15.12.2022

Das war 2022

«Es sind hochinteressante Zeiten für Journalismus»

Das Nein zum Medienpaket bringt die Finanzierungsfrage neu aufs Tapet. Welche Ereignisse haben das Medienjahr sonst noch geprägt? Larissa Bieler, Direktorin von SWI swissinfo.ch, über ihre Arbeit in der Emek, Pionierarbeit von Bajour und Medienminister Albert Rösti.
Das war 2022: «Es sind hochinteressante Zeiten für Journalismus»
«Wir werden eine bessere Form von Journalismus erleben»: Larissa Bieler ist als Direktorin und Chefredaktorin von SWI swissinfo.ch in der SRG-Unternehmensleitung. (Bild: Thomas Kern)

Frau Bieler, Spotify zeigt die Lieblingssongs 2022, Google die häufigsten Suchwörter des Jahres, und SRF blickt mit der «Tagesschau» nach Weihnachten traditionell auf die Schlagzeilen des Jahres zurück. Mögen Sie solche Jahresrückblicke?
Ja, ich mag sie sehr und nutze sie auch. Sie bieten eine sorgfältige Kuration über das ganze Jahr hinweg und helfen den Nutzerinnen und Nutzern, das Jahr nochmals Revue passieren zu lassen. Ich gehe davon aus, dass es eine Form von Journalismus ist, die rege genutzt wird, sonst würde sie nicht jedes Jahr aufs Neue gemacht.

Nun blicken wir gemeinsam auf das Medienjahr 2022. Welches sind Ihrer Meinung nach die drei einschneidendsten Ereignisse oder Entwicklungen des Jahres in der Branche?
Es war ein unglaublich bewegtes Jahr. Wofür das Jahr 2022 in die Geschichte eingehen wird, ist die Verschlechterung der Pressefreiheit weltweit. Das International Press Institut spricht auch von einem «annus horribilis» für Journalismus und Pressefreiheit. Ich denke, diese globale Sicht sollte uns in der Schweiz nachdenklich stimmen. Denn auch hier sehen wir aus Studien, dass viele Journalistinnen und Journalisten gemäss eigenen Aussagen Ziel von Beeinflussungsversuchen waren. Für den Medienstandort Schweiz war das Scheitern des Medienförderpakets an der Urne einschneidend. Das war sicher ein harter Schlag für viele Medien. Nach der Ablehnung besteht nun in den nächsten Jahren nochmals Gelegenheit, in einer demokratischen Debatte eine Auslegeordnung zu machen und zu überlegen, was erfolgsversprechende Varianten wären. Gleichzeitig leisten die meisten Medien in der Schweiz derzeit Pionierarbeit in der Entwicklung unter extrem hohem Innovationsdruck.

«Wir müssen uns auf die Übergangsphase konzentrieren, bis wir konkrete Lösungen auf dem Tisch haben»

Und drittens?
Was mich in diesem Jahr besonders überrascht hat, ist das Resultat aus dem Medienqualitätsranking in Bezug auf die Mediennutzung bei den jungen Erwachsenen. Sie konsumieren noch gerade sieben Minuten Information pro Tag. Das hat nachdenklich gestimmt. Hinzu kommt, dass die meisten Jugendlichen ihre Nachrichten über die sozialen Medien konsumieren. Das ist ein riesiges Paradox, weil diese Tech-Plattformen und gerade die sozialen Medien einfach erheblich zur Schwächung unserer Nachrichtenmedien beitragen. Finanziell einerseits, aber sie beschneiden auch die Unabhängigkeit unserer Medien, weil wir so die Fähigkeit verlieren, als vierte Gewalt wirken zu können.

Sie gehören der SRG-Unternehmensleitung an und sitzen in der Eidgenössischen Medienkommission (Emek). Inwiefern hat Sie das erwähnte Nein zum Medienpaket in den letzten Monaten beschäftigt?
Diese Ablehnung betrifft alle Akteure unserer Branche. Wir kämpfen ja gemeinsam für einen starken Medienstandort. Wir müssen uns nun auf die Übergangsphase konzentrieren, bis wir konkrete Lösungen auf dem Tisch haben. Das ist absolut dringend, gerade auch für lokale, regionale Medien. Die sind dringend auf Finanzierung angewiesen. Für verschiedene Medien ist das ein Kampf ums Überleben. Der Druck ist hoch und entsprechend wird auch intensiv nach Lösungen geforscht und über Auswege diskutiert. Das sind Themen, die wir sowohl in der Emek diskutiert haben als auch in der Geschäftsleitung der SRG. Wir sind interessiert an einer Stärkung des Medienstandorts Schweiz, und die SRG möchte auch entsprechend positiv darauf hinwirken, beispielsweise durch Kooperationen mit den Privaten.

Eine dieses Jahr erschienene Studie zum Lokaljournalismus regt eine Art Labor an, in welchem Stiftungen und Kantone zusammenspannen, um mehrere Pilotprojekte zu ermöglichen. Es soll so vor allem eines: rasch vorwärts gehen. Sind solche Projekte die Lösung?
Die Leistungen, die von der Schweizer Bevölkerung für das Funktionieren unserer Demokratie vom Schweizer Mediensystem erwartet werden – also das vielfältige publizistische Angebot in allen Regionen –, lassen sich ohne eine Medienfinanzierung derzeit nicht realisieren. Das ist ein Fakt. Vor allem in den Regionen sind die Geschwindigkeit der technologischen Entwicklung und die damit verbundenen digitalen Investitionen ein grosses Problem. Es braucht eine Finanzierung, die in die Bresche springt, um diese Finanzierungsschwierigkeiten zu lösen. Aktuell leidet nämlich nicht nur die Vielfalt, sondern auch die journalistische Leistungsfähigkeit. Stiftungen können und sollen in einer Übergangsphase eine wichtige Rolle übernehmen. In der von Ihnen genannten Studie wird unter anderem auch vorgeschlagen, dass dies in Zusammenarbeit mit den Kantonen geschehen soll, um Start-ups und lokale Projekte zu finanzieren. Ich finde es auf jeden Fall eine sinnvolle Stossrichtung, bis wir die definitive Finanzierungsfrage gelöst haben.

«In dieser Krise zeigt sich sehr gut, dass Journalismus primär kein wirtschaftliches Gut ist»

Ein Beispiel für ein junges Medien-Start-up, welches hauptsächlich durch die Stiftung Medienvielfalt finanziert ist, heisst Bajour.
Die Redaktion in Basel leistet wichtige Pionierarbeit. Zum Beispiel diese «Frage des Tages», auf die man jetzt setzt. Hier wird am Dialog mit der Community gearbeitet. Diese Form der lokalen Debatte, die Bajour betreibt, ist wirklich einzigartig und schafft Raum für eine demokratische, konstruktive Debatte mit den neuesten technischen Möglichkeiten. Dieses Membership- und Dialog-Modell ist aus meiner Sicht das Geschäftsmodell, das zukünftig nachhaltig auch wieder Vertrauen in den Journalismus schaffen wird. 

SP-Polititikerin Jacqueline Badran sagte im Interview mit persoenlich.com, dass es nicht die Frage sei, ob der Staat die Medien finanzieren werde, sondern wann und wie. Stimmen Sie zu oder widersprechen Sie?
Ich befürchte, sie hat recht.  Die Lage ist prekär. In dieser Krise zeigt sich auch sehr gut, dass Journalismus primär kein wirtschaftliches Gut ist. Und das gilt für die Schweiz mit ihrem föderalen System noch besonders stark.

Die Denkfabrik Avenir Suisse skizziert in einer Studie eine Medienpolitik für das digitale Zeitalter. Sie sieht die SRG als eine Art Public Content Provider, der Inhalte produziert, die dann auktioniert werden.
Das duale Modell mit SRG und privaten Medien ist etabliert, und es hat sich auch bewährt. Es ermöglicht die freie Meinungsbildung, die notwendig ist für unser politisches System. Zu dieser Studie lassen sich zwei Dinge sagen: Einerseits wird sie der Rolle der SRG im gesamten System nicht gerecht. Die SRG erbringt einen Mehrwert für die Bevölkerung, sie trägt zur Demokratie bei, sie fördert den Zusammenhalt sowie das Gemeinwohl. Dem allem wird in der Studie kaum Beachtung geschenkt. Die Idee vom Service Public Content Provider würde bedeuten, dass die SRG ihre Sendungen nicht mehr selbst ausstrahlt, sondern periodisch an andere Medien auktioniert. Dieses skizzierte Modell ist nicht neu. Für mich wirft der Vorschlag insofern letztlich mehr Fragen auf, als er tatsächlich Lösungsansätze bietet.

Kommen wir auf die Emek zu sprechen. Das Gremium berät den Bundesrat unter anderem in medienpolitischen Entscheiden. Wie muss man sich diese Aufgabe konkret vorstellen? Wie und wo bringen Sie sich ein?
Die Emek ist als unabhängiges Gremium eine wertvolle und wichtige Instanz. Es sind Vertreterinnen und Vertreter aus der gesamten Medienbranche dabei, aber auch aus verschiedenen Organisationen mit unterschiedlichen Expertisen aus Wissenschaft, Recht, Technologie, Kommunikation oder auch dem Werbemarkt. Wir diskutieren einerseits wichtige langfristige medienpolitische Herausforderungen wie die Medienförderung, debattieren aber auch zum Beispiel über das Rollenbild von Journalistinnen und Journalisten und deren Arbeitsbedingungen. Wir erarbeiten gemeinsam Vorschläge und nehmen nach dem intern breit geführten Diskurs eine unabhängige Position ein.

«Die Medienschweiz braucht eine breite demokratische Debatte, die diese ganze Medienpolitik in Zukunft auch begleitet»

Sie hatten also in den letzten Jahren viel mit Medienministerin Simonetta Sommaruga zu tun?
Der Austausch findet häufig direkt über die Leitung des Bundesamts für Kommunikation (Bakom) sowie deren Vertreterinnen und Vertreter statt.

Die Schweiz erhält nächstes Jahr einen neuen Medienminister. Mit Albert Rösti übernimmt das Uvek erstmals seit Jahren ein SVP-Politiker. Was bedeutet das für die Branche?
Albert Rösti wird mit seinen Überlegungen hoffentlich Auswirkungen auf die Branche haben. Aber jetzt ist der Moment, Albert Rösti zu seiner Wahl zu gratulieren und ihm für diese schwierige, herausfordernde Aufgabe viel Erfolg zu wünschen. Die Schweiz braucht eine breite demokratische Debatte, die diese ganze Medienpolitik in Zukunft auch begleitet.

In der SRG-Unternehmensleitung haben Sie sicherlich auch schwer schlucken müssen, nachdem die Departementsverteilung klar war. Albert Rösti gehört ja dem Initiativkomitee der Halbierungsinitiative an.
Natürlich machen wir uns in der SRG-Unternehmensführung über aktuelle Entwicklungen Gedanken und diskutieren sie. Wir kommentieren das aber nicht öffentlich und freuen uns auf den Austausch mit Bundesrat Rösti. 

Kommen wir vom Medienminister zur Medienkritik. Vor einigen Wochen wurde bekannt, dass die Medienwoche eingestellt wird. Wie schätzen Sie die Situation der Medienkritik aktuell in der Schweiz ein, und wie wichtig ist das für die Branche?
Ich bedauere diese Einstellung sehr. Ich habe die Medienwoche als sehr kritisches, aber auch sehr professionell arbeitendes Fachportal wahrgenommen. Diese Arbeit ist vor allem wichtig für die Selbstreflexion der Medien. Aber sie ist auch notwendig als Korrektiv. Wie bereits erwähnt, befindet sich die Branche nebst der Krise auch in einer Pionierphase, die viel Innovation braucht und wo sich auch viele Fragen stellen. Es ist umso wichtiger, dass die Branche auch von unabhängiger Seite reflektiert wird. Ich verbinde das gern mit einem Kompliment an Ihr Team von persoenlich.com, weil ihr zählt ja auch in diese Kategorie. Es ist extrem wichtig, dass es diese Medienkritik, diese Reflexion gibt. 

«Ich glaube, dass die Medien gestärkt aus der aktuelle Krise hervorgehen werden»

Blicken wir zum Schluss noch etwas nach vorn. Es sind ja verschiedenste Vorstösse im Bereich der Medien in Bundesbern hängig. Welche werden das Parlament im nächsten Jahr beschäftigen?
In erster Linie zählt da sicher das Postulat von Katja Christ dazu, über das wir gesprochen haben. Der Bundesrat ist beauftragt, bis spätestens im Frühjahr 2024 einen Bericht für eine zukunftsgerichtete Medienförderung vorzulegen. Zudem stark beschäftigen wird uns das Leistungsschutzrecht. Hier soll die vom Bundesrat in Auftrag gegebene Vernehmlassungsvorlage bis Ende 2022 stehen (persoenlich.com berichtete). Die Social-Media-Konzerne und Drittplattformen sollen für die Verbreitung der journalistischen Inhalte von Medien eine Vergütung zahlen müssen. Davon könnten die grossen und kleinen Medienunternehmen profitieren. Zudem gehe ich davon aus, dass im kommenden Jahr die Unterschriften für die No-Billag-2-Vorlage – also die sogenannte Halbierungsinitiative – zusammengekommen sind. Da steht uns erneut eine wichtige Debatte für den Medienstandort Schweiz bevor. Ein Ja würde ich als erneuten harten Schlag für die gesamte Branche werten.

Wir haben nun viel über die aktuellen Schwierigkeiten der Branche gesprochen. Gibt es etwas, das Sie positiv stimmt?
Ich glaube, dass die Medien gestärkt aus der aktuellen Krise hervorgehen werden. Wir werden eine bessere Form von Journalismus erleben. Eine, die sich wieder auf den Wert und die Bedeutung einer freien Gesellschaft konzentriert. Es wird in der Schweiz entscheidend sein, dass wir die Regionen stärken und wieder mehr Jugendliche erreichen. Es sind – zurückkommend auf die Pressefreiheit – anspruchsvolle Zeiten für den Journalismus, aber auch hochinteressante. Und die Notwendigkeit von qualitativ hochstehender Information wurde den Medienschaffenden sowie den Nutzerinnen und Nutzern mit der Pandemie und dem Ukrainekrieg schon lange nicht mehr derart vor Augen geführt. Das ist eine echte Chance.

Nun stehen zuerst einmal die Feiertage an. Wie werden Sie Weihnachten und Silvester verbringen?
Zum ersten Mal nicht in meiner Heimat in Graubünden, ich feiere das Jahresende in London.


Larissa Bieler ist Direktorin von SWI swissinfo.ch, der zehnsprachigen digitalen Plattform der SRG. Davor war sie Chefredaktorin des Bündner Tagblatts. Zudem ist sie unter anderem Mitglied der Eidgenössischen Medienkommission (Emek).

In der Serie «Das war 2022» greifen wir die grossen Themen des Jahres in kompakter Form nochmals auf. Hier finden Sie die Übersicht.


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