10.03.2014

SCHMID JÜRG/Juli 2013

Sommerzeit, Ferienzeit: Wie Schweiz Tourismus trotz Eurokurs, verhaltener Konsumentenstimmung und Regenwetter Feriengäste anzulocken versucht.

Herr Schmid, obwohl wir es noch nicht merken: Es ist Sommer. Werden wir ihn allein, im Dauerregen, ohne Feriengäste aus dem Ausland verbringen? Oder haben Sie
noch Hoffnung?

Verspätet, aber doch noch hat der Sommer Einzug gehalten. Einmal mehr hat sich gezeigt, wie der Tourismus von nicht beeinflussbaren Faktoren abhängig ist. Am meisten unter schlechtem Wetter leidet der Tages- und Ausflugstourismus, da hier die Entscheide extrem kurzfristig und wetterabhängig fallen. Bleibt der Juni so sommerlich, wie er ge-­startet ist, animiert das zu Sommerferien in der Schweiz. Touristen aus Fernmärkten lassen sich vom schlechten Wetter ohnehin nicht beirren – ihre Reiseplanung erfolgt langfristig.

Wer ist eigentlich des Tourismusförderers grösster Feind derzeit? Die charmanten Österreicher, Billigflieger, der Eurokurs, das Wetter oder das Image?
Eindeutig der Eurokurs. Der harte Franken kombiniert mit einer verhaltenen Konsumentenstimmung hat der Tourismusbranche seit nunmehr zwei Jahren einen markanten Standortnachteil beschert. Und zum erwähnten Image – das ist einer der grössten Treiber: Die Schweiz gehört zu den stärksten touristischen Brands weltweit. Das beste Zeichen dafür ist das anhaltend starke Plus aus Wachstumsmärkten wie China oder Korea: Gäste aus diesen Märkten haben in der Schweiz signifikant stärker zugelegt als in anderen europäischen Destinationen.

Zahlenmässig ist der Aufwand für die Sommermonate bei Schweiz Tourismus viel höher: Im letzten Jahr wurde mit 45,8 Millionen Franken mehr als doppelt so viel wie auf den Winter hin (21 Millionen) ausgegeben. Muss man den Leuten immer noch klarmachen, dass es in der Schweiz durchaus T-Shirt-Momente gibt?
Der Sommer ist erklärungsintensiver und internationaler. Was uns Schweizern selbstverständlich ist, nämlich wie einfach und zugänglich Wandern oder Velofahren in un­seren Bergen und an unseren Seen ist, ist unseren internationalen Gästen oft gänzlich fremd. Umfassende Aufklärungsarbeit ist gefordert. Und im Sommer ist der Wett­bewerb intensiver.

Es hiess immer wieder, Umfragen hätten ergeben, dass die Schweizer im Dienst­leistungssektor zu unfreundlich seien. Was haben Sie dagegen unternommen?
Ich wehre mich grundlegend gegen die Aussage, wir Schweizer und Schweizerinnen seien unfreundlich. Im Gegenteil, wir landen in zahlreichen Umfragen regelmässig auf den vorderen Rängen. Aber die Erwartung an den Absender Schweiz ist auch immens. Darum müssen wir uns permanent verbessern. Wir wollen über die Guten motivieren. Darum haben wir dieses Jahr zum ersten Mal den Prix Bienvenu verliehen, der in vier Kategorien die freundlichsten Hotels der Schweiz ehrt. Und dies ausschliesslich aufgrund der Gästebewertungen aus rund 250 Onlinebewertungsportalen weltweit. Wir stehen auch zu totaler Transparenz und haben die Gästebewertungen noch prominenter auf MySwitzerland.com dargestellt.

Sind Sie mit dem Erfolg dieser Massnahmen zufrieden?
Da müssten Sie unsere Gäste fragen. Als Schweizer Leistungsträger darf man punkto Qualität aber eigentlich nie zufrieden sein und muss unermüdlich nach Optimierungen suchen. Das erwartet der Gast von der Schweiz, das sind wir ihm schuldig.

Gerade habe ich den Jahresbericht des vergangenen Jahres studiert. Anscheinend kommen immer mehr Gäste aus den Golf­staaten zu uns. Werden diese Gäste uns auch das Sommergeschäft versüssen?
Ja, die Nachfrage aus den Golfstaaten ist ungebrochen steigend. 2012 haben die Hotel­logiernächte aus den Golfstaaten um 24 Prozent zugenommen – und dies, obwohl der Ramadan mitten im Sommer, der Hauptreisezeit, stattfand. Für die Golfstaaten erwarten wir in den kommenden Jahren ein jährliches Wachstum von 5 bis 15 Prozent.

In Korea arbeiten Sie mit einem besonderen Modell. Seit 2003 wird alle zwei Jahre ein neues Testimonial verpflichtet, das seinen Landsleuten die Schweiz näherbringt. Momentan ist dies die Schauspielerin Ji Min Han. Fruchtet dieses Modell?
Absolut. Diese Persönlichkeiten sind Vorbilder. Aber vor allem verhelfen sie uns zu Wahrnehmung. Man spricht über die Schweiz. Wir sind eine trendige Reisedestination.
Zu jedem Schweiz-Besuch einer koreanischen Celebrity produzieren wir eine Broschüre, in welcher die betreffende Persönlichkeit ihre eigenen Eindrücke zu ihrer Schweiz-Reise schildert und die besuchten Orte aufgelistet sind. Zwischen 2000 und 2012 haben die Hotellogiernächte koreanischer Gäste um 95 Prozent zugenommen. Wir gehen auch im laufenden Jahr von zweistelligen Zuwachsraten aus.

Welche Qualitäten müssen die Testimonials mitbringen?
Glaubwürdigkeit und Zielgruppenkonformität müssen stimmen. Gezielt erschliessen wir über die Wahl des Schweiz-Ambassadors auch neue Segmente. So haben wir 2004 ein bekanntes, junges Schauspielerpaar mit ihren Kindern in die Schweiz eingeladen und vom koreanischen Fernsehen begleiten lassen. Dies hat massgeblich zum Eintritt in den
Familienmarkt beigetragen. Dieses Jahr sprechen wir mit Ji Min Han junge, selbstbewusste Frauen besonders an und wollen Individualreisen fördern.

In Frankreich warben Sie im letzten Jahr mit dem Rugby-Hünen Sébastien Chabal. Wieso passt der zur Schweiz? Um ehrlich zu sein, sieht er leicht furchteinflössend aus …
Ja, seine äusserliche Erscheinung ist wirklich beeindruckend. Die Wahl aber war perfekt: Um im Sägemehl, anlässlich unserer Sommerkampagnenlancierung in Paris, gegen den Kranzschwinger Stefan Zbinden an­treten zu können, war ein gestandener Mann mit dieser Postur nötig. Aber – und das ist ausschlaggebend – Sébastien Chabal ist in Frankreich eine Sportlegende mit höchstem Sympathiewert. Auf dem Boden geblieben, offen, ehrlich und sehr interessiert. Das macht ihn in seinem Heimatland so beliebt, auch in der Westschweiz. Die Integration Chabals bei der Lancierung unserer Sommerkampagne hat uns in Frankreich einen grossen medialen Erfolg beschert.

Planen Sie, dieses Modell auch für andere Länder, etwa für Deutschland, einzusetzen? Michelle Hunziker könnte ja gleich in Deutschland und in Italien die Werbetrommel rühren.
Eine schöne Idee! Aber zu den zukünftigen Plänen möchte ich noch nichts verraten.

Ein wichtiger Fokus liegt auf Brasilien. Wie geht man dort vor?
Seit einem Jahr hat Schweiz Tourismus eine eigene Vertretung in Brasilien, um den brasilianischen Markt vor Ort bearbeiten zu können. Eine wichtige Rolle spielt dabei die Bearbeitung der Reiseveranstalter. Die Schweiz muss prominent in den Reisekatalogen vertreten sein. Das ist entscheidend, denn die Mehrheit der Brasilianer reist individuell, bucht aber über einen Reiseveranstalter. Und immer mehr online: Die Internetnutzung der Brasilianer gehört zu den höchsten der Welt.
Haben Sie selbst auch Sommerferien geplant? Oder ist man als Tourismusboss gezwungen, während der Nebensaison Urlaub zu machen? Und wenn ja: Wo gehts hin?
Selbstverständlich gehe ich in die Ferien. Natürlich in die Schweiz. Eine Reise durchs Ticino ist geplant.

Gibt es eigentlich Flecken in der Schweiz, die Sie selbst noch nicht erkundet haben?
Aber sicher. So klein unser Land ist, so viel bietet es doch. Es gibt noch viel Schweiz zu entdecken, auch für mich.  



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