Herr Hossli, Sie haben sich als Reporter einen Namen gemacht. Hat diese Tätigkeit für Sie an Reiz verloren?
Überhaupt nicht. Ich bin und bleibe Reporter und Journalist. Die Leitung der Ringier-Journalistenschule sollte man dann annehmen, wenn die Leidenschaft für den Beruf noch gross ist. Und nicht dann, wenn man das Gefühl hat, die eigene Zeit sei vorbei. Es ist mein Anspruch, jungen Menschen diese Dinge zu vermitteln: dass man verantwortungsbewusst mit dem Job umgeht, das Handwerk lernt und grosse Freude hat am Journalismus. Meine eigene publizistische Arbeit nehme ich zurück, um andere lancieren zu können.
Wie wollen Sie den Nachwuchs für den Journalismus begeistern, Leidenschaft dafür entfachen?
Leidenschaft allein reicht nicht. Journalismus erbringt aus meiner Sicht eine Dienstleistung für die Gesellschaft. Da geht es nicht um Selbstverwirklichung von uns Journalisten und Journalistinnen. Man bereitet Informationen auf, vermittelt sie – und versucht, der Wahrheit so nahe wie möglich zu kommen.
Was braucht es dafür?
Gutes Handwerk. Das zentrale Werkzeug ist die Sprache, ob geschrieben, gesprochen, oder filmisch. Deshalb erachte ich es als zentral, dass in einer journalistischen Ausbildung das Gespür für die Sprache gefördert wird. Zweitens: Journalistinnen und Journalisten sollen sich mit dem Virus der Neugier infizieren und nicht mehr davon loskommen.
Und drittens?
Dass man unvoreingenommen an eine Sache herangeht und den Mantel des Aktivismus ablegt. Da bin ich vielleicht etwas altmodisch, aber ich möchte an das Zitat des früheren, 1995 verstorbenen Journalisten Hajo Friedrichs erinnern: «Man soll sich mit keiner Sache gemein machen, auch nicht mit einer guten, man ist überall dabei, aber gehört nie dazu.» Das ist eine Einstellung, die ich nach wie vor entscheidend finde im Journalismus und die ich an der Ringier-Journalistenschule zusammen mit Referentinnen und Referenten vermitteln möchte.
«Die vielen herzlichen Feedbacks berühren mich»
Sie werden nicht alles unterrichten?
Die Journalistenschule von Ringier ist Teamwork mit vielen guten Referentinnen und Referenten aus der Praxis. Ich hatte in der Vergangenheit die Ehre, als Referent über die Reportage zu sprechen. Zudem habe ich beim letzten Jahrgang die Abschlussarbeit begleitet.
Apropos Aussage von Friedrichs: «Man soll sich mit keiner Sache gemein machen, auch nicht mit einer guten» – wie haben Sie die Geschichte um Marc Walders Ansichten zur Coronaberichterstattung verfolgt?
Verfolgt habe ich die Geschichte in den Ferien in Süditalien. In den acht Jahren, die ich für Ringier gearbeitet habe, habe ich weder von Verlags- noch von Geschäftsleitungsseite eine Vorgabe erhalten, über was oder wie ich über ein Thema schreiben soll. Ich habe Ringier stets als liberalen Arbeitgeber empfunden.
Wie haben Sie Ihre eigenen Anfänge in Erinnerung?
Als jüngstes Redaktionsmitglied beim Nachrichtenmagazin Facts hatte ich das grosse Glück, dass ich von erfahrenen Journalistinnen und Journalisten lernen und mit ihnen über Geschichten reden konnte. Davon profitiere ich noch heute. Dass Routiniers ihr Wissen jungen Menschen weitergeben können, zeichnet die Journalistenschule von Ringier aus. Das ist ein wichtiger Grund, warum ich diesen Job angenommen habe.
Sie treten den Job am 1. Mai an (persoenlich.com berichtete). Wie sind die Rückmeldungen?
Die vielen herzlichen Feedbacks berühren mich. Besonders gefreut hat mich, dass sich etliche ehemalige Jouschu-Schülerinnen und -Schüler, die ich unterrichtet habe, bei mir gemeldet und sich für mich gefreut haben. Dass sie mir gesagt haben, ich hätte ihnen wertvolle Dinge mit auf den Weg gegeben, ist eine schöne Sache für mich.
«Hannes hinterlässt mir eine Schule in absolutem Topzustand»
Sie werden Nachfolger von Hannes Britschgi – das sind grosse Fussstapfen, in die Sie treten. Wie blicken Sie dem entgegen?
Es ist richtig, es sind grosse Fussstapfen. Ich habe das Glück, dass ich Hannes schon viele Jahre kenne. Wir sind uns erstmals begegnet, als er Chefredaktor von Facts war und ich Korrespondent in den USA. Er verantwortete die Ausgabe zu 9/11 und ich habe aus New York über diesen Tag berichtet. Diese Erfahrung verbindet uns. Er hinterlässt mir eine Schule in absolutem Topzustand mit ausgewiesenen Referentinnen und Referenten. Ich freue mich darauf, dass er mich einarbeiten wird. Mit Frank A. Meyer hat die Schule einen Stiftungspräsidenten, der sich mit aller Kraft für die Ausbildung bei Ringier einsetzt.
Eine Herausforderung dürfte sein, dass Journalismus bei jungen Menschen längst nicht mehr so beliebt ist wie vor zehn Jahren. Ist der Job noch attraktiv genug?
Das Problem ist, dass wir Journalistinnen und Journalisten unseren Job in den letzten Jahren mit dem Hang zum Jammern unnötigerweise schlechtgeredet haben. Es ist die Aufgabe der Manager, sich mit der wirtschaftlichen Krise der Branche zu befassen. Wir sollten unsere Energie dafür verwenden, hartnäckig zu recherchieren und attraktiv zu erzählen. Dieser Job ist nach wie vor attraktiv – ich würde sogar sagen, dass wir heute einen besseren Journalismus machen als noch vor 30 Jahren. Weil wir viel mehr Möglichkeiten haben, zum Beispiel bei der Faktenüberprüfung. Die Kontrolle der Journalisten durch die konkurrierenden Medien ist besser geworden. Es ist ein Job, der viel abverlangt.
Wie meinen Sie das?
Es ist keine 9-to-5-Tätigkeit, bei der man jede Überstunde aufschreiben kann. Journalist ist man immer, das kann man nicht abstellen. Klar, ich lege mein Handy am Sonntag auch mal zur Seite. Die Sensoren für eine neue Geschichte sind aber immer offen.
«Das Hintergrund-Ressort der NZZ am Sonntag ist eine hervorragende Plattform»
SRF hat ihre journalistischen Stages um drei Jahre verschoben, was Kritik in der Branche ausgelöst hat. Haben Sie Verständnis für diesen Entscheid?
Ich kenne die genauen Umstände nicht, wie dieser Entscheid zustande gekommen ist. Deshalb kann ich keinen qualifizierten Kommentar dazu abgeben. Was ich aber grundsätzlich sagen kann: Es ist die Aufgabe der Medien, ihren Nachwuchs auszubilden und Leute nachzuziehen. Ringier macht dies vorbildlich.
Was sich viele Branchenkenner fragen: Weshalb geben Sie Ihren Job im Hintergrund-Ressort der NZZ am Sonntag auf?
Die Frage ist falsch gestellt. Ich gehe an einen Ort, wo ich hinmöchte. Klar ist: Das Hintergrund-Ressort der NZZ am Sonntag ist eine hervorragende Plattform. Dort konnte ich journalistische Dinge umsetzen, wie es an anderen Orten kaum möglich ist. Dafür bin ich meinem Ressortleiter Michael Furger und den Chefredaktoren Luzi Bernet und Jonas Projer dankbar. Ich habe viel Neues gelernt. Ringier hat ausgezeichnete publizistische Plattformen, die ich nutzen werde.
Das tönt danach, dass Sie weiterhin journalistisch tätig sein werden.
Auf jeden Fall! Ich hoffe, dass dieses Feuer nie erlischt. In den nächsten Wochen werde ich mit den Verantwortlichen darüber reden, in welchen Ringier-Publikationen ich künftig publizieren werde. Meine Hauptaufgabe wird es aber sein, junge Menschen zu fördern – und sie zu unterstützen, gute Geschichten zu finden und sie zu erzählen.
Wie schwer ist Ihnen der Entscheid gefallen, eine neue Herausforderung anzunehmen?
Zur Ringier-Journalistenschule zu gehen, ist mir nicht schwergefallen. Ich mag die Schule und die kompetenten Leute, die bei Ringier arbeiten. Ich habe immer gedacht, Hannes macht das noch zwei Jahre (lacht) – danach könnte das vielleicht etwas für mich werden. Jetzt kommt es früher. Aber der Weggang von der NZZ am Sonntag fällt mir nicht einfach. Die Zeitung verfügt über ein hervorragendes Team mit tollen Menschen. Im Hintergrund haben wir eine Arbeitsweise, die ich vorbildlich finde – sei dies die Diskussionskultur, die Faktenprüfungskultur, die Recherchekultur oder die Gegenlesekultur. Es war eine Ehre für mich, drei Jahre lang für die NZZ am Sonntag zu schreiben – und ich werde noch ein paar weitere Geschichten bis zu meinem Abgang veröffentlichen.
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19.01.2022 06:07 Uhr