05.11.2018

Courage Civil

«Populismus und Fake News haben Einzug gehalten»

Mark Balsiger, Berner Politik- und Kommunikationsberater, ist Initiant der am Montag lancierten Bewegung. Im Interview spricht er über unabhängige Köpfe, unternehmerischen Mut und Knallergeschichten in den Medien.
Courage Civil: «Populismus und Fake News haben Einzug gehalten»
«Wir beobachten, dass die Medienordnung durcheinandergeraten ist und die grossen Medienhäuser sich schrittweise von der Publizistik verabschieden», sagt Mark Balsiger im Interview. (Bild: zVg.)
von Anna Sterchi

Herr Balsiger, im Namen «Courage Civil» steckt der Begriff Mut. Inwiefern haben Sie Mut gebraucht, diese Bewegung zu lancieren?
Das Ja zur Anti-Minarett-Initiative im Herbst 2009 hatte mich vorübergehend zu Boden geworfen. Sie verletzt die Bundesverfassung, und das finde ich schlimm: Unsere Urgrossväter hatten lange für die Religionsfreiheit in der Schweiz gekämpft. Nach jener Abstimmung hatte ich mir vorgenommen, eine Bewegung ins Leben zu rufen, die sich stark macht für den Rechtsstaat und die Demokratie. Mit dem Aufbau von Courage Civil konnten wir schliesslich vor sechs Monaten beginnen. Um voranzukommen, habe ich seither mehrere Mandate abgelehnt. Mein Mut beschränkt sich auf das ökonomische Risiko, das ich als Kleinunternehmer eingehe.

Wie kam es zur Gründung von Courage Civil?
Beim Kampf gegen die No-Billag-Initiative war ich Kampagnenleiter des Komitees «Nein zum Sendeschluss». Was dabei anders war als bei allen anderen Kampagnen, die ich seit 2003 als Campaigner miterlebt habe: Abertausende engagierten sich als Einzelpersonen. Mit vielen stand ich in Kontakt. Dabei hat sich herausgeschält, dass eine Bewegung die richtige Form wäre, um gegen weitere schwierige Volksabstimmungen anzukämpfen.

«Das Vertrauen in die Medien ist unterspült»

Braucht es eine Bewegung wie Courage Civil wirklich?
Ja, das hat sich im letzten Frühling nach vielen Gesprächen herausgeschält. Viele Leute möchten sich einbringen, finden die Struktur einer Partei aber überholt. Die Herausforderungen an unsere Gesellschaft werden in den nächsten Jahren zunehmen: Populismus und Fake News haben Einzug gehalten, das Vertrauen in die Medien ist unterspült. Das alles ist Gift für die direkte Demokratie und das politische Klima. Bei der Meinungsbildung wollen wir für breite Bevölkerungsschichten ein Anker sein. Womit auch gesagt ist: Ein elitärer Club sind wir nicht, sondern nahe bei den Menschen.

Wie will sich Ihre Bewegung in die öffentliche Diskussion einmischen?
Ein konkretes Beispiel: Unsere Facebook-Page, die wir von der Kampagne gegen «No Billag» übernehmen durften, zählt rund 28'000 Likes. Somit hat sie eine grössere Reichweite als die Facebook-Seiten der etablierten Parteien. In den verbleibenden drei Wochen teilen wir auf dieser Plattform die Inhalte, die uns die breite Allianz gegen die Selbstbestimmungsinitiative zur Verfügung stellt. So leisten wir einen Beitrag für ein Nein am 25. November. Wir wollen uns in der ersten Phase als zuverlässigen Partner empfehlen. Den Schwerpunkt für das Jahr 2019 bestimmt dann die Basis.

Reichen Spenden und Mitgliederbeiträge zur Finanzierung der Bewegung aus?
Wir müssen uns nach der Decke strecken. Unser Engagement wird hoffentlich nicht nur von vielen Leuten mitgetragen, sondern auch mitfinanziert. Der Jahresbeitrag von 45 Franken ist bescheiden. Wollen wir unsere Bewegung professionalisieren, braucht es allerdings mehr Mittel und über Jahre hinaus eine solide Finanzierung. Wenn potenzielle Grossspender unser Wirken als zentral einstufen, geht vielleicht eine Türe auf. 

Arbeiten die Mitglieder des Beirats ehrenamtlich?
Ja, wir sind eine reine Milizorganisation.

«Nur noch Kurzfutter und Knallergeschichten mit wenig Substanz bringen nichts»

«Wir erheben die Stimme bei medienpolitischen Themen», heisst es auf Ihrer Website. Was wollen Sie in der Medienpolitik anpacken?
Das ist noch offen. Wenn wir aber beobachten, wie die Medienordnung durcheinandergeraten ist und die grossen Medienhäuser sich schrittweise von der Publizistik verabschieden, sollten wir Ansätze entwickeln. Gerade die Schweiz mit ihren vielen Volksabstimmungen braucht Medien, die genügend Ressourcen zur Verfügung stellen, um die politischen Akteure systematisch und kritisch zu beobachten. Nur noch Kurzfutter und Knallergeschichten mit wenig Substanz bringen nichts. Die Story über eine deutschen Spitzenfunktionärin mit Migrationshintergrund, die eine Rolex trägt, war ein Tiefpunkt.

«Wir halten das Links-Rechts-Schema als überholt», sagen Sie. Ist das nicht illusorisch, eine politische Bewegung ohne klares politisches Profil zu gründen?
Sehen Sie, auf nationaler Ebene kommt ein politisches Geschäft nur voran, wenn es von drei grösseren Fraktionen getragen wird. Bei grossen Vorlagen hat das in den letzten Jahren leider kaum mehr geklappt. Wieso? Die meisten Parteien sind dauerhaft im Wahlkampf-Modus. Deshalb braucht es weitere Akteure. Die Bewegung Courage Civil ist unabhängig und muss keine Sitze gewinnen. Sie erhebt ihre Stimme, wenn fundamentale Grundwerte der Schweiz verteidigt werden müssen.

«Luftschlösser bauen wir keine»

Im Beirat befinden sich bekannte Persönlichkeiten wie Stefan Haupt, Alexksandra Gnach, Peter Schibli oder Matthias Zehnder sowie auch Medienschaffende. Haben letztere nicht ein Problem mit ihrer journalistischen Unabhängigkeit, wenn sie sich politisch positionieren?
Von ihnen ist nur noch eine Person journalistisch tätig. Aber alle haben die zwei wichtigsten Qualitäten in diesem Beruf beibehalten: Neugierde und kritisches Denken. Kritische Mitstreiter und Mitstreiterinnen sind enorm wichtig. So schärft die Bewegung Courage Civil immer wieder ihre Positionen und kann Projekte realisieren.

Wie haben Sie die Mitglieder des Beirats rekrutiert?
Mit den meisten Beirätinnen und Beiräten hatte ich in den letzten zehn Jahren zu tun. Sie fielen mir auf als unabhängige Köpfe. Viele von ihnen haben von Grund auf Neues geschaffen: einen Verband, Easyvote, ein riesiges Chorprojekt in verschiedenen Städten, ein Polit-Labor. Sie können «out oft he box» denken und haben viel Schwung, aber kein grosses Ego.

Wo soll Ihre Bewegung in zehn Jahren stehen?
Wir sind pragmatisch, machen einen Schritt nach dem anderen. Bis zur Abstimmung am 25. November müssen wir noch viel Aufklärungsarbeit leisten. Die Selbstbestimmungsinitiative löst keine Probleme, sondern schafft neue. Danach wollen wir unsere Bewegung personell vergrössern und verstärken. Konkret suchen wir weitere initiative Leute, die mitdenken und mitarbeiten wollen. Gestern erhielt ich eine E-Mail von einem Neumitglied, das schrieb: «Courage Civil gibt mir die Möglichkeit, mich für etwas Grösseres und Sinnvolles einzusetzen.» Darum geht es. Luftschlösser bauen wir keine.



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Kommentare

  • Margrit Grünwald, 07.11.2018 06:34 Uhr
    Unabhängig Menschen zu politisieren ist gut, nur, was heisst unabhängig. Was ist eine klare Faktenlage? Sogar das Auslegen der Gesetze ist strittig. Hoffentlich gelingt es, ganz viele Menschen wieder für Politik zu gewinnen, dass sie sich engagieren für die Demokratie.
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