29.05.2020

Serie zum Coronavirus

«Schön, dass der FC St. Gallen immer noch führt»

Folge 54: Francesco Benini wechselt nach 18 Jahren von der NZZaS zu CH Media. Warum gerade jetzt?
Serie zum Coronavirus: «Schön, dass der FC St. Gallen immer noch führt»
Francesco Benini stiess 2002 zum Gründungsteam der NZZ am Sonntag, ab 2009 wurde er Ressortleiter und 2016 stellvertretender Chefredaktor. Nun wird er Autor bei CH Media. (Bild: zVg.)
von Matthias Ackeret

Herr Benini, Sie haben dieses Wochenende nach 18 Jahren Ihren letzten Arbeitstag bei der NZZ am Sonntag. Was ist das für ein Gefühl?
Ich habe mit mir gerungen in der Zeit vor dem Entscheid, die NZZ am Sonntag zu verlassen. Nun bin ich gelassen.   

Wie haben Sie die letzten Wochen während des Lockdowns erlebt?
Die Videokonferenzen werden mit der Zeit ein wenig mühsam. Besprechungen in Sitzungszimmern sind effizienter. Die Redaktion machte aber einen guten Job – was zum Beispiel das Ressort Wissen zum Coronavirus publizierte, war meiner Ansicht nach auf hohem Niveau. Das Interesse am Blatt war entsprechend gross wie lange nicht mehr.  

Haben sich die Zeitungen oder gar der Journalismus durch dieses Ereignis verändert?
An eine grundlegende Veränderung glaube ich nicht. Mir fiel auf, dass sich die Journalisten Mühe gaben zu unterscheiden, was über das Virus und dessen Folgen bekannt ist und was nicht. Manches weiss man bis heute nicht. Die strikte Trennung zwischen Fakten und Annahmen von Experten empfiehlt sich auch in der journalistischen Behandlung künftiger grosser Ereignisse.

Nun wechseln Sie gerade in einer wirtschaftlich schwierigen Zeit zur Schweiz am Wochenende. Salopp gefragt: Ist dies schlau?
Ich unterschrieb den Arbeitsvertrag zwei Tage bevor das Coronavirus die Schweiz erreichte. Darum kann ich die Frage eigentlich nicht beantworten. Die Schweiz am Wochenende ist aber nicht irgendeine Zeitung. Sie ist mit Abstand die Grösste im Land. Ich wechsle übrigens in die Zentralredaktion der Zeitungen von CH Media und werde auch unter der Woche Texte schreiben.

Was bietet Ihnen eine Aargauer Wochenendzeitung, was Ihnen die NZZ am Sonntag nicht bieten kann?
Meine Aufgabe wird eine andere sein: Bei der NZZ am Sonntag war ich in den vergangenen elf Jahren in Führungspositionen, nun geht es ausschliesslich ums Schreiben als Autor und Reporter.  

Das Werbeaufkommen bricht momentan stark ein. Was heisst das langfristig für den Journalismus?
Ein Teil der Werbung wird zurückkommen. Die Zeitungen müssen aber so gut sein, dass sie sich weitgehend aus dem Lesermarkt finanzieren können.

Sie waren von Anfang an bei der NZZ am Sonntag. Was war – rückblickend gesehen – Ihre wichtigste Geschichte?
Nur eine? Unvergesslich ist die Begegnung mit einer Zürcher Regierungsrätin in ihrem Büro, an einem Freitagabend. Ich hatte darüber berichtet, dass im Kantonalzürcher Regierungsrat ein heftiger Streit tobte. Die Magistratin präsentierte mir ihren Gegenschlag, mit dem sie die Handlungshoheit zurückgewinnen wollte. Mir erschien der Vorstoss wenig plausibel, also fragte ich dreimal nach, ob darüber am Sonntag ein Text erscheinen könne. «Ja», lautete die Antwort. Wenige Tage später wurde die Politikerin von ihren Regierungskollegen zum Rücktritt gezwungen. Deren Freude am Inhalt des Artikels war klein.   

Sie haben unter anderem über den Abgang von Roger de Weck als Generaldirektor der SRG oder dem altersbedingten Rücktritt von Markus Gilli als TeleZüri-Chef berichtet, lange bevor diese es selber kommunizierten. Wie haben die beiden auf Ihre Berichterstattung reagiert?
Beide sind Profis. Bei de Weck hatte ich die Befürchtung, dass er sich relativierend äussern könnte; das Ergebnis der Recherche wäre dann angezweifelt worden. De Weck schwieg aber über Wochen beharrlich, und seine Medienstelle versandte delphische Communiqués – bis sie seinen Rücktritt schliesslich bestätigte.

Wie sieht Ihr letzter Arbeitstag bei der NZZ am Sonntag aus?
Wie immer: Prüfen, ob wir Recherchen anderer Zeitungen aufgreifen sollten. Die eigenen Texte fertig schreiben, die Artikel des Ressorts Schweiz redigieren und sich wundern, dass einige liebe Kollegen die Kommas immer dort setzen, wo sie nichts verloren haben.  

Zur Gegenwart: Was war für Sie das prägendste Erlebnis der letzten Wochen?
Die Schweiz ist bisher glimpflich durch die Coronakrise gekommen. Das hat auch damit zu tun, dass sich fast alle an die Vorsichtsmassnamen hielten. In Erinnerung bleiben mir die sonnigen Ostern, an denen das Land völlig verwaist schien. Eindrücklich ist auch, wie lange sich der FC St.Gallen schon an der Spitze der Fussball-Liga hält. Beckmesser werden einwenden, das hänge damit zusammen, dass seit Monaten keine Spiele stattfinden. Trotzdem ist es grossartig.

 



Was bedeutet die Corona-Pandemie für die verschiedenen Akteure der Schweizer Medien- und Kommunikationsbranche? Bis auf Weiteres wird persoenlich.com jeden Tag eine betroffene Person zu Wort kommen lassen. Die ganze Serie finden Sie hier.

 

 



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