06.06.2021

Jung von Matt Limmat

«Gamer sind Menschen wie Sie und ich»

Die Agentur will Brands dazu ermutigen, mehr im Gamingumfeld zu werben. Denn dort würden Chancen verpasst. Ein Gespräch über Nerdtum, Chipsflecken auf klischierten Gamershirts und warum Werbung auf Twitch nicht die Lösung ist.
Jung von Matt Limmat: «Gamer sind Menschen wie Sie und ich»
Cyrill Hauser, Jonas Bayona und Michelle Danilschenko sind die Gamingexperten der Agentur. (Bild: Jung von Matt Services / Fabrizio Rutishauser)
von Loric Lehmann

Frau Danilschenko, Herr Hauser, Herr Bayona: Sie haben in Zusammenarbeit mit Ihrem Kunden Ovomaltine eine Studie zum Gamingverhalten der Schweizerinnen und Schweizer gemacht (persoenlich.com berichtete). Woher kam die Idee dazu?
Jonas Bayona: In Kooperation mit Ovomaltine suchten wir nach neuen Wegen, wie man eine junge Zielgruppe besser erschliessen kann. Dazu muss man sie vor allem verstehen. Und dafür wiederum braucht es eine gewisse Datenlage. Im Verbund mit Jung von Matt Nerd [eine deutsche Agentur für Themen innerhalb der Popkultur, Anm. d. Red.] entstand so die Idee, eine Studie zum Thema Gaming aufzusetzen. Dies, um hyperlokale Daten für den Schweizer Markt zu generieren.

Cyrill Hauser: Alle reden momentan über E-Sports. Dabei ist Gaming generell viel spannender. Da wir die Studie zusammen mit Jung von Matt Nerd aus Deutschland machten, weiteten wir sie gleich auf den gesamten DACH-Raum aus.

Die Studie zeigt: Über 40 Prozent der Befragten bezeichnen sich selber als Gamerin oder Gamer. Hat Sie dies überrascht?
Michelle Danilschenko: Dass Gamen auf mobilen Geräten immer mehr zunimmt, war uns bewusst. Wenn man selber Gamerin ist, kann man es aber trotzdem nicht ganz fassen, dass sich mittlerweile so viele Menschen auch so bezeichnen.

«Es überrascht, dass viele Brands dieses Thema komplett ignorieren»

Hauser: Die Studie zeigt: Zwei von fünf Leuten gamen mehr als fünf Stunden pro Woche. Das ist eine ordentliche Zahl.

Wie deuten Sie dieses Resultat?
Bayona: Es zeigt, dass dieses Klischee des männlichen Gamers, der im Keller zwischen leeren PET-Flaschen sitzt, mit Chipsflecken auf dem Shirt, schon lange nicht mehr Realität ist. Ganz viele Menschen spielen mittlerweile Videospiele. Das Bild der Gaming-Community hat sich massiv positiv verändert. Das ist der Kern dieser Studie: Gamerinnen und Gamer sind Menschen wie Sie und ich, einfach mit einem gewissen Mindset zu Humor, Geschichten mit Tempo und natürlich zu spielerischen Ansätzen.

Hauser: Es überrascht, dass viele Brands dieses Thema komplett ignorieren. Jene Marken, die sich im Feld bewegen, sind oft endemische Brands wie Logitech oder Asus. Das sind vergebene Chancen. Denn Gaming ist ein Massenmarkt.

«Für eine gute Gamingidee braucht es Respekt vor dieser Community»

Wie sieht die Strategie von Jung von Matt in diesem Bereich aus?
Bayona: Diese Studie ist erst der Startschuss für uns. Wir wollen das Feld von verschiedenen Blickwinkeln beleuchten und uns langfristig damit beschäftigen. Weitere qualitative und quantitative Untersuchungen dazu sind in Planung – auch in Bereichen wie Popkultur und Nerdtum generell.

Wo liegen die Chancen beim Gaming für Werbetreibende?
Bayona: Wir haben den Ansatz, so authentisch wie möglich zu kommunizieren. Diese Authentizität ergibt sich nur, wenn man seine Zielgruppe ernst nimmt. Wenn ich als Gamer in der Vergangenheit mit Werbung konfrontiert wurde, erschien mir das stets recht anbiedernd: Beispielsweise kann man nicht einfach ein Pikachu auf ein Glacé packen, um zielgruppenaffin zu sein. Wir glauben, für eine gute Gamingidee braucht es Respekt vor dieser Community.

«Es kommt vor allem auf den Inhalt an und weniger auf den Kanal»

Was halten Sie von der Werbeschaltung auf Twitch oder ähnlichen Plattformen?
Bayona: Viele Brands wollen auf Twitch, weil da die jungen Leute sind. So kaufen sie für viel Geld einen Werbeplatz und spielen ihren leicht angepassten TV-Spot aus, was die meisten User ärgert. Wenn man hingegen Werbung schaltet, die zu diesen Themen passt und den passenden Ton trifft, dann ist es keine Störung, sondern ein akzeptierter Werbebreak.

Danilschenko: Wenn man Gamer und Gamerinnen erreichen will, die beispielsweise über fünf Stunden pro Woche «Candy Crush» spielen, ist Twitch der falsche Weg. Da Gaming eben kein Nischenmarkt mehr ist, erreicht man diese Leute auch über andere, bekanntere Kanäle.

Hauser: Das heisst eben auch: Es kommt vor allem auf den Inhalt an und weniger auf den Kanal. Viele Gamer und Gamerinnen sind gar nicht auf Twitch – auch Gamer wie ich (lacht).

«Viele der Topgames kann man gut zwischendurch spielen»

Dieser Anstieg von Leuten, die gamen, kann man ja sicherlich auch auf die Pandemie zurückführen. Wird diese Entwicklung nun in der Zeit nach Covid-19 nicht zurückgehen?
Hauser: Klar, Gamen ist etwas, dass die Leute öfter im Winter tun oder am Abend, wenn es früher dunkel wird. Ich bin aber überzeugt: Gaming is here to stay, trotz saisonalen Schwankungen.

Danilschenko: Die Studie hat gezeigt, dass viele der Topgames solche sind, die man gut zwischendurch spielen kann. Es gibt Games, für die man mindestens eine Stunde investieren muss und eben andere, die man schnell 10 Minuten spielen kann, zum Beispiel beim Pendeln.

Wo liegen die Schwierigkeiten für Marken? Stichwort: Platzierungen im Umfeld von Ego-Shootern.
Hauser: Das ist ein Riesenthema. Viele Brands wollen nicht mit brutalen Games in Verbindung gebracht werden, was verständlich ist. Es gibt aber viele Alternativen: Beispielsweise Nintendo und die Super-Mario-Welt. Und: Bei Shootern kommt es darauf an, was man dort macht. Ich denke da an den Case von Wendy’s, die innerhalb von «Fortnite» einen Charakter erstellt haben, der dann Kühlschränke zerstört – diese Aktion ging durch die Decke, passt super zum Brand und die Gaming-Community war begeistert.


Bayona:
Auf solche Ideen kommt man eben nur, wenn man sich selber auch aktiv innerhalb dieses Umfelds bewegt. Bei Jung von Matt haben wir unseren eigenen Slack-Channel, in dem sich alle Gamerinnen und Gamer organisiert haben – mittlerweile über zwanzig Leute, die sich austauschen über die neusten Games oder ähnliches. Wir machen regelmässig teamübergreifende Brainstormings. Da kamen dann sehr nerdige Ideen heraus, auf die kreative Teams ohne Gaming-Background wohl nie gekommen wären.

Danilschenko: Man merkt einer Werbung auch einfach an, wenn sie von einem Gamer für Gamer gemacht wurde. Dass wir so viele Leute haben, die sich für Games interessieren, kommt uns da zugute. Brands müssen nachvollziehen, wie wichtig Authentizität dabei ist und dass es eben ein grosses Asset ist, mit Leuten aus der Community, die dafür brennen, zu arbeiten.



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