03.02.2023

Stiftung Mercator

«Der Investitionsbedarf ist enorm»

Immer häufiger werden Medienprojekte durch Stiftungen finanziell unterstützt. Eine davon ist Mercator Schweiz, die soeben grosszügig in Publix Berlin und Öffentlichkeitsgesetz.ch investiert hat. Mit welchem Ziel? Riccardo Ramacci vom Stiftungsteam über Meinungsvielfalt und Finanzierungsdruck.
Stiftung Mercator: «Der Investitionsbedarf ist enorm»
«Wir mischen uns niemals in redaktionelle Entscheidungen und Inhalte ein», so Riccardo Ramacci, wissenschaftlicher Mitarbeiter Demokratie und Digitalisierung bei der Stiftung Mercator Schweiz. (Bild: zVg)
von Christian Beck

Herr Ramacci, was ist an Medienprojekten interessant für die Stiftung Mercator?
Ein starkes, kritisches und vielfältiges Mediensystem ist für unsere Demokratie unverzichtbar. Eine ausgewogene Informationsgrundlage ist zentral für politische Meinungsbildung und Teilhabe. Viele Medien geraten durch die Digitalisierung und einen veränderten Nachrichtenkonsum unter Druck, auch in der Schweiz. Die Stiftung möchte einen Beitrag dazu leisten, dass Medien auch künftig ihrer wichtigen Rolle in der Demokratie gerecht werden können. Sie fördert den gemeinwohlorientierten Journalismus und will so Raum für Innovation und Experimente ermöglichen.

Neu gibt es Förderpartnerschaften mit Öffentlichkeitsgesetz.ch und Publix in Berlin (persoenlich.com berichtete). Warum unterstützen Sie auch Projekte im Ausland?
Publix ist ein Haus für Journalismus und Öffentlichkeit in Berlin. Es ist ein aussergewöhnliches und mutiges Projekt. Die Schöpflin Stiftung in Lörrach investiert substanzielle Mittel in dieses neue Haus. Sie konnte mit der ehemaligen Chefredaktorin des Zeit-Magazins eine starke Intendantin gewinnen. Die Aktivitäten von Publix sollen europaweit Wirkung haben und die Medienvielfalt international stärken. Auch Schweizer Medienschaffende sollen das Haus bereichern und von den gemeinsam erarbeiteten Impulsen profitieren können. Bei Projekten im Ausland ist uns der Bezug zur Schweiz wichtig.

Beide Projekte werden mit je 300'000 Euro respektive Franken über drei Jahre unterstützt. Und nach drei Jahren ist Schluss – oder wie langfristig sind Ihre Partnerschaften jeweils?
Grundsätzlich versuchen wir jede Förderpartnerschaft so zu gestalten, dass die finanzielle Stabilität des Vorhabens auch nach Ende der Förderung gewährleistet ist. Die beiden Medienprojekte erschliessen sich weitere Finanzierungsquellen oder haben dies bereits getan. Der Verein Öffentlichkeitsgesetz.ch wird von mehreren Verlagen und Stiftungen unterstützt, die gGmbH Publix steht als Tochter der Schöpflin Stiftung sehr solide da.

«Niemand entscheidet allein»

Unter den bisher Begünstigten finden sich beispielsweise ein Chatbot-Experiment von Tsüri oder das Bild- und Medienkompetenzprojekt «From Print to Pixel» des Fotomuseums Winterthur. Wer bestimmt, welches Projekt gefördert werden soll?
Es gibt einen klaren Prozess, niemand entscheidet allein. Für grössere Projekte holen wir externe Expertisen ein, die den Stiftungsrat bei der Entscheidung unterstützen. Entscheidungsgrundlage ist unsere Strategie, die auf unserer Webseite zu finden ist.

Und welche Projekte haben eine reelle Chance, von der Stiftung Mercator Geld zu erhalten?
Als gemeinnützige Stiftung unterstützen wir nur Non-Profit-Vorhaben. Im Fall von Journalismus-Projekten heisst das konkret, dass die Vorhaben möglichst vielen Medien zugutekommen sollen, so wie bei Öffentlichkeitsgesetz.ch und Publix Berlin. Wir suchen Projekte, die Neues wagen oder Erfolgreiches skalieren – mit dem Ziel, den Journalismus im Hinblick auf seine Bedeutung für die Demokratie weiterzuentwickeln und zu stärken.

Welche Bedingungen müssen erfüllt sein?
Die Projekte müssen gemeinnützig ausgerichtet sein. Erworbenes Wissen muss Interessierten zugänglich gemacht werden. Wir haben uns darüber hinaus entschieden, keine einzelnen Medientitel oder Rechercheteams zu fördern, um nicht den Wettbewerb zu verzerren oder zu starke Abhängigkeiten zu schaffen.

Was, wenn TX-Group-Verleger Pietro Supino bei Ihnen anklopfen und um Unterstützung bitten würde? Hätte auch er Chancen, berücksichtigt zu werden? Immerhin hat er mehrere Medientitel.
Wir schliessen keinen Akteur kategorisch von einer Zusammenarbeit aus. Finanziell unterstützen wir aber grundsätzlich nur Non-Profit-Vorhaben.

«Wo immer möglich, arbeiten wir eng mit anderen Akteuren zusammen»

Mercator finanzierte kürzlich eine Studie zum Schweizer Lokaljournalismus. Warum?
Die Studie sollte uns und anderen Interessierten aus der Stiftungswelt eine fundierte Übersicht über die Situation der Lokalmedien verschaffen und gleichzeitig konkrete Handlungsoptionen aufzeigen.

Das Fazit der Lokaljournalismus-Studie: Die Lage ist prekär. Welche Schlüsse ziehen Sie nun daraus?
Auch in dieser schwierigen Lage sollten Experimente möglich sein, die neue Formen des Journalismus entwickeln und ausprobieren sowie die kritische und informierte Öffentlichkeit stärken. Stiftungen können das möglich machen. Zudem sollten die Vernetzung und der Austausch zwischen innovativen digitalen Medien-Start-ups und etablierten Medien gefördert werden. Dies immer mit dem Ziel, die Demokratie als Ganzes zu stärken. Bei all dem wollen wir nicht allein handeln. Wo immer möglich, arbeiten wir eng mit anderen Akteuren zusammen.

«Es besteht ein grosser Investitionsbedarf vor allem bei der digitalen Infrastruktur und beim Ausbau des Know-hows», sagte Mitautor Konrad Weber in einem persoenlich.com-Interview. Können nun Schweizer Lokalblätter auf den Geldsegen der Stiftung Mercator hoffen?
Wie gesagt, wir fördern keine einzelnen Medientitel. Aber wir beschäftigen uns gemeinsam mit anderen Fördereinrichtungen mit der Frage, was die dringendsten Bedürfnisse der Lokalmedien sind und wie private Philanthropie den Sektor sinnvoll und gesamthaft unterstützen könnte – ergänzend zur wichtigen staatlichen Medienförderung.

Digitalisierung scheint interessant zu sein für Sie. Investiert hatten Sie auch bei Polaris. Aus der ersten Idee «GA für News» entsteht nun ein Schweizer Nachbarschafts-News-Netzwerk. Sind Sie zufrieden mit dieser Entwicklung?
Das Projektteam rund um Polaris hat die Möglichkeiten der bewusst gross gedachten Idee im Rahmen eines Vorprojekts geprüft. Dies hat es gewissenhaft gemacht und ist zu dem Schluss gekommen, dass die Gegebenheiten für ein «GA für News» im Schweizer Mediensystem derzeit nicht gegeben sind. Aus den gewonnenen Erkenntnissen ist aber eine neue Idee entstanden, die wir interessant finden. Wir sind gespannt auf die weiteren Entwicklungen des Projekts.

Wie stark kontrollieren Sie von Ihnen finanzierte Projekte?
Wir mischen uns niemals in redaktionelle Entscheidungen und Inhalte ein. Das vereinbaren wir auch explizit mit allen Partnerinnen und Partnern so. Auch auf operativer Ebene lassen wir den Projekten grösstmögliche Freiheit, da sie in der Regel am besten wissen, wann welche Prioritäten zu setzen sind. Wir führen regelmässig Gespräche mit den Verantwortlichen, um auf dem Laufenden zu bleiben und aus den Projekten zu lernen. Wo nötig und erwünscht, geben wir Hilfestellungen.

«Ein Ziel der Stiftung Mercator Schweiz ist es, die Demokratie zu stärken»

Hinter der Stiftung Mercator Schweiz steht die Familie Schmidt-Ruthenbeck, die früher am Handelskonzern Metro beteiligt war. Welches Ziel verfolgt Mercator bei der Finanzierung von Projekten vor allem im Bereich Medien?
Ein Ziel der Stiftung Mercator Schweiz ist es, die Demokratie zu stärken. Das macht sie unter anderem, indem sie die Unabhängigkeit und Innovationskraft des Schweizer Mediensystems als Grundlage für die Meinungsbildung und für eine konstruktive Debattenkultur fördert. Wir tun dies möglichst gemeinsam mit anderen in diesem Bereich tätigen Förderstiftungen wie der Volkart Stiftung, der Stiftung für Medienvielfalt, der Schöpflin Stiftung und weiteren wichtigen Akteuren.

Es kann ja nicht aus Spass am Geldverteilen sein. Will die Familie Schmidt-Ruthenbeck beziehungsweise die Stiftung die öffentliche Meinung beeinflussen?
Nein. Der Stiftung ist es im Gegenteil ein Anliegen, den Prozess der öffentlichen Meinungsbildung in seiner Vielstimmigkeit zu fördern.

Vor einem Jahr hat das Schweizer Stimmvolk das Medienpaket bachab geschickt. Erhalten Sie seither vermehrt Anfragen?
Es gab vereinzelte Anfragen. Auslöser war aber eher die Publikation der explorativen Studie zum Lokaljournalismus. Es gibt im Mediensystem, insbesondere bei den kleinen Verlagen, einen grossen Finanzierungsdruck, den auch wir spüren.

«Was brauchen wir den Staat, wenn wir solche Stiftungen haben?», fragte sich Christian Mensch in der Schweiz am Wochenende. Ersetzen Stiftungen den Staat?
Nein. Der Investitionsbedarf ist enorm – und die Mittel der Stiftungen sind beschränkt. Zudem haben sich nur eine Handvoll Stiftungen, dem Thema verschrieben. Es ist also eine Illusion zu glauben, dass Stiftungen langfristig die dringend benötigten Mittel zur Verfügung stellen könnten. Eine unabhängige Stelle, die staatliche Gelder verteilt, wie sie der Eidgenössischen Medienkommission vorschwebt, erscheint da naheliegender.



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