Am 24. Februar änderte sich unsere Welt grundlegend. Mit dem Angriff der Russen auf die Ukraine zerstob die Illusion, man könne – als wäre nichts geschehen – nach den eigenwilligen Corona-Monaten wieder in die Normalität rüberflutschen. Doch die «Putin-Versteher» lösen nun die «Corona-Leugner» ab, was zumindest erstaunlich ist, da Verstehen und Leugnen semantisch eigentlich einen Widerspruch darstellen.
Für unsere Branche hat die «Zeitenwende» schon ein paar Wochen vorher begonnen. Mit der Brachialablehnung des Mediengesetzes am 13. Februar wurden zwei Klischees zerstört: zum einen, dass Medienthemen – wie oft kolportiert – niemanden interessieren, zum Zweiten, dass die Zahlungsbereitschaft für angeblichen Qualitätsjournalismus immer noch sehr hoch sei. Dass dies nicht der Fall ist, zeigte die deutliche Ablehnung der Medienförderung. Diese war – und das zeigt sich je länger je mehr – eine Zäsur: Wilhelm Tell, als Testimonial der Unterstützer, hat statt der vermeintlichen Branchen-Gesslers Bruno Hug, Phillip Gut oder Peter Weigelt als Initianten des Referendums sich am Ende selbst ins Bein geschossen. Getreu der Schillerschen Devise: «Ein rechter Schütze hilft sich selbst.»
Gewiss haben der Corona-Graben, die Videobotschaft von Marc Walder oder die Millionengewinne der grossen Verlagshäuser den Unmut bestärkt, ausschlaggebend für das Negativresultat waren sie nicht. Vielmehr war das veränderte Medienverhalten bei den Jugendlichen, aber auch die nachlassende Bindung zu einzelnen Medientiteln entscheidend: Eine Zeitung, ein TV- oder Radiosender hat in der Jetztzeit keinen sakralen oder zumindest emotionalen Charakter mehr, sondern ist längst zu einem austauschbaren Alltagsgegenstand geworden.
Ich mag mich erinnern, wie wir als Sekundarschüler die Redaktion der Schaffhauser Nachrichten besuchten und fast schon andächtig Norbert Neininger, den späteren Chefredaktor, anstarrten, oder wie ich genau vor vierzig Jahren Schawinskis Sendestudio im italienischen Como aufsuchte und mich voller Respekt auf seinen Honda setzte, der auf dem vorgelagerten Parkplatz stand, um etwas von seinen revolutionären Vibes zu erspüren. Die Reise nach Italien war übrigens der Siegerpreis eines Moderationswettbewerbs eines Schaffhauser Radio- und TV-Geschäfts.
Heute braucht es keine Antennen im italienischen Hochgebirge mehr, um Alternativ-Programme anzubieten: Seit dem Siegeszug des Internets – und vor allem des iPhones – ist jeder zu einem globalen Sender geworden. Brechts Radiotheorie, die eine Demokratisierung des Mediums forderte, hat sich bewahrheitet, vielleicht ein bisschen anders, als es sich der kommunistische Starautor in Ostberlin ausdachte, an Influencerinnen und Influencer dürfte er kaum gedacht haben.
Es ist erstaunlich, dass genau diese Demokratisierung der Medien, die fast schon unbeschränkten Möglichkeiten, der Welt seine Theorien, seinen Senf oder ganz einfach seine Fake News mitzuteilen, das «Monopol» der traditionellen Medien angekratzt haben. Die weitverbreitete Erkenntnis, dass man fast jede wichtige Information auf dieser Erde irgendwo kostenlos erhält, sowie das durch Corona weitverbreitete Unbehagen gegenüber der medialen Berichterstattung taten ihr Weiteres.
Deswegen war die Ankündigung des frischgekürten Verlegerpräsidenten Andrea Masüger erfrischend, als er in seiner Antrittsrede betonte, dass sich die Verleger nun wieder ihrem Kerngeschäft – nämlich dem Journalismus – zuwenden und nicht weiter über die verlorene Medienabstimmung jammern sollten. Das Erfolgsprinzip der Bauern kann ja kurzfristig erfolgsbringend sein, wie zuletzt die Wahl der Bauerntochter Elisabeth Baume-Schneider in den Bundesrat zeigte, eignet sich aber nicht als langfristige Überlebensstrategie für eine vitale Branche wie diejenige der Medien. Der Spagat zwischen Millionendeals im Internet, wie es Tamedia und Ringier vorexerzieren, und der Brotsamenjagd in Bundesbern ist zu gross. Es wird interessant sein, ob der neue Medienminister Albert Rösti sich auch so offen gegenüber den Bedürfnissen der Verleger und vor allem der SRG zeigt wie seine Vorgängerinnen Simonetta Sommaruga und Doris Leuthard.
Einzige Chance für die Medien ist es, wirklich Qualitätsjournalismus zu liefern und nicht ständig darüber zu sinnieren, wie Journalismus sein müsste, damit er qualitativ hochstehend ist. Konkret: Im Mittelpunkt stehen die Leserinnen oder Leser, die Userinnen oder User, die Hörerinnen oder Hörer, sie sind die alles entscheidende Grösse über den Erfolg eines Mediums. Nur wenn es gelingt, diese an sich zu binden, hat man langfristig eine Überlebenschance. Dazu braucht es vor allem Esprit und auch Überraschung: Schawinskis und Jäggis Endlos-Talk über Corona und Ukraine, Köppels Morgenandacht, Somms Weltanalyse, Seibts Begrüssungsritual, Laeris feministischer Kampf, Zeyers Rundumschläge und Hässigs Gehässigkeiten, um nur einige Beispiele zu nennen, beweisen, dass man gewisse mediale Bedürfnisse auch selber schaffen kann, ohne primär auf staatliche Unterstützung zu schielen, sondern – wie Letzterer – sich sogar noch auf harte juristische Auseinandersetzungen gefasst machen muss.
Obwohl alles im berühmten Fluss ist, zeigt die hiesige Medienlandschaft trotz allem eine bewundernswerte Konsistenz: Alle grossen Medienhäuser – mit Ausnahme der SRG und NZZ – befinden sich weiterhin in Familienbesitz. Peter Wanner ist es mit der Übernahme der Mehrheit von CH Media auf bewundernswerte Weise gelungen, die fünfte Generation seiner Familie zu installieren. Während CH Media auf publizistische Expansion setzt, hat Supinos Unternehmen auch die Vermarktung im Visier. Getreu Jeremias Gotthelfs Devise «Geld und Geist». Jüngstes Bespiel: TX Group übernimmt zusammen mit Goldbach Clear Channel Schweiz. Gerade beim Ersten macht die TX Group keine schlechte Falle, der Beweis, dass auch ein Schweizer Medienkonzern in der Jetztzeit noch rentieren kann. Und es bleibt – im wörtlichen Sinn – sogar noch in der Familie. Dass dies keineswegs Usus ist, zeigt der Blick ins Ausland: Der Springer-Verlag wird längst von der amerikanischen KKR-Gruppe, einer börsenkotierten Aktiengesellschaft, dominiert. Zumindest aktienmässig.
Die Coronakrise hat zweierlei gezeigt: Zeichnete sich vor der Pandemie immer mehr der Trend ab, die Welt aus einem Newsroom zu betrachten und zu analysieren, so haben viele Verlagshäuser die Schwierigkeit, ihre Journalistinnen und Journalisten wieder zurück in die Redaktionsräume zu bringen. Dies ist eigentlich absurd: Die Welt für Journalisten ist draussen, ganz sicher nicht im Leutschenbach oder gar im Homeoffice. Und zum Zweiten: Immer weniger Menschen zieht es in den Journalismus. Dies zeigen auch die Reaktionen auf die Stellenausschreibungen unseres Verlags. Man mag dies bedauern, es ist aber Tatsache, dass Kommunikationsabteilungen grosser (oder auch kleinerer) Firmen oder des Staates attraktivere – und auch finanziell interessantere – Alternativen zum Journalismus versprechen.
Und so setzt sich allmählich immer mehr die Devise «Schreiben, wie es sein müsste» gegen die Augsteinsche Formel «Schreiben, was ist» durch. Schönfärberei gegen Realität. Auch damit kann man leben.
Im Namen unseres ganzen Teams möchten wir Ihnen besinnliche Weihnachtstage und ein erfolgreiches 2023 wünschen. Wir wissen Ihr Engagement und Ihre Treue zu unserem Medium sehr zu schätzen und möchten uns auch dafür bedanken.
KOMMENTARE
29.12.2022 14:03 Uhr
24.12.2022 09:36 Uhr
23.12.2022 10:02 Uhr
23.12.2022 09:58 Uhr
23.12.2022 08:55 Uhr