12.12.2022

Jacqueline Badran

«Wir haben nach wie vor eine Parteipresse»

Die SP-Nationalrätin Jacqueline Badran nimmt in Sachen Medien und Journalismus kein Blatt vor den Mund. Ein Gespräch über einen «offensichtlichen Rechtsrutsch» bei den Medien, neue Sprachrohre ihrer Partei, staatliche Medienfinanzierung – und über ein neues Buch, das ihren Weg nach Bundesbern nachzeichnet.
Jacqueline Badran: «Wir haben nach wie vor eine Parteipresse»
«Wir als Gemeinschaft würden es nie akzeptieren, wenn Interventionen des Staats gegenüber den Medien vorgenommen würden», sagt Jaqueline Badran, Zürcher SP-Nationalrätin. (Bild: Keystone/Anthony Anex)
von Tim Frei

Frau Badran, Sie sind bekannt für Ihre regelmässige Medienschelte. Was ist Ihre Motivation dafür?
Politik und Demokratie werden medial vermittelt – in einer direkten Demokratie wie der Schweiz ist dies für die Willensbildung besonders relevant. Wir Politikerinnen und Politiker können die Bevölkerung schliesslich nicht mit einem Megafon erreichen. Wir reden hier von den Medien als vierte Gewalt im Staat, einer Schlüsselfunktion in demokratischen Staaten. Deshalb ist es notwendig und entscheidend, sich mit Fragen wie dieser zu beschäftigen: Wem gehören die Medien? Denn: Was in den Medien kommt, prägt die Welt- und Menschenbilder, Wahrnehmungen sowie Einstellungen zu politischen Fragen in der Bevölkerung.

Was beunruhigt Sie mit Blick auf die globale Medienwelt am meisten?
Der Desinformationskrieg. Er ist das grosse Problem dieses Jahrhunderts, das betone ich seit Langem und nicht erst seit Putins Krieg gegen die Ukraine. Wurde der Desinformationskrieg früher zwischen Geheimdiensten und Staaten geführt, hat sich die Anzahl der Akteure mittlerweile multipliziert: Nehmen wir China, die Türkei, Ungarn, die alle auf diktatorische Methoden setzen: Die dortigen Regierungschefs haben die Kontrolle über die Medien und damit über Köpfe der Leute. Dazu gekommen sind machtsuchende Milliardäre wie Elon Musk. Oder Donald Trump, der die Kontrolle über die Medien als Machtinstrument nutzte. Internet und die sozialen Medien haben zudem die Reichweiten und Geschwindigkeiten von Desinformationen potenziert.

Welche Entwicklungen in der Schweizer Medienlandschaft bereiten Ihnen besonders Sorgen?
Seit einigen Jahren ist eine strukturelle Zusammenschrumpfung der Medien sowie eine Zusammenlegung zum Beispiel von Inlandredaktionen zu beobachten, womit auch die Vielfalt abgenommen hat. Es gibt zunehmend Gebietsmonopole – etwa die CH-Media-Zeitungen im Mittelland sowie in der Ost- und Zentralschweiz. Bei einzelnen Abstimmungen liest man da in allen Titeln den Kommentar eines einzigen Medienschaffenden. Als letzten Monopol-Breaker sehe ich noch SRF. Strukturelle Bedingungen haben zudem dazu geführt, dass Journalistinnen und Journalisten unter hohem Zeitdruck stehen, was sich auf die Qualität niederschlägt. Zudem hat der Spezialisierungsgrad der Medienschaffenden im Vergleich zu früher massiv abgenommen. Der Kampf um Reichweiten und Klicks hat darüber hinaus nachweislich zu einer «Verseichtung» geführt und verdrängt die Relevanz zunehmend.

Wie merken Sie das?
Während ich früher zum Beispiel bei jedem NZZ-Artikel des Raumplanungs- und Verkehrsexperten Paul Schneeberger etwas gelernt, einen «Aha»-Moment hatte, frage ich mich heute nach der Lektüre von Artikeln oftmals: «So what?» Oder ich denke: «Das stimmt doch gar nicht, was der Journalist oder die Journalistin schreibt». Daraus entstand auch das Bedürfnis meines Twitter-Hashtags «Korrigendum». Auch wenn dies nicht beabsichtigt ist, aber solche Fehlinformationen führen in der Konsequenz dennoch zu einer Desinformation der Bevölkerung.

Eine oft geäusserte Kritik von Ihnen lautet, dass viele Medien FDP-nah seien. Es gibt doch auch linke Titel wie die Republik und die Wochenzeitung WOZ …
Ja, aber die Republik ist in der Tendenz linksliberal und betreibt sowieso «À-la-carte-Journalismus» und ist folglich noch kein konstanter Begleiter der politischen Prozesse. Ebenso ist die Wochenzeitung WOZ kein Massenmedium und bedient eine Bubble. Die Wochenzeitung P.S. ist eine Publikation, die sich auf Zürich beschränkt. Der Rechtsrutsch bei den Medien ist offensichtlich, was ebenfalls zu einer mangelnden Vielfalt führt. Praktisch alle Medien sind in FDP-Hand – nicht nur die NZZ, wo es am offensichtlichsten ist. Auch CH Media und Somedia, deren Verleger Peter Wanner respektive Hanspeter Lebrument beide FDP-Mitglieder sind.

«Es ist nicht die Frage, ob wir die Medien finanzieren werden, sondern wann und wie»

Harte Vorwürfe. Aber es gibt doch weder von Wanner oder anderen Verlegern Eingriffe in die Berichterstattung. Die Redaktionen agieren unabhängig, soweit man dies als Beobachter beurteilen kann …
Das stimmt nachweislich nicht. Es gibt Dossiers, auf die von oben eingegriffen wird. Dass Wanner dies beispielsweise bei der Erbschaftssteuer-Abstimmung getan hat, haben mir viele Medienschaffende unabhängig voneinander erzählt. Zudem ist generell bei den Medien der Druck der Werbekunden zu spüren. Dass beispielsweise die NZZ einen kritischen Bericht über eine Immobilienfirma publiziert, ist ein Ding der Unmöglichkeit, weil viele dieser Firmen inserieren. Dass viele Medien klar rechts der Mitte zu verorten sind, zeigt sich auch an der Einstellungspolitik – zum Beispiel bei der Besetzung der Inlandsleitungen. Linke Journalistinnen und Journalisten muss man heute mit der Lupe suchen.

Nochmals: Redaktionen würden Ihnen widersprechen und versichern, dass sie unabhängig sind und sich nicht beeinflussen lassen …
Das ist eine Behauptung von Ihnen, die ein stückweit sogar stimmt. Ich sage nicht, dass alle Medien korrumpiert sind. Meine Aussage ist: Es besteht die Tendenz, die sich deutlich beobachten lässt. Es ist nicht der Chefredaktor, der plötzlich vorschreibt, nach einer bestimmten politischen Linie zu schreiben. Es passiert eher bei einzelnen Dossiers. Ich stelle fest, dass sich die Berichterstattung tendenziell zugunsten der Verleger und Inserenten verschoben hat. Das passiert nicht mutwillig, eher subkutan.

Sie gelten als Verfechterin der staatlichen Medienförderung.
Falsch! Ich spreche stets von Medienfinanzierung, das Wort «Medienförderung» verwende ich nie.

Warum ist Ihnen diese Unterscheidung so wichtig?
Es geht nicht darum, die Medien mit ein paar «Subventiönchen» zu fördern. Wir müssen sie finanzieren, weil sie sich nicht mehr aus Inserate- und Abo-Einnahmen finanzieren lassen – bei gleichzeitig hohem Investitionsdruck, der anhalten wird. Branchenvertreter geben uns hinter vorgehaltener Hand recht. Aber öffentliche Medienfinanzierung wird unter dem Begriff Subvention «geframet», genau deshalb mag ich das Wort «fördern» nicht. Es ist nicht die Frage, ob wir die Medien finanzieren werden, sondern wann und wie.

Was macht Sie da so sicher?
Alle aus der Branche wissen das, nur will es niemand zugeben. Man spricht lieber immer noch davon, dass man nach dem geeigneten Business Model sucht. Oder man argumentiert, dass der Grossteil der Userinnen und User zu den Kommerziellen gehen würde, wenn man die SRG im Onlinebereich einschränken würde. Fakt ist: In Ländern, die keine namhaften öffentlich-rechtlichen Sender kennen, haben die kommerziellen Medien die gleichen Probleme. Besser als sich gegenseitig zu bekämpfen, sollten sich die Privaten und die SRG zusammentun und verstärkt auf Kooperationen setzen, um den globalen Playern wie Google, Facebook und Co, also ihren echten Konkurrenten, um Werbeeinnahmen die Stirn zu bieten.

«Es ist nachweislich der Fall, dass die SP von den Medien mit Disrespect behandelt wird»

Dass das Volk gegen eine «staatliche Medienfinanzierung», wie Sie sie nennen, ist, hat das Nein zum Mediengesetz bewiesen.
Nein, das ist eine falsche Interpretation. Das Abstimmungsvolk wollte zu Recht verhindern, dass Multimillionäre finanziert werden. Denken Sie nur an TX-Group-Verleger Pietro Supino, der sich jährlich um die 40 Millionen Franken an Dividenden ausschütten lässt. Eine erfolgsversprechende Variante der öffentlichen Medienfinanzierung würde ich darin sehen, dass Medientitel aus Medienunternehmen herausgelöst und in eine Stiftung überführt würden, die nur eine beschränkte Rendite machen darf.

Was sagen Sie zum Vorwurf, vom Staat finanzierte Medien seien nicht mehr unabhängig?
Dafür gibt es keine Evidenz. Im Gegenteil: Wenn die Medien von der öffentlichen Hand finanziert werden, bleiben Sie unabhängiger als jetzt durch die verbleibenden Inserenten oder von anonymen Financiers wie beim Nebelspalter. Zudem: In anderen Ländern – zum Beispiel in skandinavischen – hält die Kritik am Staat an oder hat gar zugenommen, seitdem die Medien staatlich mitfinanziert werden. Wir als Gemeinschaft würden es nie akzeptieren, wenn Interventionen des Staats gegenüber den Medien vorgenommen würden.

Apropos Medien: Im Juli hat die SP mit dem Onlinemagazin Direkt ein eigenes Medium lanciert. Gegenüber den CH-Media-Titeln haben Sie 2021 gesagt, dass es ein linkes Medium als Gegengewicht zu den Medien in der Schweiz brauche (persoenlich.com berichtete). Was entgegnen Sie der Kritik der Medienwoche, direkt.ch tauge nicht als «linke Ergänzung»?
Natürlich ist Direkt keine linke Ergänzung. Schliesslich erreichen wir damit vorerst nur unsere Mitglieder. Ich bin überzeugt, dass wir ein eigenes Tagesmedium lancieren würden, hätten wir genügend Ressourcen. Ich zumindest würde das anstreben. Grund: Die SP braucht einen Kanal, in dem ihre Themen im Vordergrund stehen und aus ihrer Perspektive beleuchtet werden. Denn das kommt immer weniger vor.

Fühlt sich die SP demnach im Vergleich zu anderen Parteien von den Medien benachteiligt?
Ich weiss nicht, ob ich es so formulieren würde. Es ist aber nachweislich der Fall, dass die SP von den Medien mit Disrespect behandelt wird. Ich denke an die Narrative gegenüber unserer Partei, die überhandnehmen – zum Beispiel der reflexartige Unfug: «Ihr wollt sowieso nur das Geld verteilen, dass ihr nicht verdient habt.» Oder die Inlandchefinnen der NZZ und des Tages-Anzeigers, die von der SP als «selbsternannte Gleichstellungspartei» gesprochen haben. Wie kann man dermassen geschichtsvergessen sein, das ist nicht nur respektlos, sondern auch bösartig.

Wenn ich Ihnen zuhöre, frage ich mich: Sprechen Sie sich für eine Rückkehr der Parteipresse aus?
Wem gehört die NZZ? Wem der Tagi? Wem CH Media? Wem Somedia? Wem die Gratiszeitungen? Wem der Nebelspalter? Wem die Weltwoche? Wir haben eine krasse Repolitisierung der Medien. Und jetzt der Vorwurf, die SP sei für ein Zurück der Parteiblätter? Wir haben eine Parteipresse. Und eine Verschiebung von recherchierter Berichterstattung hin zu Meinungsartikeln. Die einzige Möglichkeit darauf zu reagieren, ist, auch ein Parteiblatt einzuführen.

«Die Leute kennen einen nur von medialen Auftritten oder durch Zitate in den Zeitungen»

Es gibt allerdings einen grossen Unterschied zum Zeitalter der Parteipresse. Damals waren die Chefredaktoren aller Zeitungen Politiker, heute ist das praktisch kaum mehr der Fall …
Es stimmt: Früher war das transparenter. Heute ist es intransparent, aber de facto herrscht eine Parteipresse. Die Ringier-Medien sind für mich die einzigen, die abgesehen von einzelnen Persönlichkeiten politisch noch nicht klar verortet sind.

In Sachen Parteipresse wird die Wissenschaft dagegen argumentieren. Im Vergleich zu damals haben sich die Forumszeitungen durchgesetzt – unter anderem, da das Bedürfnis nach Parteizeitungen abgenommen hat.
Tatsächlich, die Parteimilieus haben sich über die Jahre aufgelöst. Es gibt nur noch vereinzelte Gebiete in den Kantonen, in denen sie sich gehalten haben. Auch wenn ich mich wiederhole: Das ändert aber nichts daran, dass wir eine stark parteipolitisch, und zwar nach FDP und SVP verortete Medienlandschaft haben.

Mit dem Podcast «Meyer:Wermuth» des Parteiführungsduos Mattea Meyer und Cédric Wermuth hat die SP ein weiteres Sprachrohr lanciert. Stellt die Partei damit nicht die Funktion der Medien als vierte Gewalt infrage, für die Sie sich stark machen?
Überhaupt nicht. Die Berichterstattung der Medien ist nicht mehr so, wie sie sein sollte – weil der SP in den Massenmedien mit Respektlosigkeit begegnet wird und ihre Themen teilweise grobfahrlässig falsch dargestellt werden, müssen wir halt versuchen direkt mit den Menschen zu kommunizieren.

Aber gerade jüngeren Menschen dürfte es schwerfallen, zu unterscheiden, ob es sich bei diesem Podcast um Journalismus oder ein parteipolitisches Kommunikationsformat handelt.
Warum? Es ist ja offensichtlich, dass er von uns ist.

Lassen Sie uns zum Schluss noch auf Ihr Buch* zu sprechen kommen, das von der Journalistin Nathalie Zeindler verfasst wurde. Weshalb haben Sie diesem Projekt zugestimmt?
Vorneweg möchte ich betonen, dass es sich nicht um eine Biografie handelt, sondern um Aspekte meines politischen Werdegangs. Die Leute kennen einen nur von medialen Auftritten oder durch Zitate in den Zeitungen. Das sind zwei Prozent der ganzen politischen Arbeit. Mir war es ein Anliegen, den Leuten einen Blick hinter die Kulissen zu verschaffen, auf die 98 Prozent der Arbeit. Etwa wie viel Aufwand es braucht, bis man als Politikerin so klar sagen kann, was man denkt – beziehungsweise umgekehrt, was viel wichtiger ist: auch denken, was ich sage. Zudem wollte ich darauf aufmerksam machen, dass man in der Politik oftmals total alleine, einsam ist.

Inwiefern?
Zum Beispiel beim Schreiben, Lesen und Recherchieren vor dem Computer. Oder wenn man an Politik- oder Parteiveranstaltungen teilnimmt, reist man allein hin und zurück, bereitet sich alleine vor. Gleiches gilt für Aufritte in den Medien: Man geht alleine zum Interview. Man ist auch alleine, wenn man Schimpfmails liest und beantwortet oder sich durch die Kommissions-Dossiers wälzt. Bevor ich Positionen präsentieren kann, überlege ich nicht einfach ein paar Augenblicke – es sind teilweise jahrzehntelange Denkarbeiten und Aufbau von Wissen, die dem zugrunde liegen. Mich hat es gereizt, Einblicke in diesen Prozess zu liefern.


*Jacqueline Badran vertritt die SP seit 2011 im Nationalrat (ZH). Die 61-Jährige zählt zu den wichtigsten Stimmen der Schweizer Medienpolitik. Seit 2000 ist die Biologin, Ökonomin, Staatswissenschafterin Mitgründerin und Geschäftsführerin der IT-Firma Zeix. 

**Das Buch «Bodenständig und beharrlich. Jacqueline Badrans Weg ins Bundeshaus» (Edition Xanthippe) ist seit 21. Oktober 2022 im Buchhandel erhältlich. Geschrieben wurde es von der Journalistin Nathalie Zeindler. Die Vernissage findet am 19. Dezember um 20 Uhr im Kaufleuten Zürich statt.

 



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Kommentare

  • Maja Ziegler, 13.12.2022 16:31 Uhr
    Frau Badrans Wahrnehmungen bezüglich Parteinahme der grossen Verlagshäuser in Ehren. Bei CH-Media und Somedia, welche mit Wanner verbandelt ist, irrt sie sich. Beide Verleger sind glasklar linksorientiert. Sie hofieren Sommaruga und Berset und nutzen die Vorabinformationen als Aufmacher. Ich spreche aus Erfahrung, weil ich sowohl die Wanner-, wie auch die Lebrument-Titel abonniert habe. Patrick Müllers und Massüger Kommentare sind stets zündrot. Schon möglich, dass Frau Badran als umtriebige Unternehmerin wenig Zeit für das tägliche Zeitungslesen hat. Nochmals: Sie irrt und ihre Behauptungen stimmen so nicht.
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