11.05.2020

Serie zum Coronavirus

«Oftmals beginne ich hemmungslos zu weinen»

Der Zürcher Starfotograf Hannes Schmid hat in Kambodscha mit «Smiling Gecko» sein eigenes Hilfsprojekt und erlebt die Not hautnah. In Folge 39 unserer Interview-Serie spricht er über die Auswirkungen der Coronakrise und seine aufwühlende Arbeit vor Ort.
Serie zum Coronavirus: «Oftmals beginne ich hemmungslos zu weinen»
Hannes Schmid, einer der bedeutendsten Fotokünstler der Schweiz, steckt seit Jahren seine ganze Kraft in sein Hilfsprojekt «Smiling Gecko» in Kambodscha. (Bilder: Hannes Schmid)
von Matthias Ackeret

Herr Schmid, Sie sind momentan in Kambodscha und können das Land nicht mehr verlassen. Wie ist die Situation dort?
Die Situation ist sehr schwierig. Hunderte von sehr armen Bauernfamilien in unserer Gegend haben keine Lebensmittel, kein Wasser und auch keine Medikamente. Da es auf dem Land fast keine medizinische Versorgung gibt, fehlt es an allem. Die Regierung hat nur schwache Massnamen zum Schutze der Bevölkerung vorgenommen. Covid-19-Tests sind erst seit kurzem und nur in den Grossstädten möglich. Die hygienischen Verhältnisse bei den Bauern sind sehr eingeschränkt. Meistens fehlt es an fliessendem Wasser, die Toilette ist das Feld hinter dem Haus. Meist leben 8 bis 14 Erwachsene und Kinder eng in einer Hütte zusammen. So hat Covid-19 ein leichtes Spiel.

Wie geht es Ihrem Hilfswerk «Smiling Gecko»?
Wir sind nun seit über zwei Monaten isoliert. Von insgesamt 250 Angestellten sind etwa hundert bei der Hälfte ihres normalen Lohns freigestellt. Etwa 140 arbeiten um unser 120 Hektar grosses Gelände, um den Gemüseaufbau, die Fisch- und Hühnerzucht, die Schreinerei und die Grossküche aufrecht zu halten. Unsere Schule haben wir auf Befehl der Regierung geschlossen. Momentan betreuen wir unsere 304 Schüler mit Lernpaketen zuhause, zudem versorgen wir sie mit Essen, da sie meistens nichts haben. Auch unser Farmhouse-Hotel ist geschlossen.

«Sie sind meist mittellos»

Was heisst das finanziell?
Wie sind mehr denn je auf Spenden angewiesen, damit wir die über 400 Familien mit ihren 2500 Familienmitgliedern, die um uns herum leben, mit dem nötigsten versorgen können.

Aber wie können Sie den Menschen konkret helfen?
Wir unterstützen die Bauernfamilien mit Reis, Gemüse, Fisch, Fleisch und Trinkwasser. Wir haben uns entschieden, dass wir circa 80 Prozent unserer Landwirtschaftserträge an Familien abgeben. Zudem versorgen wir sie medizinisch und geben Medikamente ab. Bei den schweren Fällen bringen wir die Leute und auch Kinder in das Spital und übernehmen auch deren Kosten, da sie meist mittellos sind.

Hat es genügend Masken, um die Verbreitung des Virus zu verhindern?
Nur wenige. Die Frage ist, ob sie bei uns auf dem Lande viel nützen würden. Erstens müssten die Masken täglich mehrfach gewechselt werden, da sie bei 99 Prozent Luftfeuchtigkeit sehr schnell nass sind. Zudem ist ein Distanzhalten in ihren Lebensräumen unmöglich, aber auch das Verständnis dazu fehlt. Viele basteln Strohpuppen, die sie an ihren Hütten befestigen, im Glauben, dass der Virus nicht daran vorbeikommt. Man darf nicht vergessen, in Kambodscha können mehr als 80 Prozent der Bevölkerung aufgrund der fehlenden Schulbildung weder schreiben noch lesen.  

Bekommen Sie Hilfe und Unterstützung aus dem Ausland?
In den letzten Wochen haben wir grosse Unterstützung aus der Schweiz erhalten, wofür ich mich im Namen von «Smiling Gecko», den Kindern und den Bauern herzlich bedanken möchte. Ich befürchte aber, dass es bei uns noch lange nicht vorbei ist und wir auch weiter auf Unterstützung angewiesen sind.

Wie sind die Verbreitungszahlen? Ab- oder zunehmend?
Man kennt in Kambodscha keine genauen Zahlen. Bis vor Kurzem gab es nur wenig Fälle, und die meistens waren Ausländer vom Virus betroffen, das jedenfalls hat uns die Regierung mitgeteilt.  

«Ausserhalb unserer Anlage sind die Menschen sehr traurig und voller Angst»

Wie ist die Stimmungslage?
Die Stimmung bei den «Smiling Gecko»-Mitarbeitern ist gut. Bis jetzt sind dank der Abschottung alle gesund geblieben. Ausserhalb unserer Anlage sind die Menschen sehr traurig und voller Angst. Ich denke, die Bevölkerung realisiert langsam, dass dies erst der Anfang ist. Erst Studien der Uno zeigen, dass in den nächsten zwei Jahren mehr Menschen in der Dritten Welt verhungern werden als am Coronavirus sterben.

Wie muss man sich Ihren Alltag momentan vorstellen?
Um fünf Uhr früh organisieren wir die Verteilung der Lebensmittel. Wir packen Reis, Frischfleisch, Fisch und Gemüse in Notrationen ab, dazu kommt Milchpulver für die Babys sowie Medikamente und Trinkwasser. Gegen halb acht fahren wir in die Dörfer und besuchen auch sehr abgelegene Familien. Dort verteilen wir dann die Notpakete. Wir organisieren auch die Transporte für die Forscher und bringen kranke Menschen in die Spitäler oder zum Arzt. So gegen sieben Uhr abends kommen wir dann wieder zurück. Am nächsten Tag beginnt alles wieder von vorne.

Wann gedenken Sie wieder in die Schweiz zurückzukommen?
Die Singapur Airline hat mich informiert, dass höchstwahrscheinlich am 2. Juli der erste Flug von Phnom Penh via Singapur nach Zürich fliegt. Sollte dies klappen, werde ich ihn nehmen. Bis dann bleibe ich ganz sicher in Kambodscha.

«Wir können etwas verändern»

Was war für Sie das prägendste Erlebnis der letzten Wochen?
Jeder Tag, an dem ich mitansehen muss, wie elendiglich es den Menschen hierzulande geht und wie düster vermutlich ihre Zukunft sein wird. Es ist kaum zu ertragen, wenn man sieht, wie Kinder ihre Eltern verlieren und keine Hoffnung auf ein besseres Leben besteht. Oftmals setze ich mich nach einem langen, heissen Tag – die Durchschnittstemperatur beträgt manchmal bis zu 42 Grad – und beginne hemmungslos zu weinen.

Das ist sehr frustrierend …
Nein, wir können aber etwas verändern. Das «Smiling Gecko»-Projekt ist einmalig und basiert auf einem wirtschaftlichen Gedanken. Ich hoffe, dass wir es mit der Hilfe von aussen durch diese schwere Zeit bringen können und damit tausenden von Menschen eine Zukunft ohne Armut, Sklaverei in den Textilfabriken, Prostitution und Kinderprostitution ermöglichen können. Bildung ist das Fundament der Gesellschaft, in diesem Bereich leistet unsere Schule Grosses. Auch durch gezieltes Vocational-Training in unseren Betrieben können sie in wenigen Jahren ihre Familie selber ernähren und ihre Kinder in die Schule schicken. Dafür brauchen wir Ihre Hilfe.



SRF begleitete Hannes Schmid und sein Projekt «Smiling Gecko» 2016 für einen «DOK»-Film (persoenlich.com berichtete). 2018 erhielt er den «Beobachter Prix Courage Lifetime Award» für sein Lebenswerk.

Was bedeutet die Corona-Pandemie für die verschiedenen Akteure der Schweizer Medien- und Kommunikationsbranche? Bis auf Weiteres wird persoenlich.com jeden Tag eine betroffene Person zu Wort kommen lassen. Die ganze Serie finden Sie hier

 



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