04.09.2017

Datenbasiertes Microtargeting

Schweizer Werber entdecken Cambridge Analytica für sich

Alexander Nix behauptet, einen grundlegenden Beitrag zur Trump-Wahl geleistet zu haben. Er war am Freitag zu Gast bei der Gesellschaft für Marketing in Zürich. «Im Deutschen Wahlkampf sind wir nicht involviert», sagte der CEO von Cambridge Analytica in seinem Referat, und: Er sei «ideologisch gesehen agnostisch».
Datenbasiertes Microtargeting: Schweizer Werber entdecken Cambridge Analytica für sich
Er war am Freitag, 1. September zum ersten Mal für einen Vortrag in der Schweiz: Alexander Nix. (Bilder: Adrian Bitzi)
von Edith Hollenstein

Der «Magazin»-Artikel vom Dezember warf hohe Wellen. Die Autoren beschrieben, wie die Firma Cambridge Analytica, eine «ominöse Big-Data-Bude» (Zit. «Magazin»), den US-Wahlkampf und die Brexit-Kampagne beeinflusst hatte. Auch wenn die beiden Autoren Hannes Grassegger und Mikael Krogerus nachträglich eingestanden, dass sie «teilweise überspitzt formuliert» haben (persoenlich.com berichtete), steht fest: Mit ihrem Text haben sie eine wichtige Debatte angestossen. Und, wie sich zeigt: Sie haben dazu beigetragen, dass das Microtargeting-Modell von Cambridge Analytica Beachtung findet – auch bei Schweizer Werbern.

Auch wenn das Referat von Alexander Nix unüblich früh beginnt; mindestens 140 Marketing-Experten sitzen Punkt 8 Uhr im Kaufleutensaal in Zürich. Sie wollen aus erster Hand sehen, was das für ein Mann ist. Und vor allem interessiert es sie, wie sein Wahlbeeinflussungsmodell in ihrem eigenen Wirkungsgebiet, der Produktewerbung, angewendet werden kann.

Potential von Big-Data wird erkennbar

Nix’ Vortrag ist nicht speziell auf das helvetische Publikum zugeschnitten. Es handelt sich um eine Präsentation, die er nach dem Sieg von Donald Trump zur Vermarktung seiner Firma schon mehrfach in etlichen Städten rund um den Globus gehalten haben dürfte (z.B. in Hamburg vgl. Video).


Der 42-Jährige Brite beginnt mit der Ocean-Methode, die menschliche Charakterzüge anhand von fünf Persönlichkeitsdimensionen misst. Auf seiner Folie sind fünf Gesichter zu sehen, jedes zeigt ein Persönlichkeitsprofil: Offenheit, Gewissenhaftigkeit, Extrovertiertheit, Empathie und Angst/Verletzlichkeit. Anhand dieser «Big Five» könne man relativ gut eruieren, welche Wünsche und Ängste eine Person habe.

Daten werden gekauft

Mittels Microtargeting können anschliessend unterschiedliche, auf den Charakter der Menschen abgestimmte Botschaften versendet werden. Wie diese Methode funktioniert, ist im «Magazin»-Artikel vom Dezember verständlich beschrieben. Das könne nicht nur im modernen Polit-Marketing angewendet werden, sondern für alle Produkte aus allen Branchen. «Überall dort wo Menschen im Spiel sind», sagt Nix.

Cambridge Analytica sieht sich als Techfirma. Sie kauft bei unzähligen unterschiedlichen Anbietern – wie xperian, Acxiom, infogroupo oder Iri – Daten ein übers Konsumverhalten, Zeitschriftenabonnements, die Schul-, Job- oder Familiensituation, das Wahlverhalten, über das Auto, das jemand fährt, usw.

Diese Daten kombiniert Cambridge Analytica mit denjenigen der Kunden. «So erhalten wir ein sehr holistisches Bild», sagt Nix. Und mittels Machine Learning könne seine Firma Daten hochrechnen und eruieren, was es brauche, damit aus Nicht-Kunden Kunden würden.

Botschaften passend zum Charakter

Vor den Marketing-Experten in Zürich spricht Nix von einem Paradigmenwechsel. Früher zu «Mad Men’s Zeiten» habe eine Gruppe Kreativer zusammengesessen, eine originelle Idee ausgeheckt und diese dann «top-down» als Werbebotschaft an die Kunden verbreitet. Im neuen Paradigma, also zu «Math Men's Zeiten», funktioniere es umgekehrt. Man gehe von den Zielgruppen aus und definiere anhand der zur Verfügung stehenden Daten, welche Kunden welche Botschaft erreichen müsste. Für unsere Kinder werde es völlig selbstverständlich sein, dass Personen im gleichen Haushalt von derselben Marke oder demselben Produkt unterschiedliche Botschaften zugespielt erhielten.

Targeted TV-Ads im US-Wahlkampf

Später kommt Nix auf Ad-Targeting zu sprechen. Dabei geht er nicht primär auf Facebook- oder Display-Werbung ein, sondern er spricht vor allem über «adressable TV-Ads», also zielgruppengerichtete TV-Werbung.  «Adressable TV-Ads» seien im Zusammenhang mit dem Wahlkampf in den USA «extrem wirksam» gewesen, sagt Nix. Denn im Land, in dem digitales Fernsehen sehr verbreitet ist, hätten TV-Zuschauer in der gleichen Strasse oder mit der gleichen Postleitzahl mit verschiedenen Botschaften beliefert werden können. Die Unterschiede seien meist nur kleine Details, um den Empfänger psychologisch gesehen korrekt anzusprechen: andere Titel, Farben, Untertitel, mit Foto oder Video.

«Ideologisch gesehen agnostisch»

Auch wenn Nix im Nachgang zu den US-Wahlen seiner Firma einen grossen Teil des Siegs von Donald Trump zuschreibt, politisch sei das Engagement nicht. «Wir sind ideologisch gesehen agnostisch. Wenn wir eine Partei unterstützen, dann tun wir das aus rein wirtschaftlichen Gründen», erklärt er auf eine entsprechende Frage aus dem Publikum.

Cambridge Analytica sei pro Jahr in etwa fünf Wahlen weltweit involviert – sowohl für rechte als auch für linke Parteien. Gerüchteweise auch in Deutschland? Nix verneint: «Im Deutschen Wahlkampf sind wir nicht involviert, auch nicht im Auftrag der AfD, wie viele meinen».

Aber natürlich spüre er, dass die Parteien seine Firma gerne engagieren würden. «Doch die Angst überwiegt gegenüber der Offenheit», sagt Nix mit Verweis auf zwei der fünf Charakter-Dimensionen im Ocean-Modell.

 

 

 



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Kommentare

  • Markus Maurer, 05.09.2017 11:42 Uhr
    Agnostisch? Wers glaubt wird seelig. Der wichtigste Investor ist erz liberal-konservativ, Geldgeber von Breitbart und Trump. Abgesehen davon ist das alles nicht neu und wurde in einem positiven Ansatz bereits für Obama angewendet. In der Schweiz dauert es nur lange bis es die Masse erreicht. Man google Project Narwhal ... Letzter Abschnitt beachten: https://de.m.wikipedia.org/wiki/Cambridge_Analytica
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