16.01.2019

Aufruf zum Social-Media-Boykott

Aufwertung von Journalisten-Egos oder eine Bereicherung?

Twitternde Redaktoren verschenken wertvolle Inhalte, so die kritischen Worte des deutschen Axel-Springer-Chef Mathias Döpfner. Auch in der Schweiz diskutieren, analysieren und beurteilen Journalistinnen und Journalisten rege auf Social Media. Wie finden das ihre Chefs?
Aufruf zum Social-Media-Boykott: Aufwertung von Journalisten-Egos oder eine Bereicherung?
Der Twitter-Account von persoenlich.com. (Bild: persoenlich.com)
von Michèle Widmer

Mathias Döpfner, Axel-Springer-Chef und Präsident des Bundesverbands Deutscher Zeitungsverleger, äusserte sich kritisch zum Auftritt von Journalistinnen und Journalisten auf Twitter und Facebook (persoenlich.com berichtete). Natürlich müssten Journalisten Social Media als Informationsquelle und Rechercheinstrument benutzen, sagte er. Aber die eigene Präsenz von Journalisten in sozialen Medien erscheine ihm «zunehmend problematisch». Diese hätten doch eine gute Plattform, um sich auszudrücken: Ihr Medium. Warum sollten sie ihr wertvollstes Gut – ihre Erkenntnisse und Gedanken, ihre Inhalte – verschenken, um Twitter zu Exklusivnachrichten oder Kurzkommentaren zu verhelfen, fragte er.

Wie beurteilen Schweizer Chefredaktorinnen und Chefredaktoren Döpfners kritische Worte? Nur zwei von sechs pflichten ihm bei, wie die Umfrage von persoenlich.com zeigt.


 

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Christian Dorer,
Chefredaktor «Blick»-Gruppe

«Ich stimme einem Grossteil der Aussagen von Mathias Döpfner zu, vor allem jener, wonach Journalisten ihre Erkenntnisse und Gedanken nicht Twitter verschenken, sondern ihre Schaffenskraft für unsere eigenen Plattformen einsetzen sollten. Und auch ich betrachte Social Media vor allem als Informationsquelle und Rechercheinstrument. Momentan haben wir keine eigene Social-Media-Policy für die Blick-Gruppe. Es gelten die Social-Media-Guidelines von Ringier. Wir prüfen aber laufend, was die sich verändernden Gegebenheiten für uns bedeuten und ob wir eine Policy für die Blick-Gruppe einführen.»








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Andreas Schürer,
stv. Chefredaktor und Leiter Newsroom NZZ

«Für die NZZ haben die sozialen Netzwerke einen hohen Stellenwert. Es ist erwünscht, dass unsere Journalistinnen und Journalisten auf Twitter & Co. aktiv sind. Einige NZZ-Journalisten haben sich so ein grosses Netzwerk aufgebaut. Die NZZ ist überzeugt, dass die sozialen Netzwerke die Arbeit der Journalisten bereichern: Sei es bei der Themenfindung wie auch beim Austausch mit der Leserschaft.»
 






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Patrik Müller,
Chefredaktor CH Media

«Es ist gut, dass Mathias Döpfner die Journalisten daran erinnert, dass sie für ihr Medium schreiben – und nicht für Twitter und Facebook. Womöglich ist das da und dort nötig. Doch Döpfner konstruiert einen Widerspruch, der keiner ist: Wer als Journalist auf Social Media aktiv ist, nutzt diese Kanäle ja meist, um Geschichten aus dem eigenen Medium zu verbreiten. Somit stärkt er die Medienmarke. Ob er dadurch ‹Erkenntnisse und Gedanken verschenkt›, wie Döpfner moniert, ist einzig davon abhängig, ob das Medium eine Paywall hat oder nicht. Social Media zu boykottieren, wäre falsch, damit würden die Journalisten ihrem Medium schaden. CH Media hat zurzeit keine explizite Social-Media-Policy – es gilt der gesunde Menschenverstand.»





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Marco Boselli,
Chefredaktor «20 Minuten»

«Einerseits mutet es seltsam an, 2019 irgendjemandem einzelne Kommunikationskanäle verbieten zu wollen. Andererseits gibt es vor allem auf Twitter nicht wenige Beispiele von Journalisten, die – unter Ausschluss jeder für die jeweiligen Arbeitgeber relevanten Öffentlichkeit – in hoher Kadenz auch noch die allerbanalsten Erkenntnisse zu Debattenthemen erklären und damit, abgesehen von der vermeintlichen Aufwertung des eigenen Egos, keinen erkennbaren Mehrwert schaffen. Und da dies zu einem grossen Teil während der Arbeitszeit geschieht, kann man Döpfners Irritation durchaus verstehen. Trotzdem käme es für uns nicht infrage, ein Social-Media-Verbot auszusprechen. Eine gewisse Zurückhaltung bei der ideologischen Selbstbefriedigung ist bei uns aufgrund der publizistischen Ausrichtung von ‹20 Minuten› aber erwünscht.»



 

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Lis Borner,
Chefredaktorin Radio SRF

«Qualität ist keine Frage des Kanals, sondern des Inhalts. Journalismus ist Dienst an der Allgemeinheit, und wo auch immer die zu erreichen ist, liefern wir Fakten und Analysen hin oder treten mit ihr in Dialog. Wichtig ist, dass sich die journalistische Leistung nicht selbst auf Kurznews und Schnellschüsse reduziert. Journalistische Distanz und Reflexion statt unbedachter Reflex.»

 


 

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Tristan Brenn,
Chefredaktor TV SRF

«Ich halte nichts von dieser rückwärtsgewandten Idee. Journalisten sollen mit ihren Inhalten an die Öffentlichkeit gehen und möglichst viele Menschen erreichen. Es zählt, wie sie sich äussern und nicht wo sie das tun.»



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