02.05.2023

Republik

«An der Spitze wird es etwas einsamer»

Seit einem Monat leitet Bettina Hamilton-Irvine das Magazin Republik publizistisch. Die Co-Chefredaktorin musste sich gleich zum Start von Mitarbeitenden trennen. Welche Ziele hat die 44-Jährige? Ein Gespräch über Projekte, Produktivität und Perfektionismus.
Republik: «An der Spitze wird es etwas einsamer»
«Im Moment sind wir sehr stark auf die nächsten Monate fokussiert», so Bettina Hamilton-Irvine, Co-Chefredaktorin Republik. (Bilder: Andrea Ebener)
von Christian Beck

Frau Hamilton-Irvine, die Republik baut acht Stellen ab. Werden künftig die Texte kürzer?
Nein, nicht zwingend (lacht). Aber natürlich werden wir noch sorgfältiger entscheiden müssen, wo wir unsere Ressourcen am sinnvollsten investieren. Welche Geschichten wollen wir gross inszenieren? Wo wollen wir viel Zeit in die Recherche stecken? Und das kann dann durchaus auch heissen, dass wir statt auf einen sehr langen mal auf einen kürzeren Text setzen.

In Ihrem Bereich müssen Sie auf drei Redaktorinnen oder Redaktoren verzichten. Oder sind Sie auch von den anderen abgebauten Stellen unmittelbar betroffen?
Wir arbeiten alle sehr eng und interdisziplinär zusammen. Unser Tech-Team, also die IT, ist offiziell auch Teil der Redaktion. Das Tech-Team macht nicht einfach nur Support, sondern arbeitet auch redaktionell mit und hat zum Beispiel den Lead bei interaktiven Stücken. So betrifft mich jede der abgebauten Stellen auf irgendeine Art. Aber aus der klassischen Redaktion betrifft es tatsächlich drei Personen, aber nicht 300 Stellenprozente.

Mussten Sie mitentscheiden, wer gehen muss?
In der Redaktion, ja.

War das schwierig?
Es war unglaublich schwierig. Solche Entscheide will man nicht treffen müssen. Ich bin relativ neu in der Rolle der Co-Chefredaktorin der Republik und musste quasi als eine der ersten Amtshandlungen Leute entlassen – das ist bitter. Insbesondere, weil das alles gute Leute sind, die ausgezeichnete Arbeit geleistet haben.

Nach welchen Kriterien mussten Sie also entscheiden?
Für Co-Chefredaktor Daniel Binswanger und mich war wichtig, dass wir uns auf das Kerngeschäft konzentrieren und dieses möglichst unangetastet lassen möchten. Das heisst: auf das Magazin mit Recherchen, Reportagen, Porträts, Erklärstücken … Tendenziell haben wir dort abgebaut, wo wir im letzten Jahr ausgebaut oder Neues ausprobiert haben.

Können Sie ein konkretes Beispiel nennen?
Ich kann hier noch nicht konkreter werden, bevor wir unsere eigenen Verlegerinnen informiert haben.

«Das Klimalabor wird weitergeführt»

Dann frage ich konkret: Was ist mit Klimalabor, Journal oder den eingesprochenen Texten – dies alles sind relativ neue Projekte. Werden alle diese Formate wieder gestrichen?
Was ich sicher sagen kann: Das Klimalabor wird weitergeführt. Das ist ein sehr wichtiges Projekt für uns, sowohl strategisch als auch ideell. Dass wir gerade beim für uns enorm wichtigen Klimathema einen konstruktiven Ansatz wählen, wurde auch immer wieder von unserer Community gewünscht. Wir sind nun daran, für das Klimalabor eine externe Finanzierung zu organisieren. Wir hoffen, dass wir über Stiftungen et cetera das nötige Geld finden.

Sie erwähnen die Community. Werden die Leserinnen und Leser in Sachen Publizistik mitentscheiden können?
Wir holen unsere Community sehr oft ab. Es ist unsere wichtigste, wenn nicht sogar unsere einzig relevante Ansprechgruppe. Manchmal werden wir belächelt, weil wir sie Verleger nennen. Es wird uns vorgeworfen, dies sei ein Marketinggag. Dabei hat die Botschaft einen sehr ernst gemeinten und wichtigen Kern: Die Gruppe der Verlegerinnen und Verleger ist die einzige, die uns etwas zu sagen hat.

Den Verlegerinnen und Verlegern wird man aber nicht die Schuld für den Stellenabbau in die Schuhe schieben können. Der Newsletter, der den Abbau verkündete, war gewohnt lang. Zusammengefasst: Was war aus Ihrer Sicht der Hauptgrund?
Es ist eine Kumulation und es passierten an verschiedenen Orten Fehler. Wir wollen auch keine Schuldigen suchen. Wenn man es aber ganz kurz zusammenfassen möchte, kann man sagen: Wir wollten im letzten Jahr zu viel. Wir haben uns verzettelt mit zu vielen verschiedenen Projekten. Die Wachstumsstrategie des Verwaltungsrates war überambitioniert. Hinzu kam ein schwieriges Marktumfeld – mit dem Ukraine-Krieg, der drohenden Energiekrise und der Inflation.

Sie führten die Redaktion bereits interimistisch – zusammen mit Daniel Binswanger. Er bleibt weiterhin interimistisch, Sie schlüpfen definitiv in die neue Rolle als Co-Chefredaktorin. Wie kam es zu dieser Konstellation?
Wir wurden angefragt, weil es nach dem relativ abrupten Abgang von Oliver Fuchs rasch eine neue publizistische Leitung brauchte. Daniel und ich sagten sehr schnell zu für die Interimsleitung. Gleichzeitig bewarb ich mich aber auch offiziell um die Stelle. Nebst den Externen durchlief auch ich den ganzen Prozess, schrieb Konzepte und präsentierte mich in Gesprächen. Daniel stellte von Beginn weg klar, dass er sich zwar so lange wie nötig zur Verfügung stelle, aber nicht definitiv. Er möchte mittelfristig wieder die Leitung des Feuilletons übernehmen, dessen Gründer er ist.

«Wer Verantwortung übernimmt, muss auch damit umgehen können, dass man nicht mehr alles teilen kann»

Sie waren zuvor Teil der Redaktion, jetzt sind Sie Teil des Führungsteams. Begegnen Ihnen nun Ihre Kolleginnen und Kollegen anders?
Ich war als Inland-Co-Leiterin schon zuvor Teil des Führungsteams, einfach noch eine Stufe tiefer. Doch da wir aus einer Organisation gewachsen sind, die ursprünglich noch gar keine Hierarchien hatte, pflegen wir auch heute noch eine offene, transparente und kollegiale Kultur. Ich stellte keine riesige Veränderung fest im Verhalten mir gegenüber. Aber natürlich wird es an der Spitze etwas einsamer. Wer Verantwortung übernimmt, muss auch damit umgehen können, dass man nicht mehr alles teilen kann.

Was sind Sie für eine Chefin?
Ich versuche, die Leute zu fördern, indem ich ihnen den Rücken freihalte und Rahmenbedingungen schaffe, in denen sie sich entfalten können. Und ich gebe viel Vertrauen. Das gehört zu meinem Stil, aber es passt auch gut zur Kultur im Haus. Wir tun sehr viel, um das Vertrauen unserer Verlegerinnen und Verlegern zu gewinnen: Wir erklären, wie wir arbeiten, wir kommunizieren auf Augenhöhe und wir machen Fehler transparent. Vertrauen ist mir auch sehr wichtig als Führungsperson. Wenn man vertraut, erhält man vom Team Gegenvertrauen. Dies führt nicht zuletzt zu mehr Produktivität.

Wie stark wird sich Ihre Handschrift von jener des Vorgängers Oliver Fuchs unterscheiden?
Daniel und ich haben uns beide publizistisch auch zuvor schon stark eingebracht. Es wäre seltsam, wenn wir jetzt alles anders machen würden. Dennoch: In der Chefredaktion hat man einen anderen Gestaltungsraum. Wir haben diverse publizistische Ideen, die wir im Moment mit dem Team weiterentwickeln. Unter anderem wollen wir den Fokus noch stärker auf latente Aktualität legen.

Einst waren drei Personen in der Chefredaktion. Ist dies wieder das Ziel?
Im Moment setzen wir auf die Co-Leitung. Führungspersonal zu finden, ist nicht so einfach. Das haben wir jetzt bei der Rekrutierung der Chefredaktion gesehen. Auch bei den Ressortleitungen sehen wir: Es ist zwar ein sehr schöner Job, aber teils auch undankbar. Vor allem, wenn man Journalistin oder Journalist ist und eigentlich schreiben will …

Kommen Sie noch zum Schreiben?
Im Moment nur sehr wenig. Das ist bei Führungspositionen immer die Gefahr und in anderen Branchen nicht anders: Man entfernt sich vom eigentlichen Kern des Jobs und wechselt vermehrt ins Management und Organisatorische. Ich verstehe, dass dies nicht alle wollen.

«Es ist ein Privileg, Chefredaktorin der Republik zu sein und so ein grossartiges Team leiten zu dürfen»

Bei der Republik gilt ein Einheitslohn von 8500 Franken bei einem 100-Prozent-Pensum – auch für die Chefredaktion. Warum will man so viel mehr arbeiten und dabei nicht mehr verdienen?
(Lacht.) Das ist eine gute Frage. Ich bin Mutter einer kleinen Tochter und arbeitete zuvor schon ziemlich viel. Daher überlegte ich mir gut, bevor ich mich auf diese Stelle bewarb: Will ich mir wirklich noch mehr Druck und Arbeit aufhalsen? Für mich war es aber dennoch ein offensichtlicher Schritt. Die Republik liegt mir sehr am Herzen. Es fühlte sich von Beginn weg so an, als wäre es mein eigenes Projekt. Und auch wenn der Job anspruchsvoll ist, manchmal etwas undankbar und man nicht mal mehr verdient dabei: Es ist ein Privileg, Chefredaktorin der Republik zu sein und so ein grossartiges Team leiten zu dürfen.

Das Projekt Republik stammt unter anderem von Mitgründer Christof Moser, der mittlerweile in Berlin wohnt und arbeitet. Er ist laut Impressum die «Stabsstelle Chefredaktion». Wie funktioniert die Zusammenarbeit?
Er wohnt teilweise in Berlin, teilweise in Zürich und redigiert in einem Teilzeitpensum vor allem die anspruchsvolleren Texte. Daneben betreut er teils ganze Serien, bei denen er für alles verantwortlich ist – von Koordination bis Storytelling. Er hat viel Erfahrung in diesem Bereich. Die Zusammenarbeit funktioniert gut.

Im Vorfeld dieses Interviews erwähnten Sie das Wort «Perfektion». Sind Sie eine Perfektionistin?
Ich war mal eine (lacht). Ich habe einen Hang zum Perfektionismus, habe mir das aber bewusst über die letzten Jahre abtrainiert – oder habe mir mehr Pragmatismus antrainiert. Aus Notwendigkeit. Gerade in einer Führungsrolle ertrinkt man, wenn man immer versucht, alles perfekt zu machen. Man muss lernen zu priorisieren. Man muss die Energie in die wirklich wichtigen Dinge investieren und bei anderen Nein sagen, delegieren oder einfach mal sagen: Es ist gut genug. Sonst brennt man aus oder Dinge bleiben liegen.

War der Augenöffner für den Wechsel vom Perfektionismus zum Pragmatismus das Mutterwerden?
Das spielte auch eine Rolle, auf jeden Fall. Bei meiner letzten Stelle als Chefredaktorin bei CH Media war ich jene Person, die praktisch jeden Morgen als Erstes dort war und am Abend als Letzte ging. Wenn man ein Kind hat – Sie kennen es auch –, geht das nicht mehr. Man muss pragmatischer werden. Irgendwann muss man das Kind aus der Kita abholen und kann nicht mehr endlos an einem Text «umebäschtele».

Fällt es Ihnen schwer, zu delegieren und Arbeit in fremde Hände zu übergeben?
Nein, heute nicht mehr. Das hat aber auch damit zu tun, dass wir hier wahnsinnig viele gute Leute haben, die Expertinnen und Experten auf ihrem Gebiet sind. In solchen Fällen ist es auch sinnvoll, wenn man die Arbeit abgibt. Es gibt aber Bereiche, die wir als Chefredaktorin oder als Chefredaktor verantworten müssen. Beispielsweise lesen Daniel und ich jeden Text, der publiziert wird. Wir als Chefredaktion wollen hinter allem stehen, das publiziert wird. Das ist ein sehr bewusster Entscheid.

Apropos Entscheid: Letzte Woche hat ein Einzelrichter den Republik-Journalisten Elia Blülle unter anderem vom Vorwurf der üblen Nachrede freigesprochen. Wie froh sind Sie?
Sehr erleichtert und erfreut. Das war ein richtiger und wichtiger Entscheid. Gerade eine Verurteilung für einen Verstoss gegen den Maulkorb-Artikel wäre ein sehr heftiger Eingriff in unsere journalistische Arbeit gewesen. Es darf nicht sein, dass wir verurteilt werden für saubere, investigative Arbeit zu einem wichtigen Thema.

Elia Blülle erhält eine Entschädigung für die Anwaltskosten von 13'000 Franken. Hat die Republik eigentlich eine Art Kriegskasse für solche Fälle?
Ja, wir haben schon einen gewissen Betrag budgetiert. Wenn man investigativ arbeitet und den Mächtigen auf die Füsse tritt, muss man damit rechnen, dass man gelegentlich vor Gericht gezerrt wird.

«Mir ist es nicht wichtig, dass wir Primeurs haben um des Primeurs willen»

Werfen wir zum Schluss nochmals einen Blick nach vorn. Auf was wollen Sie den publizistischen Fokus legen?
Fokus auf das Kerngeschäft. Was wir machen, soll für unsere Leserinnen und Leser nützlich sein, ihnen dabei helfen, die Welt besser zu verstehen. Mir ist es nicht wichtig, dass wir Primeurs haben um des Primeurs willen, um dann von anderen Zeitungen zitiert zu werden. Natürlich ist es schön, wenn dies passiert – aber weil es eine relevante Geschichte ist.

Die Republik gibt es seit fünf Jahren. Wo steht die Republik in fünf Jahren?
Ha, eine gute Frage. Im Moment sind wir sehr stark auf die nächsten Monate fokussiert. Ich hoffe, dass wir in fünf Jahren unsere Abobasis ausbauen konnten, dass wir Projekte wie das Klimalabor stärken und weiterentwickeln konnten und neue dazugekommen sind. Aber vor allem hoffe ich, dass wir ein Magazin sind, das möglichst vielen Leuten den Zugang zu gutem, demokratierelevantem Journalismus ermöglicht, der ihr Leben bereichert. Aber auch, dass wir als unabhängiges, werbefreies Medium, das sich nicht beeinflussen lässt, weiterhin einen Beitrag leisten zu einer funktionierenden Demokratie.

Sie sind sich sicher, dass die Republik auch in fünf Jahren kein werbefinanziertes Medium sein wird?
Diejenigen Leute, die heute dabei sind, werden auf jeden Fall alles daransetzen, dass dies nicht passieren wird.

Die Republik wird es aber noch geben?
Das hoffe ich sehr.



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