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Wenn ein Feuer Generationen zusammenbringt

Claudia Maag

«Nein, man sieht einfach nur ein Füür› und die einzigen Protagonisten sind der Border Collie Maïly und die Tigerkatze Oona. Ja, Slow-TV; passt in den momentanen Retro-Trend wie Schallplatten oder Sofortbildkameras», erklärte ich. Die ältere Generation meiner Familie blickte mich an, als sei ich definitiv überarbeitet, als ich vorschlug, nebenbei das harmonische Kaminfeuer auf SRF 2 zu schauen. An Heiligabend, wohlgemerkt.

Füür1

Das Feuer knisterte zwei Stunden vor sich hin. Zu sehen gab es eine heimelige Kulisse, in deren Mitte ein Kamin, links davon ein Retro-Radio, rechts der obligate Tannenbaum mit vielen Geschenken darunter und am rechten Bildrand stand ein gedeckter Tisch. Der Schinken darauf war riesig und meine Augen sprangen wie magisch angezogen immer wieder dorthin zurück. Nicht überraschend, gegen 18 Uhr war ich hungrig. Doch das Herunterfahren brachte mich dazu, genauer hinzuschauen: Die Proportionen in dieser Ecke stimmten nicht: Die Wein-Karaffe auf dem Tisch war viel kleiner als der Schinken und die Weinflasche daneben. Offenbar war das ein Poster, voll der «Bschiss». Doch normalerweise würde ich in der Freizeit wohl nicht so genau hinschauen.

Ob SRF mit dieser Sendung nun einen Gegentrend zu den immer schnelleren und unruhigeren Schnitten in Filmen und Serien setzen wollte oder sparen musste: Es ist mir egal. Denn: Es funktionierte. Das entschleunigende TV ohne jeglichen Kommentar liess mich am 24. Dezember ein paar Gänge 'runterschalten. Zwar ging das festliche Treiben weiter, doch die Stimmung war ruhiger als sonst. Sehr positiv nahm meine Familie wahr, dass weder gesprochen, noch Werbung gezeigt oder Musik gespielt wurde. Es war, als würde man in Lappland in einem Mökki (Blockhütte auf dem Land) vor einem selbstgemachten Kaminfeuer sitzen. Wer doch etwas musikalische Untermahlung wollte, für den übertrugen Radio SRF 2 Kultur, Radio SRF 3 und Radio SRF Musikwelle den passenden, stimmungsvollen Soundtrack. Hierzu konnte man sich am Familientisch jedoch kaum einigen. Einige empfanden die klassische Musik auf SRF 2 als Gejaule, für die U50-er war die Musikwelle stellenweise zwar akzeptabel, oft jedoch too much Weihnachtsschmalz.

Immer wieder blieb jemand vor der Flimmerkiste stehen und schaute, wo Oona gerade sass oder lag und ob Maïly gerade an einem Knochen nagte. Zwischendurch rief es aus der Küche: «Was macht der Hund gerade?». Der lief herum, legte sich auf die Wolldecke vor dem Kamin, putzte und schüttelte sich oder lief aus dem Bild. Oona verdünnisierte sich längere Zeit, dann schlief sie auf einem Stuhl. Was Tiere halt so machen. Ist das zu fassen, obwohl noch die Wohnung fertig vorbereitet, das Festmahl gekocht und der Baum geschmückt wurde; man schaute immer wieder, was in diesem absolut unspannenden Programm geschah. Es scheint vielen so gegangen zu sein, denn SRF wirkte zufrieden und zwitscherte glücklich:


Generationen-Gesprächsstoff

Doch das «Füür» war in diesem Kontext mehr: Es verband an diesem Abend sogar Generationen. Beim Essen entbrennt eine Diskussion über Sinn und Ziel der Sendung. Das Slow-TV erinnere sie an die Zeit ihrer Eltern. Die Senioren sprachen aus ihrer Sicht, wie man heutzutage arbeitet. Eine Art, die sie gegen Ende ihrer Karriere noch erlebten. Sie kannten allerdings noch die Zeit, als Überzeit eher eine Ausnahme war und sehr bald bezogen werden konnte. Als der Chef sich verantwortlich gefühlt habe, dass seine Mitarbeiter sich nach Feierabend und am Wochenende wirklich erholten. Nun, das gibt es sicher auch heute. Aber es ist Mangelware. Die Vor- und Nachteile wurden fleissig diskutiert, manches regte zum Nachdenken an. Ich wage zu bezweifeln, dass diese Art von Kommunikation in diesem Rahmen ohne das entschleunigende TV zustande gekommen wäre.


Claudia Maag arbeitet noch bis Ende Januar 2017 als Praktikantin in der Onlineredaktion von persoenlich.com.

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Kommentare

  • Roger Doelly, 30.12.2016 00:22 Uhr
    @Claudia Maag: Steigern Sie das Erlebnis mit No-TV.
  • Andre, 28.12.2016 15:49 Uhr
    Coole Aktion! Ich finde es eine gute Idee, mit SlowTV etwas Entschleunigung in den Alltag zu bringen. Übrigens gibt es auch SlowTV-Live-Kameras aus dem Tierpark Goldau: https://www.mit-group.ch/slow-tv Dort kann man dem Bartgeier beim Ausbrüten der Eier, den Waldrappen beim Nester-Bauen und dem Storch beim Sonne geniessen zuschauen.
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