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Medienschaffende sind keine Fans

Tim Frei

Dass man sich im Umfeld vieler Prominenter geehrt fühlt, ist menschlich. Wenn Journalistinnen und Journalisten aber ihre Prinzipien über Bord werfen, zu Fans werden und die journalistische Distanz vermissen lassen – wie am Eröffnungsabend des Zurich Film Festival vereinzelt zu beobachten war –, ist das ein falsches Zeichen. Es widerspricht dem Berufsethos.

Noch anfälliger für Fantum als der People-Bereich ist der Sportjournalismus. Klar, viele Sportjournalistinnen und Sportjournalisten wahren die Distanz zum Gegenüber. Aber es gibt auch einige, die damit Mühe haben – zum Beispiel, wenn sie ein Selfie mit einem Sportler machen und das anschliessend auf ihrem persönlichen Social-Media-Kanal teilen. Oder, wenn sich Journalistinnen und Journalisten mit der Überzeugung vieler Sportfunktionäre identifizieren, dass man sich «im gleichen Boot» befinde.

Genauso irritierend wie das Fantum einiger Medienschaffender ist auch die Vorstellung von Journalistinnen und Journalisten, wonach die journalistische Distanz nicht eingehalten werden könne, wenn man mit dem Gegenüber per Du sei. Das ist Blödsinn. Medienschaffenden, die sich wirklich zur Unabhängigkeit bekennen, gelingt es, beim Niederschreiben eines Interviews die Distanz zum Gesprächspartner aufrechtzuerhalten.

Dass dies alles nicht in den Journalismus passt, hatte bereits der 1995 verstorbene deutsche Fernsehjournalist Hanns «Hajo» Joachim Friedrichs angemerkt. Er sagte: «Einen guten Journalisten erkennt man daran, dass er sich nicht gemein macht mit einer Sache – auch nicht mit einer guten Sache.»

Der Schweizer Presserat hat eine ähnliche Meinung wie Friedrichs, heisst es doch in der «Erklärung der Pflichten und Rechte der Journalistinnen und Journalisten» unter der Richtlinie 9.1: «Die Wahrung der Unabhängigkeit der Journalistinnen und Journalisten ist für die Verteidigung der Pressefreiheit unabdingbar.»

Medienschaffende sollten also nicht zu Fans werden, möchten sie ihre Glaubwürdigkeit nicht verlieren. Schliesslich ist ihre Aufgabe Journalismus – und nicht PR.



Tim Frei ist Redaktor von persoenlich.com.

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Kommentare

  • Eva Maria , 26.09.2022 15:36 Uhr
    Die Meinung ist nicht mehr zeitgemäß. Medienschaffende können unabhängig und professionelle Arbeit leiten, wenngleich sie ein Selfie mit einem Interviewpartner knipsen und es anschließend posten. Nur so kann man heute noch die jüngere Zielgruppe erreichen. Wer keinen Instagram Account hat und dort auch nicht aktiv seine Arbeit bewirbt, sprich auf ein Interview mit einem Künstler via Selfie hinweist, kann direkt einen Kohlkopf auf dem Markt mit seiner Zeitungsausgabe einwickeln.
  • Peter Eberhard, 26.09.2022 09:51 Uhr
    Man muss sich mal vorstellen, was das für ein Geschrei gäbe, wenn sich Wirtschaftsjournalisten gegenüber Firmen-CEOs so verhalten würden wie viele Sportjournalisten gegenüber Sportlern. Aber die sind halt schon eine spezielle Spezies.
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