Es dürfte einer der aussergewöhnlichsten Kampagnen des Jahres mit dem aussergewöhnlichsten Testimonial überhaupt sein. Hornbach, einer der grössten Baumärkte überhaupt, hat dem weltberühmten chinesischen Künster und Regimekritiker Ai Weiwei den Auftrag für ein spezielles Kunstwerk erteilt. Einzige Bedingung: Jedermann soll es mittels einer Bauanleitung, die online zur Verfügung gestellt wird, selber bauen können. Damit soll die Kunst «demokratisiert» werden. Am Dienstag wurde das Projekt in Ai Weiweis Atelier in einer ehemaligen Bierbrauerei auf dem Prenzlauer Berg den Medien und Kunstinteressierten vorgestellt.
«Ich hatte Nervenflattern»
Die Idee habe den 62-jährigen Konzeptkünstler sofort begeistert, so die Macher der Kampagne. Baumärkte und Buchläden gehörten nämlich zu Ai Weiweis Lieblingsorten, da dort Handwerk und Geist zusammenbracht würden. Das Konzept zu dieser ungewöhnlichen Aktion stammt von der Schweizer Agentur Neutral Zurich. Bevor aber Creative Director und Mitbesitzer Rudolf Schürmann Ai Weiwei anfragte, kontaktierte er Hornbach per Email und erklärte darin seine Idee. Erst als sich diese interessiet zeigten, reiste Schürmann nach Berlin, um Ai Weiwei selber vom Vorhaben zu überzeugen.
Dabei habe er grosses Nervenflattern gehabt, so Rudolf Schürmann gegenüber persoenlich.com. Doch die Zusammenarbeit mit Ai Weiwei sei sehr kooperativ und unkompliziert verlaufen. In der Erarbeitung und Umsetzung der Kampagne haben sich die zwei Agenturen Neutral Zürich und Heimat Berlin, die Hausagentur von Hornbach, ideal ergänzt: Vom Workshop in Zürich, zum Dreh in Berlin und Cambridge und zurück zum Edit in Berlin. Ai Weiwei wundert sich nur über die immer wieder gestellte Frage, warum er sich für ein Werbekonzept zur Verfügung stelle. Dies sei eine typische deutsche Haltung, ärgert sich der Künstler, in anderen Staaten wäre man gegenüber über der Werbung viel offener und auch toleranter.
«Ein klares Statement für Demokratie»
Entstanden sei eine typische Arbeit von Ai Weiwei: einfach, direkt und bescheiden. Ziel sei es, dass Jede und Jeder «hochaktuelle Kunst im musealen Format» könne und dabei Materialien von Hornbach verwende. Das Werk setze damit ein klares Statement. «Kunst gehört allen. Alle können Künstler sein oder haben die Möglichkeit, Kunst zu schaffen», so Ai Weiwei gegenüber persoenlich.com. Das Hornbachprojekt soll Menschen, die sonst mit Kunst wenig am Hut haben, einen Zugang dazu ermöglichen, so Michelle Nicol, Co-Chefin von Neutral Zurich, und langjährige Bekannte von Ai Weiwei.
Jacken stehen für Sicherheit
Das Kunstobjekt «Safety Jackets Zipped the Other Way» besteht aus orangen Baustellen-Schutzwesten, die mittels ihrer Reissverschlüsse verbunden werden. «Von ihrer ursprünglichen Funktion entfremdet, verschmelzen sie so zu einer gestaltlosen Soft Sculpture», so der Beschrieb. Das orangefarbene Jacken-Ensemble werde entweder auf einer Konstruktion aus Stahlrohren platziert oder mittels Haken an eine Wand gehängt. Die orangefarbenen Jacken mit ihren reflektierenden Streifen stünden für Sicherheit und «damit für eine fundamentale Idee unserer Zivilgesellschaft – für Ai Weiwei Teil der Faszination».
Das Kunstwerk wird von einer Publikation begleitet, die zugleich Bauanleitung und Kunstbuch ist – mit einem Statement von Ai Weiwei (hornbach.de/aiweiwei).
Ai Weiwei filmte die Journalisten für Instagram
Das Medienecho auf die ganze Aktion ist enorm, so berichten auch die Kultursendungen des Schweizer Fernsehens und der ARD, über die Weiwei-Aktion und den Medientermin in seinem weiträumigen Atelier, dass sich viele Meter unter Boden in den Katakomben einer ehemaligen Bierfabrik befindet. Eröffnet wurde der Anlass mit einem Interview, das Michelle Nicol, Miteigentümerin von Neutral Zurich, mit Ai Weiwei führte (siehe Bild).
Während des Gesprächs filmte der Künstler die anwesenden Journalisten und Kameraleute mit seinem iPhone und stellte die Aufnahmen anschliessend auf seinen Instragram-Account. Gegenüber der studierten Kunstwissenschaftlerin kritisierte Ai Weiwei die Preistreiberei bei der modernen Kunst. Eine Kinderzeichnung sei für ihn oftmals bedeutender wie ein Spitzenwerk eines bekannten Mallers. Dies sei auch einer der Gründe, warum er sich für die «Demokratisierung der Kunst» starkmache.
Bekanntester Regimekritiker
Ai Weiwei, der 1957 in Peking geboren wurde, kam 2015 nach Berlin. Mittlerweile dürfte er der bekannteste Regimekritiker Chinas sein. In seiner alten Heimat wurde er wegen seinen pointierten Äusserungen mehrfach inhaftiert und mit horrenden Bussen belegt. Heute lebt Ai Weiwei in Berlin und im englischen Cambridge, wo sein Sohn studiert. Unter starken Beschuss kam Ai Weiwei zuletzt in Deutschland, weil er sich kritisch gegenüber den Deutschen äusserte, von denen er sich ausgegrenzt fühlt. Im Interview mit «persönlich», das in der Märzausgabe publiziert wird, lobte er hingegen die Schweiz, wo er viele Freunde habe. Vor allem die Spiegelgasse in Zürich scheint es dem weltberühmten Künstler angetan zu haben, da dort der Dadaismus, einer seiner bevorzugten Kunstrichtungen, erfunden wurde.
Die deutsche Firma Hornbach gehört mit 160 Bau- und Gartenmärkten und mehr als 22’000 Mitarbeitern zu den grössten Baumarktunternehmen in Europa. Für die Umsetzung der Kampagne in Filmen und Plakaten ist Neutral Zurich und Heimat Berlin, Hornbachs Hausagentur, zuständig.
Das Interview mit Ai WeiWei sowie weitere Hintergründe zur Aktion lesen Sie in der März-Ausgabe vom «persönlich»-Magazin.
KOMMENTARE
20.02.2020 14:10 Uhr
13.02.2020 07:45 Uhr
12.02.2020 13:22 Uhr
12.02.2020 10:12 Uhr