02.12.2018

Die 300 Reichsten

«Kein besseres Umfeld als die ‹Gold-Bilanz›»

Public Eye hat in der aktuellen «Bilanz» ein kapitalismuskritisches Inserat platziert – ausgerechnet in der Ausgabe mit den Super-Reichen. Gegenüber persoenlich.com erklärt Sprecher Oliver Classen, wie es dazu kam und was die NGO damit erreichen will.
Die 300 Reichsten: «Kein besseres Umfeld als die ‹Gold-Bilanz›»
Oliver Classen ist Mediensprecher bei der Nichtregierungsorganisation Public Eye. (Bilder: zVg.)
von Edith Hollenstein

Herr Classen, was haben Sie gegen das Ranking der 300 Reichsten?
Die Vermögenskonzentration in der Schweiz wie weltweit nimmt immer absurdere Ausmasse an, aber die goldene Nummer der «Bilanz» wie auch die begleitende Berichterstattung sind völlig unkritisch. Das Reichsten-Ranking steht symbolisch für einen Schweizer Wirtschaftsjournalismus, der CEOs als Popstars inszeniert statt Strukturen zu analysieren.

Wie meinen Sie das?
Es werden «saftige Gewinne», «eine reiche Ernte» und «Milliardensegen» gefeiert. Das sind alles Begriffe aus der Berichterstattung 2017.  Die enormen in der Schweiz aufgehäuften Vermögen werden als völlig unproblematisch und erstrebenswert dargestellt, die häufig dubiosen Geschäftsgebaren und die Konsequenzen für die Gesellschaft nicht thematisiert. Denn wo es solche Gewinner gibt, gehen die Verlierer in die Millionen und leben häufig im Ausland.

Warum glauben Sie, dass ausgerechnet ein so textlastiges, umständlich formuliertes Inserat zum Nachdenken anregen soll?
Unsere Anzeige soll auch optisch als Bremsklotz im redaktionellen Flow aus goldenen Zahlen und glücklichen Milliardärsgesichtern wirken. Wer drüber stolpert, bleibt hängen. Und wer anfängt zu lesen, ist schnell irritiert und wird wissen wollen, ob diese Guerilla-Aktion nur ironisch oder auch ziemlich ernst gemeint ist.

«Das Inserat kostete etwas über 8000 Franken»

Was ist das Ziel der Anzeige?
Gemäss Oxfam besitzen acht Männer heute gleich viel wie die ärmere Hälfte der gesamten Menschheit. Die Erwirtschaftung solcher Gewinne basiert zu oft auf problematischen Investments, ungesunder Spekulation und aktiver Steuervermeidung. Darauf wollen wir aufmerksam machen. Und dafür gibt es kein passenderes Umfeld als die goldene «Bilanz».

Wer hat das Inserat bezahlt?
Public Eye natürlich.

Wie viel kostete es?
Dank dem NGO-Rabatt von 50 Prozent noch etwas über 8000 Franken.

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Der Inserate-Text fordert zum Spenden auf. Glauben Sie tatsächlich, dass Ihnen Super-Reiche ihr Vermögen vermachen?
Nein. Wir legen auch allergrössten Wert auf unsere Unabhängigkeit. Von Privatpersonen, Firmen oder Institutionen, die in von uns beobachteten Bereichen tätig sind, nehmen wir deshalb keine Spenden an. Wenn solche Personen bei uns Karmapunkte sammeln wollen, müssen sie zuerst aus den von uns kritisierten Tätigkeiten aussteigen, bevor wir ihre Spenden annehmen würden.

Das dürfte noch nicht oft vorgekommen sein.
Bislang noch nie. Aber das kann ja noch werden.

«Inside Paradeplatz macht einen grandiosen Job»

In diesem Fall ist Ihre Zielgruppe eine andere als die Super-Reichen selber?
Public Eye finanziert sich hauptsächlich über ihre mehr als 25'000 Mitglieder. Unsere Grossspender stammen zumeist aus dem sozialliberalen Millieu und sind häufiger Stiftungen als Privatpersonen.

Laut 20min.ch hatte Chefredaktor Dirk Schütz nichts davon gewusst (persoenlich.com berichtete). Wie erklären Sie sich, dass die Anzeige ohne Reaktion publiziert wurde?
Ich kann mir gut vorstellen, dass unsere Guerilla-Aktion beim Verlag einfach durchgerutscht ist und Dirk Schütz tatsächlich nicht involviert wurde. Gesehen haben müsste er die prominent platzierte Anzeige allerdings spätestens beim Gut zum Druck. Dass er uns trotzdem gewähren liess, kann zwei Gründe haben: Entweder er hat einen selbstkritischen Sinn für Ironie oder, was ich für wahrscheinlicher halte, er wusste, dass eine späte Intervention noch mehr Staub aufgewirbelt hätte als es das Inserat so schon tut.

Sie haben eingangs den Zustand des Schweizer Wirtschaftsjournalismus beklagt. Bei welcher Redaktion, bei welchem Titel, erkennen Sie denn am meisten Substanz?
Was kritische Recherchen angeht, macht «Inside Paradeplatz» einen grandiosen Job. Aber auch die seriöseren Tamedia-Titel liefern immer wieder wirklich relevante Enthüllungen. Die NZZ liegt zwar häufig falsch, ist nach wie vor aber stark in der Einordnung. Und die «Republik» hat auch schon ein paar starke Enthüllungen und erfrischende Analysen geliefert.

Die Fragen wurden schriftlich beantwortet



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