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Da waren es schon vier

Nick Lüthi

Jetzt also auch noch Christian Dorer. Innert weniger als einem Jahr mussten vier Chefredaktoren grosser Schweizer Zeitungen unfreiwillig ihren Posten räumen. Zuerst, im letzten Sommer, Finn Canonica beim Magazin. Die Causa wirft bis heute Wellen, seit seine ihm früher unterstellte Redaktorin Anuschka Roshani im Spiegel verbale Übergriffigkeit und Machtmissbrauch vorgeworfen hat. Canonica hält hart dagegen und sieht sich zu Unrecht am Pranger. Ein interner Untersuchungsbericht stützt seine Sicht.

Im Vergleich dazu geradezu harm- und geräuschlos verlief die Zurückstufung von Arthur Rutishauser, der seinen Posten als Tamedia-Superchefredaktor verlor und «nur» noch die SonntagsZeitung leitet.

Nach Tamedia sprachen auch die Ringier-Verantwortlichen Machtworte. Zuerst traf es Werner De Schepper. Der Co-Chefredaktor des Magazins Interview by Ringier musste seinen Posten räumen nach einem Vorfall, bei dem der altgediente Medienmann sich nicht entsprechend seiner Rolle als Führungspersönlichkeit verhalten habe. Obwohl Ringier den Grund für die Entlassung nicht explizit nannte, macht man sich seinen Reim, nachdem eine Tagi-Recherche De Schepper 2017 notorische physische Übergriffigkeit gegenüber Frauen vorgeworfen hatte.

Nur wenige Tage später wiederholte sich das Szenario. Wieder Ringier. Wieder ein Chefredaktor. Christian Dorer muss sechs Monate aussetzen, danach werde geschaut, ob er als Chefredaktor der Blick-Gruppe zurückkomme. Grund für seine temporäre Absetzung gemäss Medienmitteilung: Verstoss gegen den «Code of Conduct», weil er eine bestimmte Mitarbeitenden-Gruppe bevorzugt behandelt habe. So überraschend die Personalien für Aussenstehende erscheinen mögen, so nachvollziehbar war der Personalentscheid intern; man hatte damit gerechnet. Das signalisierte jüngst auch das Magazin Schweizer Journalist:in. In einer zwar anonymisierten, aber sonst eindeutigen Personalie spekuliert das Branchenblatt über eine bevorstehende Entlassung Dorers.

Die vier Fälle innert weniger als einem Jahr kommen nicht von ungefähr. Chefposten sind heute keine Stellen mehr auf Lebenszeit. Verlage reagieren heute schnell und zeigen sich zunehmend bereit, ihr Spitzenpersonal vorzeitig auszuwechseln. Die Zeiten sind vorbei, als ein Chefredaktor seinen Posten auf Lebzeiten halten oder selbst entscheiden durfte, wann er gehen wollte.

Zum einen reagieren Verlage auf den existenziellen Druck, ein jüngeres zahlendes Publikum erreichen zu müssen, um längerfristig überleben zu können. Das geschieht nicht zuletzt mit Personal, das die Zielgruppen besser anzusprechen vermag; also weniger alte Männer und mehr junge Frauen. Bei der Absetzung von Arthur Rutishauser ging es auch darum. Mit Raphaela Birrer hat eine um fast zwanzig Jahre jüngere Frau die Chefredaktion des Tages-Anzeigers übernommen.

Zum anderen verfolgen die Verlage im Zuge der Erfahrungen mit #MeToo zunehmend eine Nulltoleranzpolitik. So hat Ringier in den letzten Jahren die Zügel angezogen und die Toleranzschwelle tiefer gelegt. Werner De Schepper und Christian Dorer hielten sich offenbar nicht an die Spielregeln und zahlten dafür den ihnen bekannten Preis. Damit tut es Ringier seinem deutschen Geschäftspartner Axel Springer gleich, der im Fall des früheren Bild-Chefredaktors Julian Reichelt nach anfänglichem Zögern auch die Reissleine gezogen hatte.

Den eigenen Regeln nach zu leben, stärkt grundsätzlich die Glaubwürdigkeit. Das setzt aber voraus, dass Entlassungen oder Degradierungen auf sauberer und transparenter Grundlage entschieden und genauso klar kommuniziert werden. Gerüchte, Schlammschlachten und Rechtsstreite schaden einer Marke mehr, als dass sie mit einem mutigen Personalentscheid gewinnt.



Nick Lüthi ist Redaktor von persoenlich.com.

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