «Ich begreife nicht, warum mich der Verlag so behandelt hat. Dass sich ein modernes Unternehmen wie Tamedia solchen Fällen nicht stellt, bleibt mir unverständlich», so Roshani gegenüber dem SoBli. Mit ihrem Gang an die Öffentlichkeit gehe es ihr nicht nur um ihren Fall, sondern generell um die Untätigkeit des Verlags.

Tamedia reagierte auf Anfrage von Medien vorerst mit einem einheitlichen Statement, das auch persoenlich.com vorliegt. «Tamedia hat die Vorwürfe von Frau Roshani sehr ernst genommen und akribisch prüfen lassen. Der Konflikt zwischen Frau Roshani und Herrn Canonica war Gegenstand einer von Tamedia in Auftrag gegebenen externen Untersuchung durch eine spezialisierte Kanzlei. Die Untersuchung des Falles ergab, dass sich die von Frau Roshani in diesem Zusammenhang geäusserten Vorwürfe zu einem grossen Teil nicht bestätigten.»

Eine Mitschuld von Roshani «an der für alle Beteiligten schwierigen Situation» könne Tamedia «weder ausschliessen noch bestätigen», heisst es in der Stellungnahme weiter. «Priorität hatte die Wiederherstellung einer unbelasteten Arbeitsatmosphäre. Aus Gründen des Persönlichkeitsschutzes kann Tamedia keine weiteren Angaben zum Fall machen.»

Am Sonntag wandte sich die Tamedia-Geschäftsführung in einer internen Mail an die Mitarbeitenden. «Viele ihrer Vorwürfe erwiesen sich als nicht haltbar», schrieben Geschäftsführer Andreas Schaffner und Mathias Müller von Blumencron, der interimistisch für den Bereich Publizistik & Produkt in der Geschäftsleitung von Tamedia sitzt. Dabei wurde auch eine Zusammenfassung des Untersuchungsberichts den Mitarbeitenden zur Verfügung gestellt (persoenlich.com berichtete). Am späten Sonntagabend wurde auf tagesanzeiger.ch eine Stellungnahme der Chefredaktion veröffentlicht.

Auch der Anwalt von Canonica wies die Anschuldigungen zurück: «Die Vorwürfe treffen nicht zu und werden vehement bestritten.»

Grosse Solidarität

Anuschka Roshani erhalte seit Erscheinen ihres Gastbeitrags viele Solidaritätsbekundungen, wie sie gegenüber dem SonntagsBlick sagte. Eine davon kommt vom damaligen Fraumünster-Pfarrer Niklaus Peter. Canonica unterstellte Roshani eine Affäre mit ihm und nannte sie in einer SMS «Pfarrermätresse». Peter empfinde das von Canonica verbreitete Gerücht «grotesk», wie er dem katholischen Nachrichtenportal kath.ch sagte. «Ich glaube ihr und hoffe, dass sie Gerechtigkeit erfährt.»

Auch in den sozialen Medien erhielt Roshani vor allem Zuspruch. So schrieb etwa Patrizia Laeri, CEO von ElleXX, auf Twitter: «Eine krass mutige Frau. Ein Überlebensmechanismus in der Medienbranche ist Verdrängung. Dies war meine bisherige Strategie.»


Viele andere Journalistinnen und Journalisten lobten auf Twitter Roshanis Mut, mit ihrer Geschichte an die Öffentlichkeit zu gehen. Christof Moser, Co-Gründer der Republik, schrieb: «Wenn diese Schilderungen und das damit verbundene Versagen der Firma für die Herren in der Führungsetage bei TX Group und Tamedia keine Konsequenzen haben, ist dieser Konzern noch verkommener als gedacht.»



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Kommentare

  • Markus Fricker, 07.02.2023 16:15 Uhr
    Die unabhängige Zeitung, welche Frau Witzig zu gründen vorschlägt, gibt es bereits: die Republik!
  • Ruth Christine Witzig, 07.02.2023 08:48 Uhr
    Sehr verehrte Frau Roshani wäre es möglich, dass Sie und viele von Ihren sehr guten Kolleginnen eine eigene Zeitung gründen? Mit grosser Achtung vor Ihnen Ruth Christine Witzig, Kreuzlingen
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