15.09.2020

Serie zum Coronavirus

«Ein Virus treibt uns das Politisieren nicht aus»

Diese Woche hätte der traditionelle Farner-Treff im Kaufleuten stattgefunden. In der Ausgabe 118 der Serie zum Coronavirus spricht CEO Roman Geiser über die Folgen der Krise für seine Agentur, Rod und die BAG-Kampagne und wirft einen Blick aufs nächste Jahr.
Serie zum Coronavirus: «Ein Virus treibt uns das Politisieren nicht aus»
Verbrachte die Sommerferien in Arosa und Korsika: Farner-CEO Roman Geiser. (Bild: Farner)

Herr Geiser, am Montag hätte ja der traditionelle Knabenschiessen-Anlass von Farner im Kaufleuten stattgefunden. Sie haben ihn ja sehr früh abgesagt. Was gab den Ausschlag?
Wir hatten im April noch die Hoffnung, dass die COVID-Situation im Herbst soweit unter Kontrolle sein könnte, dass das Knabenschiessen und unser Anlass stattfinden kann. Das ging wohl vielen Veranstaltern von Events so, schliesslich war der Umgang mit einer Pandemie für uns alle Neuland. Bei vielen Gesprächen mit möglichen Teilnehmerinnen und Teilnehmern haben wir gespürt, dass noch grosse Unsicherheit herrscht. Auch haben viele unserer Kunden in ihren Unternehmen klare Weisungen, «nicht zwingenden Anlässen» fernzubleiben. So schien es uns nicht angemessen, unsere Gäste in eine Entscheidungsnot zu bringen.

Haben Sie es nachträglich einmal bereut, dass er dieses Jahr nicht stattfindet?
Ich bedaure natürlich, dass wir unsere Kunden dieses Jahr nicht wie gewünscht empfangen und bewirten können. Aber es gibt bestimmt wieder eine bessere Zeit, Begegnungen befreiter gestalten zu können. Zu bereuen gibt es hingegen nichts, denn der Entscheid war richtig. Ich kann mir nicht vorstellen, dass sich in der aktuellen COVID-Situation – und ohne echtes Knabenschiessen – über 100 Gäste und unsere Mitarbeitenden unbeschwert und fröhlich treffen und austauschen würden.

«Deutlich zugenommen haben Dienstleistungen wie Issue Management, Krisenkommunikation, Transformationsbegleitung oder Digital»

Was heisst das eigentlich organisatorisch?
Wir mussten zum Glück nicht unzählige Vorbereitungsstunden in den Wind schreiben, denn wir haben den Entscheid früh gefällt. Was uns derzeit aber intensiv beschäftigt, ist der Aufbau von neuen Gefässen, um uns mit unseren Kunden ausserhalb des Tagesgeschäfts auszutauschen.

Wie ist Farner als multimediale Firma durch die Krise gekommen. Welche Bereiche haben verloren? Welche profitiert?
Farner ist glücklicherweise breit aufgestellt und wir haben eine ziemlich robuste Kundenbasis. Deutlich zugenommen haben Dienstleistungen wie Issue Management, Krisenkommunikation, Transformationsbegleitung oder Digital. Und dann haben uns natürlich Corona-bedingte Kampagnen für die öffentliche Hand sehr stark beschäftigt. Abgenommen haben die Angebotskommunikation im Consumer-Umfeld und eventunterstützende Formen der Kommunikation. In der Summe sieht die Bilanz erstaunlich positiv aus.

Mit dem Kauf von Rod, das die ganze BAG-Kampagne macht, hatten Sie ja eine goldene Nase .. Braucht man momentan mehr PR als in «normalen» Zeiten?
Es braucht vor allem eine andere Kommunikation, die zur Situation passt. Krisen sind sowohl Phasen der Unsicherheit, des Umbruchs und des Verlusts, als auch der Neuverteilung und des Neubeginns. Kommunikation muss also mit Unsicherheit, Angst oder Wut der relevanten Stakeholder umgehen, sie aber gleichzeitig auch verständlich und ehrlich informieren, um Vertrauen und Zuversicht aufzubauen. Die BAG-Kampagne von Rod schafft das vorbildlich. Zum guten Riecher: Wir denken immer langfristig, und ich hoffe sehr, dass wir das Kapitel COVID in der Kommunikation lieber früher als später wieder schliessen können.

Farner ist auch eine politische Agentur. Momentan hat man den Eindruck, dass diese politische Auseinandersetzung vielfach zum Erlegen gekommen ist. Teilen Sie diese Ansicht?
Nein. Natürlich sind wichtige Bereiche des politischen Lebens in der Schweiz durch COVID-19 und die Schutzmassnahmen erschwert. Unterschriften zu sammeln oder zur Landsgemeinde zusammenzukommen, zum Beispiel. Gleichzeitig werden die Themen der kommenden Abstimmungen breit diskutiert und es wird um grundsätzliche Fragen gerungen, etwa über die Grenzen zwischen staatlichen Massnahmen und individuellen Freiheitsrechten in einer Krise, über Kompetenzen und Zusammenarbeit bei Bund und Kantonen, über Umweltpolitik, Landwirtschaft oder die Ausgaben der öffentlichen Hand zur Stützung der Wirtschaft. Kurz: Ein Virus wird den Schweizerinnen und Schweizern das Politisieren glücklicherweise nicht austreiben.

«Wir werden das Jahr voraussichtlich mit einem Wachstum von etwas über 25 Prozent auf Ebene der Gruppe abschliessen»

Wie wird sich die Kommunikation in den nächsten Jahren entwickeln?
Äusserst spannend. Es wird ja gerne betont, dass «alles» «immer» komplizierter wird und sich schneller verändert. Genau deshalb wird auch gute Kommunikation wichtiger. In einer komplexen, wechselhaften Welt sind Information, Vertrauen, Beratung und die Integration unterschiedlichster Disziplinen entscheidend. Genau die Stärken von Farner. Konkret wird die Digitalisierung auch in Zukunft ein starker Treiber sein, für Kunden, Agenturen und Medien. Commtech, also der Einsatz von Software- und Technologiewerkzeugen, um Kommunikationskampagnen zu planen, durchzuführen und zu messen, ist dabei in meinen Augen das prägendste Element.

Ist Corona der «Siegeszug» der Digitalisierung?
Auf jeden Fall ist Corona ein starker Beschleuniger einer bereits laufenden Entwicklung. Farner hat wie andere innovative Unternehmen seit Jahren konsequent in Digitalisierung, Datenmanagement und Technologie investiert. Dass nun aber fast das gesamte Leben in der Schweiz praktisch über Nacht zur Digitalisierung gezwungen wurde, hat dem Ganzen deutlich mehr Tiefe und Geschwindigkeit verliehen.

Sie sind Inhaber einer Grossagentur. Wie schätzen Sie die wirtschaftliche Entwicklung der nächsten Monate ein?
Das ungewöhnliche Geschäftsjahr 2019/2020 endet für Farner mit dem September. Die letztjährigen Akquisitionen und neuen Wachstumsinitiativen eingerechnet, werden wir das Jahr voraussichtlich mit einem Wachstum von etwas über 25 Prozent auf Ebene der Gruppe abschliessen. Ohne Akquisitionen wachsen wir im tiefen einstelligen Bereich. Das ist zwar weniger als geplant, aber damit sind wir angesichts der Umstände zufrieden. Niemand ist von dieser Krise unbeschadet, und auch wir haben uns in einigen Bereichen der Agentur schlanker machen müssen.

Und wie wird das nächste Jahr?
Für 2021 hängt natürlich vieles von der weiteren Entwicklung der Pandemie ab sowie von der Dauer und der Intensität der Einschränkungen für die Wirtschaft. Immerhin habe ich den Eindruck, dass wir und die Qualitätsanbieter der Branche vergleichsweise gut aufgestellt sind. Die Kommunikation – bei Kunden, Agenturen oder Medien – befindet sich schon seit langem in einem Transformationsprozess und hat bereits viele Veränderungen vorweggenommen.

Wo haben Sie diesen Sommer Ferien gemacht?
Ich bin ja Heimat-Aroser und so habe ich noch mehr Zeit in den Bergen verbracht. Einen kleinen Abstecher nach Korsika haben wir uns aber erlaubt.

Was war für Sie das prägendste Erlebnis der letzten Monate?
Der «Lockdown» wird mir wohl wie allen Menschen noch lange in Erinnerung bleiben. Die Frage: «Was hast Du gemacht, als die Schweiz (fast) stillstand?» werde ich sicher auch in 20 Jahren noch beantworten können. Mein Privatleben hat mir plötzlich freie Abend ohne geschäftliche Verpflichtungen beschert: Ich empfand das als entschleunigend.  


 

Was bedeutet die Corona-Pandemie für die verschiedenen Akteure der Schweizer Medien- und Kommunikationsbranche? Bis auf Weiteres wird persoenlich.com jeden Tag eine betroffene Person zu Wort kommen lassen. Die ganze Serie finden Sie hier.


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