BLOG

Und dafür bezahle ich Billag!

Roger Schawinski

Millionen von Schweizern glauben haargenau zu wissen, in welcher Formation unsere Nati auflaufen soll, und dies weit besser als der gerade aktuelle Coach. Und wenn ein Spiel verloren geht oder – wie so oft – öde abgespult wird, fühlen sie sich in ihrem Urteil bestätigt. Aber damit hat es sich. Ein direkter Einfluss bleibt den Fans verwehrt.

Das ist im Fernsehen anders. Auch darum hat sich die Kampfzone der Besserwisser in den letzten Jahren auf dieses Feld erweitert. Nicht nur wie früher am Stammtisch mit seiner überschaubaren Resonanz, sondern dank der fabulösen Wirkungsweite der Onlinewelt werden pausenlos Urteile über die Qualität einzelner Sendungen und Sendegesichter verbreitet. Im Gegensatz zu den Kommentaren zum Thema Fussball erfolgen diese mit einer jeweils glasklaren Legitimation: Als faktische Mitbesitzer der SRG – so sehen sie sich selbst – die sie jährlich mit jeweils 462 Franken am Leben erhalten müssen, wollen sie über die Inhalte bestimmen.

Zusätzlich befeuert durch die Diskussion zum neuen Gebührenmodell, über das im Juni abgestimmt wird, erhalten diese Programmdirektoren-Attitüden eine weitere Drohkomponente. Tenor: Wenn diese arroganten Fernseholigarchen nicht subito diese oder jene unbeliebte Sendung vom Schirm nehmen, werde ich meine Stimme gegen die SRG einlegen. Ätsch! Denn für mein gutes Geld will ich nur Programme, die MIR passen.

Früher abonnierte man jene Zeitung, in der man die eigenen Ansichten bestätigt bekam. Aber in unserer veränderten Medienlandschaft funktioniert dies nicht mehr. Dies führt zu Klagen vom "Medien-Mainstream", der angeblich wichtige Meinungen ausblendet, bis hin zum Kampfruf gegen die "Lügenpresse", den die Pegida-Bewegung in Anlehnung an Josef Goebbels skandiert hat. In der Schweiz findet ein ähnlicher Prozess statt, indem von rechts aussen unverblümt die Abschaffung der SRG gefordert wird, wobei monetäre und politische Argumente munter vermengt werden.

Die kommende Abstimmung erscheint dabei als blosses Vorhutgefecht, weil es für beide Seiten vor allem ums Prestige und noch nicht ums Eingemachte geht. Aber die Zeichen sind eindeutig: Eine wohldotierte SRG, bei der die eigenen Parteiheroen nicht immer im brillantesten Licht aufscheinen, will man als Zwangsfinanzier nicht weiter unterstützen. Und darum macht man Druck. Die Billag-Keule wird daher reflexartig hervorgeholt, wenn man sich über eine zu wenig lustige Unterhaltungssendung, einen linken und frechen Moderator oder eine langweilige Diskussion auslässt. "Und dafür bezahle ich Billag!", ist der am häufigsten verwendete Satz in Onlinekommentaren zum Thema SRG.

Hat diese gezielt aufgeheizte Diskussion konkrete Auswirkungen aufs Programm? Ich fürchte, zumindest ansatzweise. Die Fernsehmacher, die sich vor allem durch die Boulevard-und Onlinemedien seit Monaten einem permanenten Shitstorm ausgesetzt sehen, werden tendenziell zurückhaltender, ängstlicher.Von den Printkollegen, die nicht weniger echte oder vermeintliche Fehlleistungen produzieren, werden die TV-Macher laufend genüsslich an den medialen Pranger gestellt. Dies ist einerseits der höheren Bedeutung des Mediums Fernsehen geschuldet. Andererseits liefern diese Angriffe der durch massive Anzeigenrückgänge gebeutelten Zeitungs- und Onlinekonkurrenz in unheiliger Allianz mit der politischen Rechten saftige Schlagzeilen. Denn das gemeinsame Ziel ist nicht das bessere Fernsehen, sondern das gefügigere und harmlosere. Und dazu eignet sich nichts besser als die schnittige Billag-Keule, punktuell noch verstärkt durch Massenklagen an den Ombudsmann.

 

Kommentar wird gesendet...

Kommentare

Kommentarfunktion wurde geschlossen

Die neuesten Blogs

Zum Seitenanfang20240426