20.03.2024

Diversität in der Werbung

«Mehr schwarze Menschen auf Plakaten reichen nicht»

Nur in fünf Prozent der Spots stehen nicht weiss gelesene Menschen im Fokus. Antirassismusexpertin Anja Glover kommentiert im Gespräch die neuen Zahlen vom Gislerprotokoll. Zudem sagt sie, wie Marken wirklich diskriminierungssensibel werden – und lobt eine konkrete Migros-Werbung.
Diversität in der Werbung: «Mehr schwarze Menschen auf Plakaten reichen nicht»
«Auch wenn man diskriminierungssensibel ist, gehören Fehler dazu»: Die Antirassismusexpertin Anja Glover führt mit Nunyola eine eigene Agentur. (Bild: Yuma Greco)

Anja Glover, vor welchem Werbeplakat sind Sie zuletzt empört stehen geblieben?
Das passiert mir eigentlich jede Woche. Immer wenn ich in der Stadt unterwegs bin, fallen mir Sujets auf, die aus rassismuskritischer Sicht problematisch sind. 

Können Sie ein Beispiel nennen?
Ich gehe ungern auf konkrete Beispiele ein, ohne sie komplett kontextualisieren zu können. Aber häufig hat es damit zu tun, wie rassifizierte Menschen und wie weisse Menschen dargestellt werden. Übrigens ist Ihre Einstiegsfrage eine gute Übung, um sich selbst für Rassismus in der Gesellschaft zu sensibilisieren. An meinen Workshops gebe ich den Teilnehmer:innen häufig mit auf den Weg, diesbezüglich einmal mit offenen Augen durch die Welt zu gehen. 

Werbung hat mit den gezeigten Stereotypen einen grossen Einfluss auf die Gesellschaft. Wie beurteilen Sie die Repräsentanz von People of Color in der Werbung aktuell?
Die Werbung ist in den letzten Jahren diverser geworden. Vor ein paar Jahren wäre es wahrscheinlich schwierig gewesen, überhaupt BIPoC (Anm. der Redaktion: Black People, Indigenous People and People of Colour) auf Schweizer Plakaten oder in Werbespots zu finden. Und wenn, dann sehr stereotypisiert. Das hat sich im Moment ein bisschen verändert. Dennoch kommt es noch immer häufig vor, dass rassistische Stereotype reproduziert werden. In den meisten Fällen sind sich die Werbemachenden dessen nicht bewusst. In diesen Fällen zeigt sich dann, welche Menschen bei einer Kampagne mitgeredet oder mitgedacht haben. 

Sie sprechen die Zusammensetzung von Teams an. Mehr Diversität in den Werbeagenturen oder Marketingabteilungen ist also die Lösung?
Teil einer Lösung, ja. Verschiedene Menschen bringen verschiedene Perspektiven ein und würden im Entstehungsprozess eher bemerken, wenn ihnen ein Slogan oder ein Bild – oder was auch relativ häufig ist – eine problematische Kombi von beidem auffällt.

Die Initiative Gislerprotokoll hat in einer aktuellen Analyse 243 Bewegtbildwerbungen auf Stereotypen untersucht. Die Zahlen zeigen: Bloss in rund einem Viertel kommen nicht weiss gelesene Personen vor. Und nur in zehn Prozent ist dieser Mensch in der Hauptrolle zu sehen. Wobei anzumerken ist, dass hier häufig Promis wie Charles Nguela oder Mujinga Kambundji zu sehen sind. Was lösen diese Zahlen bei Ihnen aus?
Sie gehen so ziemlich mit meinen Beobachtungen einher. Bei mir wecken sie auch Fragen. Zum Beispiel: Bei welchen Werbungen sind BIPoC in der Hauptrolle? Wann und warum setzen Unternehmen auf schwarze Promis? Wollen sie einfach mehr nicht weisse Menschen sichtbar machen? Oder wollen sie sie bewusst ansprechen als Zielgruppe? Und wie viele Menschen können sich mit Stars identifizieren? Ganz generell kann ich sagen: Mit mehr nicht weissen Menschen auf Plakaten oder diverser Werbung allein ist es nicht getan.

Was braucht es darüber hinaus?
Ich erlebe häufig, dass sich Marken aussen in der Werbung als divers darstellen, Diversität intern aber nicht gelebt wird. Diese Art von Tokenismus nimmt in meiner Wahrnehmung zu und ist gefährlich. Wer Antirassismus als Unternehmen ernst nimmt, muss Diversitätsthemen genügend Platz einräumen und entsprechende Strategien zum festen Bestandteil des Unternehmens machen. Dazu gehört, dass Mitarbeitende geschult werden und Weiterbildungen besuchen.

«Das Hauptproblem sind nicht die Fehler, sondern das Nichtanerkennen der Fehler»

Und wenn doch einmal ein Fehler passiert, wie reagiert man als Marke am besten?
Auch wenn man diskriminierungssensibel ist, gehören Fehler dazu. Das ist essenziell. Das Hauptproblem sind nicht die Fehler, sondern das Nichtanerkennen der Fehler. In einem solchen Fall ist es wichtig, dass man sich entschuldigt, öffentlich anerkennt, dass man einen Fehler gemacht hat, man bereit ist, daraus zu lernen, und versucht, etwas zu verändern, und dann das tatsächlich auch tut.

Mit Ihrer Agentur Nunyola führen Sie seit rund fünf Jahren Workshops durch und beraten Unternehmen zum Thema Antirassismus. Wie hat sich das Interesse an diesem Thema in dieser Zeit entwickelt?
In den letzten vier Jahren ist natürlich viel gegangen, seit Black Lives Matter in der Schweiz breit angekommen ist. Ich glaube, dass wir vielleicht langsam sogar einen Schritt weiter sind in der Diskussion. Weg von der reinen Feststellung, dass wir alle rassistisch sozialisiert worden sind, hin zu der Tatsache, dass wir nun auch aktiv an dem Thema dranbleiben müssen.  

In welchen Branchen sind Sie häufig tätig?
Das ist ganz unterschiedlich. Ich wurde schon von Kunstprojekten, Filmproduktionen oder bei Ausstellungen um Rat gefragt, bin aber auch in Schulen und grösseren Unternehmen oder staatlichen Stellen. Auch Mandate bei Werbeagenturen oder Medienunternehmen sind dabei. Bei Letzteren ist es immer etwas speziell: Sie sind fest davon überzeugt, dass sie objektiven Journalismus machten. Ich hingegen glaube fest, dass es das gar nicht gibt. Denn es sind immer Menschen, die ein Thema, die Protagonist:innen, die Wörter auswählen. Diese Thematik hat die Werbebranche weniger. Dort werde ich zum Beispiel dazugeholt, um bestimmte Wordings anzuschauen oder eine Marke ganz generell.

Wie gehen Sie da vor?
Ich habe einen geübten Blick. Also schaue ich mir zuerst sicher einmal die Website des Unternehmens genauer an und konzentriere mich dabei zum Beispiel auf die Wort- oder Bilderwahl, schaue mir aber auch die Teams an. Das habe ich in den letzten Tagen auch für die Vorbereitung auf meinen Vortrag beim Gisler-Gipfel gemacht.

«Die Chancen sind gross, dass wir in ein paar Jahren nochmals viel diskriminierungssensibler sind»

Sie haben die Websites der Mitgliedunternehmen der Gleichstellungsinitiative gescannt. Warum?
Ich will damit zeigen, dass Antirassismus ein stetiger Prozess ist. Auch wenn man denkt, man ist bei diesem Thema bei den Leuten, muss man dranbleiben. Die Chancen sind gross, dass wir in ein paar Jahren nochmals viel diskriminierungssensibler sind. Als Beispiel: Wenn ich heute in Workshops Plakate oder Spots von vor sechs, sieben Jahren zeige, dann erkennen sie Teilnehmerinnen und Teilnehmer meistens als problematisch. Wenn ich aber aktuelle Kampagnen anspreche, dann kommen viele ins Grübeln. Genau diese Kampagnen werden wir wahrscheinlich in sechs, sieben Jahren sehr rasch als problematisch beurteilen.  


Um über aktuelle Beispiele sprechen zu können, habe ich Sie gebeten, die beiden vielbeachteten Weihnachtsspots von Migros und Coop anzuschauen.
Wie beurteilen Sie die beiden Arbeiten aus rassismuskritischer Perspektive?
Den Migros-Spot würde ich positiv beurteilen. Er spricht, so wie ich das sehe, eher auf das Thema Klassismus an. Zu sehen ist ein weisser Mann, der sich das Geschenk für sein Kind nicht leisten kann. Am Schluss ist es eine schwarze Frau, die dies ermöglicht. Mit einem geschärften Blick wird deutlich, dass sich die Verantwortlichen dahinter etwas mehr überlegt haben.


Im Coop-Spot nimmt eine weisse Frau die Hauptrolle ein. Wie beurteilen Sie das?
Das empfinde ich nicht als problematisch. Für mich ist eine andere Szene viel aussagekräftiger. Ein schwarzes Mädchen erhält die Botschaft «Du bist eine Superheldin». Diese Szene hat mich begeistert, weil es ja eben viel zu wenig schwarze Superheldinnen gibt. Das hat mich persönlich abgeholt und ich hatte sogar einen Austausch mit dem Mädchen.

«Es reicht nicht, nicht rassistisch zu sein, sondern wir müssen aktiv antirassistisch sein»: Diesen Satz habe ich auf Ihrer Webseite gelesen. Was meinen Sie damit?  
Dieser Satz wird in Antirassismus-Bewegungen seit sehr langer Zeit wiederholt. Antirassistisch ist nicht einfach etwas, das man ist, sondern etwas, was man tut. Und man ist nie fertig damit. In dem Sinn handelt es sich bei diesem Satz um eine Aufforderung, um aktiv zu werden. In einem ersten Schritt muss man bewusster durchs Leben gehen. Um den Bogen zu schliessen und auf Ihre Einstiegsfrage zurückzukommen: Die zahlreichen Plakate in der Bahnhofshalle wirken auf die Menschen. Aktiv dagegen vorzugehen, heisst zuerst einmal sie bewusster anzuschauen, zu beurteilen und dann auch zu reklamieren. 

Machen Sie das immer, wenn Sie sich an einer Werbung stören?
Nicht immer. Aber es hilft, wenn Menschen das tun, damit es überhaupt zum Thema wird. Und es hilft, wenn es nicht immer die gleichen nervigen Stimmen sind, die sich melden (lacht).


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