26.05.2020

Kommunikation des Bundes

«Unsere Regierungsform ist perfekt für Krisenzeiten»

Er managt die Kommunikation in der Krise auf höchster Ebene: André Simonazzi. Der Bundesratssprecher und Vizekanzler spricht über die Arbeit der Medien und die Frage, wo man Abstriche macht, wenn es eilt.
Kommunikation des Bundes: «Unsere Regierungsform ist perfekt für Krisenzeiten»
«Ohne die Kommunikationsdienste der Departemente könnte der Bundesrat nicht kommunizieren», sagt André Simonazzi. Als Vizekanzler und Bundesratssprecher ist für die Regierungskommunikation zuständig. (Bild: Bundeskanzlei/Rolf Weiss)

Herr Simonazzi, welche Frage wurde von einem Journalisten noch nie gestellt, wäre aber dringend nötig?
Ich habe den Eindruck, dass alle Fragen gestellt wurden. Manche sogar mehrmals. Aber in einem sich wandelnden Umfeld wird es immer wieder neue Fragen geben.

Und welche Frage können Sie nicht mehr hören?
«Stimmt es, dass man das Tragen von Masken nicht empfohlen hat, weil man zu wenige Masken hatte?» Ich muss es ein weiteres Mal sagen: Nein, das stimmt nicht! Die Experten haben das Maskentragen aus guten Gründen nicht empfohlen. Und es wurde auch nicht unter den Teppich gekehrt, dass es nicht für alle Masken gibt.

Tragen Sie selber eine Maske?
Wenn es nötig ist, etwa beim Coiffeur oder im öffentlichen Verkehr. Sonst nicht.

«Der Bundesrat hat Tag und Nacht gearbeitet»

Wie hat sich Ihre Arbeit durch das Coronavirus verändert?
Wir haben uns voll und ganz auf die Bewältigung der Krise konzentriert. Die Krisenstäbe wurden aktiviert, darunter auch die Task Force «Corona Kommunikation». In diesen Stäben wurden die Massnahmen zur Bekämpfung der Epidemie entwickelt. Der Bundesrat hat Tag und Nacht gearbeitet. Auch das Bedürfnis an Information über die Krankheit, ihre Entwicklung und die Massnahmen gegen die Epidemie war enorm. Allein zum Thema Coronavirus haben wir über 40 Medienkonferenzen des Bundesrates und der Spezialisten des Bundes durchgeführt. In gewissen Phasen haben wir täglich informiert. Die Kommunikation war auch deshalb ein wichtiges Instrument, weil der Bundesrat auf Selbstverantwortung setzte.

Seit April 2009 sind Sie Bundesratssprecher und Vizekanzler (persoenlich.com berichtete). So viele Medienkonferenzen innert kürzester Zeit dürften auch für Sie ein Novum sein. Wo macht man Abstriche, wenn es eilt?
Man konzentriert sich auf das Wesentliche, die Krise selbst, alles andere hat keine Priorität. Zum Glück haben wir in den letzten Jahren eine gute Infrastruktur für die Regierungskommunikation und gute Prozesse für den Krisenfall aufgebaut. Der Bundesrat arbeitet sehr effizient nach Mechanismen und Entscheidungsprozessen, die in den letzten 170 Jahren entwickelt und verfeinert wurden. Der Bundesrat ist eine Regierungsform, die perfekt für das Regieren in Krisenzeiten gemacht ist: Sieben Mitglieder, die schnell zusammenfinden, die nötige Fachkompetenz in ihren Departementen haben und sich gewohnt sind, schnell pragmatische und ausgewogene Lösungen zu suchen. Das hat man in der Coronakrise gesehen.

Wie viele Mitarbeitende unterstützen Sie in der Kommunikation? Ich nehme nicht an, dass jeder Tweet auch noch von Ihnen persönlich stammt.
Tweets werden hauptsächlich von meinem Team entwickelt, sie sind in diesen Fällen mit (BK) gekennzeichnet. Gelegentlich twittere ich auch selbst oder gehe auf Fragen ein. Ich kann auf ein gutes Team zählen. Das ist zentral, weil wir in der Bundeskanzlei die Kommunikation des Bundesrates koordinieren – von den Medienmitteilungen über die Bundesratsmedienkonferenzen und sozialen Medien bis zur audiovisuellen Kommunikation. Die Kommunikationsteams der Departemente sind bei dieser Arbeit unsere Partner.


Sie koordinieren die Informationstätigkeit der Departemente. Welche Strategie verfolgen Sie dabei während der Coronakrise?
Wir haben entschieden, rasch, umfassend und kontinuierlich zu kommunizieren. Da es bei einer Pandemie viele Unsicherheiten gibt, wollten wir im Rahmen von Medienkonferenzen auf der Fachebene auch auf alle Fragen der Medien eingehen. Darum die langen Medienkonferenzen. Es ist uns zudem wichtig zu sagen, dass man nicht immer alles weiss. Die Situation entwickelt sich, die Entscheide reagieren auf die neusten Erkenntnisse.

«Das Ausmass der jetzigen Krise ist mit vergangenen nicht vergleichbar»

Wie schätzen Sie die Arbeit der Medienschaffenden in den letzten Wochen ein?
Trotz Kurzarbeit haben sie sachlich, ausgewogen und gründlich informiert. Das ist in solchen Krisen von immensem Wert. Fake News, Beeinflussungsversuche oder skurrile Theorien haben es somit schwer, Fuss zu fassen. Die Bevölkerung ist auf solide und vertrauenswürdige Informationen angewiesen. Dass Fehler passieren, gilt in Krisen gleichermassen für die Medien wie für die Behörden. Vereinzelt ist das auch vorgekommen, und dann muss man die Fehler umgehend korrigieren.

Viele Journalisten arbeiten zudem im Homeoffice. Spüren Sie dies in Ihrer täglichen Arbeit?
Ja. Wir mussten bei den Medienkonferenzen Anpassungen machen. Wir konnten nur noch einen Viertel der Plätze belegen. Aber wir haben Möglichkeiten geschaffen, damit die Journalisten ihre Fragen von zu Hause aus stellen können. Die SRG hat mit grossem Aufwand Simultanübersetzungen und Übersetzungen in die Gebärdensprache organisiert, der Bund hat das unterstützt und sich finanziell beteiligt. Die Medienkonferenzen des Bundesrates wurden von hunderttausenden Personen live online oder am Fernsehen verfolgt. Das Ausmass der jetzigen Krise ist mit vergangenen nicht vergleichbar.

Bemerken Sie Unterschiede der verschiedenen Landesregionen – sprich: Sind die Fragestellungen andere?
Die Sorgen um die Gesundheit sind im Tessin und der Westschweiz stärker zu spüren, weil diese Regionen von der Epidemie stärker betroffen sind.

Medienwissenschaftler Vinzenz Wyss sagte in einem persoenlich.com-Interview, Medien hätten vor allem zu Beginn der Coronakrise sehr regierungsnah berichtet. Empfanden Sie das auch so?
Nein. Es gab regionale Unterschiede. Je nach Betroffenheitsgrad der Regionen haben die Medien vom Bundesrat gefordert, schneller Massnahmen zu ergreifen oder härtere Massnahmen durchzusetzen. Auch die Berichterstattung war regional unterschiedlich. Hingegen gibt es bis heute einen Konsens, dass der Bundesrat in dieser Krise einen guten Job gemacht hat. Interpretiert man diese Beurteilung als «regierungsnah»? Ist man nur unabhängig, wenn man etwas negativ beurteilt? Das denke ich nicht.

Hätten Sie sich eine kritischere Auseinandersetzung der Medien mit der Arbeit des Bundesrats gewünscht?
Ich habe keine Zweifel an der Kritikfähigkeit der Medien.

«Ein Fiasko konnte man, so glaube ich, vermeiden»

Es gab durchaus heikle Momente, wie die Grosselternfrage, die Restaurant-Öffnungen oder das Hin und Her um das Angebot der Grossverteiler. Wo oder wann war das kommunikative Fiasko am grössten?
Ein Fiasko konnte man, so glaube ich, vermeiden. Die Erkenntnisse über das Virus nehmen stetig zu, ändern sich aber auch. Sicher: Es wurden Fehler gemacht, es gab manchmal unpräzise oder zu wenig ausführliche Informationen, etwa zu den Lockerungsschritten, bei den Sortimentsbeschränkungen oder der Frage der Kinder. In einer Krise mit diesem Ausmass sind Fehler unvermeidbar, auch daher haben wir quasi jeden Tag informiert und versucht, zu präzisieren oder korrigieren. Ich glaube, dass so auch Vertrauen entsteht. Wenn man hinsteht und fähig ist, Fehler zuzugeben und zu korrigieren. Und diese Fähigkeit haben sowohl Fachexperten wie der Bundesrat gezeigt.

Was würden Sie rückblickend anders machen?
Vieles wurde dank einem enormen Engagement von allen Seiten sehr gut gemacht. Die Krise ist aber noch nicht überwunden und es braucht noch etwas Zeit, um rückblickend eine gute Analyse zu machen. Die Bundeskanzlei wird deshalb für den Bundesrat eine seriöse Auswertung des Krisenmanagements Covid-19 machen, auch zur Kommunikation, um die Lehren aus der Krise zu ziehen. Keine Krise kann ohne Fehler, Mängel oder Lücken bewältigt werden. Es ist eine Chance, diese Dinge zu identifizieren und zur Verbesserung des Krisenmanagements zu nutzen. Ich bin stolz darauf, dass die Angestellten des Bundes in den verschiedenen Bereichen gezeigt haben, über welche Kompetenzen sie verfügen. Und hoffe, dass das der Öffentlichkeit den Wert der Bundesverwaltung aufgezeigt hat.

Freiwillig ist das Maskentragen, das Registrieren in Restaurants, das Benutzen der Contact-Tracing-App, das Zuhausebleiben … Ist so viel Freiwilligkeit das perfekte Kommunikationsrezept für die Schweiz?
Nicht nur für die Schweiz. Freiwilligkeit verlangt aber nachvollziehbare Entscheide und Vertrauen in die Massnahmen, die getroffen werden. Der Bundesrat hat es bisher geschafft, die Bürgerinnen und Bürger zu überzeugen. Die Krise ist aber noch nicht überstanden.

Der Bundesrat war sich nicht immer einig, wie Ueli Maurer in einem NZZ-Interview sagte: «Das alles kollegial mitzutragen, war wirklich nicht immer einfach.» Wie sehr hat Sie dieses Interview geärgert?
Es gehört nicht zu den Charaktereigenschaften eines Bundesratssprechers, sich über Aussagen von Bundesräten zu ärgern. Jedes Mitglied des Bundesrates ist frei, sich zu äussern, wie es will, und das wird in unserem Land auch geschätzt. Gleichzeitig muss auch die Kollegialität eingehalten werden, und auch das haben die Bundesrätinnen und Bundesräte in dieser Krise bewiesen. Ueli Maurer hat sehr entschlossen an Lösungen gearbeitet und die Politik des Bundesrates vertreten.

«Es ist ein Ringen um Lösungen»

Wie konnte es aber passieren, dass in diesem Interview Bundesrat Maurer öffentlich die anderen Bundesräte kritisierte?
Das hat er nicht. Er hat durchblicken lassen, was auch die anderen Mitglieder des Gremiums immer wieder erleben. Es gibt im Bundesrat ein Aufeinanderprallen von unterschiedlichen politischen Meinungen. Es ist ein Ringen um Lösungen. Am Ende kommt es zu einem Kompromiss. Jedes Mitglied muss diesen akzeptieren und vertreten, auch wenn es seinen Überzeugungen nicht vollständig entspricht. Diese Kompromisse im Gremium sind oft die bestmögliche Lösung für unser Land. Es ist für mich sehr faszinierend zu erleben, wie dieses System mit kollektiver Intelligenz Lösungen zum Wohle der gesamten Bevölkerung entwickelt.

Haben Sie dieses NZZ-Interview gegengelesen?
Seit Beginn der Krise koordinieren wir uns mit den Departementen in allen Kommunikationsbereichen. Für die Bundesrätinnen und Bundesräte konnte ich meine Beraterrolle jederzeit ausüben. Das Schwierigste liegt aber bei ihnen: sie müssen abwägen, entscheiden, kommunizieren. Dafür habe ich sehr viel Respekt.

Und das Interview von Daniel Koch im Grosseltern-Magazin?
Nein. Ich stehe vor allem für die Bundesrätinnen und Bundesräte zur Verfügung. In der Koordination mit den operativen Ebenen werden die Stossrichtung, die Botschaften, Dispositive und so weiter besprochen und festgelegt. Jeder behält seine Verantwortung. Wenn etwas nicht gut herauskommt, wird das aber diskutiert, zusammen mit Korrekturmassnahmen.

Ganz grundsätzlich: Welche Interviews und Zitate lesen Sie gegen?
Bei der Koordination geht es um mehr als darum, Interviews oder Zitate zu lesen. Es geht um eine Koordination innerhalb der Verwaltung und auch ausserhalb, bis hin zu den Kantonen, die ebenfalls wichtige Partner für uns sind.

«Die Bundeskanzlei ist das Cockpit der Bundesratskommunikation»

Wie eng ist die Zusammenarbeit mit den Kommunikationschefs der Departemente?
Wir arbeiten sehr eng zusammen. Ohne die Kommunikationsdienste der Departemente könnte der Bundesrat nicht kommunizieren. Die Bundeskanzlei ist das Cockpit der Bundesratskommunikation, die Departemente sind der Motor, die Flügel, das Gepäck. Und sie sitzen als Co-Piloten mit im Cockpit.

Nun wechselt mit Christoph Nufer ein weiterer SRF-Mann als Kommunikationschef zum Bund. Zahlt der Bund die besseren Löhne als SRF?
Dieser Job ist mit viel Verantwortung, Fleiss, schlaflosen Nächten und Belastung verbunden. Er verlangt aber vor allem Eines: den Willen, sich für den Staat und letztlich für alle Bürgerinnen und Bürger dieses Landes zu engagieren. Das sind hohe Ansprüche. Wenn man nur das Geld im Auge hat, muss man es sein lassen …

Wenn die Coronakrise grösstenteils überstanden ist: Was machen Sie als erstes?
Wahrscheinlich die nächste Krise koordinieren. Und mein Japanisch weiter verbessern … das ist aber ein langfristiges Ziel.

Wann waren Sie eigentlich zum letzten Mal in Ihrer Privatwohnung?
Heute Morgen. Wir haben zwar auch abends und an Wochenenden durchgearbeitet, aber ich konnte immer nach Hause gehen. Das liegt auch daran, dass ich in Bern wohne. Und dass wir mobile Arbeitsinstrumente haben. Wir sind gut organisiert.


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KOMMENTARE

Ueli Custer
29.05.2020 16:03 Uhr
Eine der positiven Lehren aus der Coronakrise könnte sein, dass das Sprichwort "Ehrlich währt am längsten" halt immer noch stimmt. Die ehrliche Kommunikation des BR sollte Vorbild für die Wirtschaft sein. Damit nicht weiter Medieninformationen verbreitet werden in deren Titel es heisst "XY setzt weiter auf eine Vorwärtsstrategie" und wo im letzten Satz dann verschämt die Entlassung von hunderten von Mitarbeitenden kommuniziert wird. Sowohl Medienleute als auch die Bevölkerung sind ja nicht blöd und fühlen sich für dumm verkauft. Und das fällt letztlich auf diese Unternehmen zurück.
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