30.06.2020

Serie zum Coronavirus

«Der Job im Pflegeheim erdet mich»

Folge 75 der Serie zum Coronavirus: Der Schweizer Musiker Michael von der Heide arbeitet als Pfleger in einem Heim – bis vor einer Woche Vollzeit. Im Interview spricht er über diese Arbeit und blickt nach vorn.
Serie zum Coronavirus: «Der Job im Pflegeheim erdet mich»
«Ich spiele ab Ende Juli wieder ein paar kleinere Gigs»: Michael von der Heide. (Bild: zVg.)
von Matthias Ackeret

Herr von der Heide, Sie sind während der Coronazeit wieder in Ihren angestammten Beruf als Krankenpfleger zurückgekehrt. Was gab den Ausschlag zu diesem Entscheid?
Ich muss hier ein bisschen ausholen, ich machte meine Ausbildung zum Pflegefachmann vor 30 Jahren im Kantonsspital Winterthur. Nach meiner Ausbildung arbeitete ich nicht sehr lange auf dem Beruf, da es mit der Musik richtig losging. Ich dachte: Vielleicht klappt das ein paar Jährchen, dann ging es aber ab. Plattenverträge, TV-Shows, Tourneen, Theater-Produktionen etc. Wenn man mich damals in Interviews jeweils fragte, ob ich mir vorstellen könnte, wieder als Pflegefachmann zu arbeiten, sagte ich immer: Auf jeden Fall. Doch in meinem Umfeld glaubte dies kaum jemand (lacht).

Zu Recht wohl.
Ich liebe die Musik, das Songschreiben, die Bühne, diese verführerische Welt; aber es gab immer wieder Zeiten, da hatte ich Sehnsucht nach meinem ersten Beruf. Doch irgendwie war viel Zeit vergangen und ich bildete mir ein, dass ich zu alt sei oder zu lange weg vom Fenster. Insgeheim wünschte ich mir, dass jemand auf mich zukommen würde – und tatsächlich: Nach einem meiner Konzerte vor drei Jahren sprach mich eine ehemalige Kollegin an – wir arbeiteten vor 31 Jahren im Spital Uznach, ich als Praktikant, sie als Krankenschwester. Sie meinte: «Michi, das was du da auf der Bühne machst ist so herzlich und menschlich,  ich bin jetzt Heimleiterin, falls du mal einen Job brauchst: jederzeit!» 

Das tönt nach Fügung des Schicksals.
Auf diesen Moment hatte ich immer gewartet. Trotzdem überlegte ich noch ein paar Tage, bevor ich sie anrief. Eigentlich brauchte ich keinen Job. Obwohl sie keine freie Stelle hatte, bot sie mir an, eine Woche zu schnuppern, damit ich checken kann, ob es für mich immer noch stimmt. Daraufhin ging ich eine Woche schnuppern. Wie der Zufall es wollte, kündigte in dieser Woche eine Pflegefachfrau und mir wurde deren 40-Prozent-Stelle angeboten. Anfänglich war ich noch etwas überrumpelt, spürte aber: jetzt oder nie und griff zu. Dann kam Corona und ich übernahm auch noch den Dienst einer ausgefallenen Kollegin. Bis vor einer Woche arbeitete ich Vollzeit. 

Wie schwierig war die Umstellung von der Konzerthalle ins Pflegeheim?
Das kann man eigentlich nicht vergleichen. In beiden Berufen braucht es aber Sensibilität und Stärke. 

Wie wurden Sie von den Bewohnerinnen und Bewohnern aufgenommen?
Sehr offen und herzlich. Sie freuen sich sehr, dass ich mit ihnen alte Schweizer Volkslieder und Schlager singe.

Wie haben Sie die ganze Coronazeit aus der Perspektive eines Pflegers erlebt? Wo stellten sich die grössten Herausforderungen?
Für die Pflegenden ist es mühsam, dauernd eine Maske zu tragen. Dies erschwert die Kommunikation. Gerade wenn die Menschen nicht mehr gut hören oder an Demenz erkrankt sind, ist man sehr gefordert, um sich verständlich zu machen, ohne Unruhe zu stiften. 

Werden Sie auch nach Corona weiter in einem Pflegeheim arbeiten?
Ich werde weiterhin mein 40-Prozent-Pensum im Nachtdienst ausüben. Diese Tätigkeit erdet mich.

Sie sind Ende vergangenen Jahres mit einer Tournee gestartet. Wie gross war der Schaden wegen Corona?
Gross. Vor allem für meine Musiker und die Techniker. Da ich ja 100 Prozent arbeiten konnte, verdiente ich auch ein bisschen was. 

Planen Sie nun eine Fortsetzung dieser Tournee?
Auf jeden Fall. Ich spiele ab Ende Juli wieder ein paar kleinere Gigs und werde am 2. August den Schlussabend vom Festival da Jazz in St. Moritz  bestreiten. Im Herbst sollte die «Rio-Amden-Amsterdam»-Tour wieder richtig weitergehen. 

Reagierten Künstler auf die ganze Pandemie anders als «normale» Menschen?
Ich denke alle Selbständigerwerbenden haben sie die gleichen Ängste und Sorgen. 

Hatten Sie in dieser Zeit jemals Existenzängste?
Nein, denn ich weiss, dass es in den Pflegeheimen immer Arbeit geben wird. 

Was war für Sie das prägendste Erlebnis der letzten Monate?
Dass so viele Menschen für das Pflegepersonal applaudierten, aber von besseren Arbeitsbedingungen und Entlöhnung nun nichts mehr wissen wollen. 



Was bedeutet die Corona-Pandemie für die verschiedenen Akteure der Schweizer Medien- und Kommunikationsbranche? Bis auf Weiteres wird persoenlich.com jeden Tag eine betroffene Person zu Wort kommen lassen. Die ganze Serie finden Sie hier.



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Kommentare

  • Robert Weingart , 06.07.2020 10:34 Uhr
    Ganz grossen Respekt verdient!
  • Markus Meier, 04.07.2020 18:06 Uhr
    Lieber Michael. Du kannst stolz suf Dich sein! Menschen wie Dich braucht das Gesundheitswesen. Seit ich Dich an der Krebsgala der Gesundheit Sprechstunde im Europapark Rust als Redaktor kennengelernt habe, weiss ich, was für einen guten und warmherzigen Charakter Du hast. Den Erfolg hast Du Dir redlich verdient. Bleib so, wie Du bist! Herzlich, Markus Meier
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