30.12.2021

Das war 2021

«Bei mir zu Hause steht kein UKW-Radio mehr»

«Rettet UKW» – mit dieser Petition hat Radiopionier Roger Schawinski die Branche 2021 ordentlich aufgewirbelt. Stundenlang warb er auf seinem Sender für sein Anliegen. Zurückhaltend war das Bundesamt für Kommunikation. Nun spricht Bakom-Direktor Bernard Maissen.
Das war 2021: «Bei mir zu Hause steht kein UKW-Radio mehr»
«Roger Schawinski ist erst kurz vor Torschluss mit seinen Bedenken an die Öffentlichkeit getreten», so Bernard Maissen, Direktor Bundesamt für Kommunikation (Bakom). (Bild: Keystone/Gaëtan Bally, Grafik: Corinne Lüthi)
von Christian Beck

Herr Maissen, das Jahr 2021 war unter anderem geprägt von der Diskussion um die UKW-Abschaltung. Hätten Sie dies in diesem Ausmass je für möglich gehalten?
Aber sicher. Wir wissen, dass Medienthemen die Medien immer interessieren. Entsprechend ist die Resonanz jeweils gross. Allerdings sollte man nicht von der veröffentlichten Meinung auf die öffentliche Meinung schliessen. Die Medien, zuvorderst persoenlich.com, haben das Thema breit gespielt. Wir haben aber sehr wenige Anfragen von Hörerinnen und Hörern erhalten. Das war vor zwei Jahren noch anders. In der Zwischenzeit ist die UKW-Abschaltung offenbar bei der Bevölkerung angekommen und akzeptiert.

Der Ständerat will keine voreilige Einstellung von UKW-Radio und nahm Anfang Dezember eine Motion von Ruedi Noser oppositionslos an (persoenlich.com berichtete). Überraschte Sie das?
Nein, das überrascht mich nicht. Der Bundesrat hat die Motion ja zur Annahme empfohlen. Dies weil die Forderungen des Motionärs praktisch erfüllt sind. Schon heute konsumieren 88 Prozent der Bevölkerung die Radioprogramme digital und nur noch 12 Prozent hören Radio ausschliesslich über UKW. Dies hat ein unabhängiges Marktforschungsinstitut erhoben. Bis Ende 2024 werden wir die Grenze von 90 Prozent sicher erreichen. Der Bundesrat hatte somit keinen Grund, dem Parlament die Ablehnung der Motion zu empfehlen.

«Eine Neuausschreibung macht keinen Sinn»

Es ist ein Hin und her. Zunächst hatte sich die Branche auf eine gestaffelte Abschaltung der UKW-Sender ab August 2022 geeinigt. Diesen Sommer hiess es nach Protesten, UKW werde doch erst per Ende 2024 eingestellt. Wie geht es nun weiter nach der Annahme der Motion Noser?
Bereits im Jahr 2014 hat die Radiobranche vereinbart, UKW spätestens 2024 abzuschalten. Vorab aus Kostengründen, aber auch, weil die digitale Nutzung schon sehr hoch war, beschloss eine überwiegende Mehrheit der Radioveranstalter vor einem Jahr einen früheren Ausstieg. Dass die Branche im Sommer 2021 auf den ursprünglich vereinbarten Plan zurückkam, lässt sich einerseits mit der Unsicherheit erklären, die aufkam, als sich die Politik mit der ganzen Frage der Verbreitung zu beschäftigen begann. Andererseits hatte die Branche in dieser unsicheren Situation auch Zweifel, ob das Publikum für eine vorgezogene Abschaltung wirklich bereit ist. So ist die Branche auf ihren ursprünglichen Entscheid zurückgekommen. Die UKW-Funkkonzessionen laufen Ende 2024 aus. Eine Neuausschreibung macht keinen Sinn. Daran ändert auch die Motion Noser nichts.

Die Diskussion ins Rollen gebracht hatte Roger Schawinski mit seiner Petition «Rettet UKW». Hätten Sie noch im April gedacht, dass für dieses Anliegen 60'000 Unterschriften zusammenkommen?
In der Deutschschweiz hörten im ersten Semester dieses Jahres täglich fast vier Millionen Menschen Radio. 86'100 Personen hörten Radio 1 von Roger Schawinski. Das relativiert die Zahl von 60'000 ein wenig. Und bei Onlinepetitionen sind Unterschriften einfacher zu holen als auf der Strasse. Aber natürlich ist das eine stolze Zahl, und wir wissen ja, dass Roger Schawinski mobilisieren kann. Er weiss, wie Medienkampagnen funktionieren und hat das sehr geschickt gemacht.

«Roger Schawinski weiss um die Kraft und Wirkung des Mediums Radio»

Woher kam diese grosse Unterstützung?
Roger Schawinski weiss um die Kraft und Wirkung des Mediums Radio. Radio ist mit Emotionen verbunden, und er hat das Publikum auf der emotionalen Ebene angesprochen. Für die mittlere und ältere Generation ist UKW unabhängig von der Nutzung gleichbedeutend mit Radio. Am 1. Oktober 1952 nahm die SRG im Appenzellerland den ersten UKW-Sender in Betrieb. UKW hatte damals einen schweren Stand. Erst dank der UK-Fee Birgit Steinegger, Polo Hofer und sicher auch der Privatradios konnte sich UKW Anfang der 1980er-Jahre als Hauptverbreitungsweg durchsetzen. Wir wissen natürlich nicht, woher die Unterstützung genau kam, aber ich nehme an, dass es wohl dieses mittlere und ältere Publikumssegment war, das die Petition unterschrieben hat.

Das Bakom sei in der Defensive. «So hat man dort zuerst behauptet, es brauche eine generelle Abschaltverfügung. Dann, als unsere Aktion Fahrt aufnahm, hat man diese Politik klammheimlich um 180 Grad gedreht», sagte Schawinski in einem persoenlich.com-Interview. Was entgegnen Sie?
2019 hat das Bakom die UKW-Funkkonzessionen um fünf Jahre verlängert, vorbehalten blieb ein vorzeitiger Entzug, wenn dies die Branche wünscht. 42 von 44 Radioveranstaltern sowie die SRG haben im Dezember 2020 eine Vereinbarung unterzeichnet, UKW Mitte 2022 (SRG) beziehungsweise Anfang 2023 (Privatradios) abzuschalten. Das Bakom eröffnete deshalb Anfang 2021 das rechtliche Gehör zum Entzug der Konzessionen. Die Radios haben dann ihre Stellungnahmen eingereicht, und es kamen verschiedene Vorbehalte. Darum verzichtete das Bakom auf aufwendige rechtliche Auseinandersetzungen rund um den Entzug und setzte stattdessen auf die freiwillige vorzeitige Rückgabe der UKW-Funkkonzessionen. Klammheimlich geschah das allerdings überhaupt nicht, sondern immer im Gespräch mit der Branche.

Suchte das Bakom das persönliche Gespräch mit Roger Schawinski?
Das Bakom hat immer betont, dass die Radiobranche über die UKW-Abschaltung entscheiden muss. Deshalb gründeten die Radioverbände und die SRG 2013 die Arbeitsgruppe Digitale Migration (AG DigiMig). Das Bakom stand in regelmässigem Kontakt mit der AG DigiMig, hat jedoch nie mit einzelnen Veranstaltern über die Abschaltung diskutiert. Roger Schawinski hätte seit 2013 die Gelegenheit gehabt, sich in der Arbeitsgruppe einzubringen. Er ist aber erst kurz vor Torschluss mit seinen Bedenken an die Öffentlichkeit getreten.

Wenig Freude an einem weiteren Betrieb von UKW haben die meisten Privatradiosender. «Der Unterhalt ist günstig, aber es würden Neuinvestitionen kommen, da die bestehende Technologie langsam ‹End of Life› ist», sagte CH-Media-Radiochef Florian Wanner.
Das ist der Hauptgrund, wieso die Radios die teure Doppelverbreitung möglichst kurz betreiben möchten. Die meisten Veranstalter verzichten ja seit Längerem darauf, in UKW zu investieren. Einige haben auch entschieden, defekte Sender nicht mehr zu ersetzen – und somit die UKW-Verbreitung in einzelnen Regionen früher auszuschalten. Da die UKW-Verbreitung seit 2020 freiwillig ist, können die privaten Radiostationen jederzeit darauf verzichten. Einzelne Radios haben übrigens die Konzessionen für einzelne UKW-Frequenzen bereits zurückgegeben. Darunter auch Roger Schawinski für den Kanton Glarus.

«DAB+ bietet mehr Vielfalt»

Hat die ganze Diskussion um UKW versus DAB+ auch Auswirkungen auf die anstehende Neukonzessionierung des regionalen Service public ab 2025?
Nein. DAB+ ist seit 2020 der Hauptverbreitungsweg, auch für die Lokalradios. Und das wird auch für die Neuausschreibung der lokalen Veranstalterkonzessionen der Fall sein.

Hand aufs Herz: Ist DAB+ tatsächlich die richtige Technologie, oder hat man sich hier nicht einfach verrannt?
DAB+ bietet mehr Vielfalt. Die UKW-Frequenzen reichten für etwas über 50 Programme, dank DAB+ sind bereits rund 125 Radioprogramme verfügbar. Und es ist nach wie vor wichtig, eine Rundfunktechnologie zu betreiben: Der DAB+-Empfang ist kostenlos, robust und bedarf keines Abonnements bei einem Provider. Heute hören die Leute mehr Radio über DAB+ als über Internet oder UKW. DAB ist in mehr als 25 europäischen Ländern verfügbar. Ich denke, weder Europa noch die Schweiz haben sich verrannt.

Ständerat Ruedi Noser hat dem Bundesrat bei der Behandlung seiner Motion zu Bedenken gegeben, dass DAB+ für die digitale Zukunft nicht gerüstet sei, weil DAB+ keine Internetanbindung habe. Was entgegnen Sie?
DAB/DAB+ gibt es zwar schon seit rund 30 Jahren. Doch die Technologie wurde ständig weiterentwickelt und kann mittlerweile auch mit dem Internet kombiniert werden. Ich denke, der Bund sollte sich auch weiterhin für eine anonyme und unabhängige digitale Rundfunktechnologie einsetzen – ohne dabei jedoch den Internetempfang zu ignorieren. Denn die beiden Technologien ergänzen sich bestens.

Und Sie persönlich: Über welche Technologie konsumieren Sie Radio?
Bei mir zu Hause steht kein UKW-Radio mehr. Ich konsumiere also über DAB+ und unterwegs meist über Apps wie den Radioplayer.

«Die wahren Herausforderungen betreffen nicht die UKW-Abschaltung»

Ihre Prognose: Wie geht die Diskussion 2022 in Sachen UKW-Abschaltung weiter? Kommt es bald einmal zu einer Einigung?
Die Einigung ist längst vorhanden: Die Radiobranche will UKW mit ganz wenigen Ausnahmen Ende 2024 abschalten. Daran orientieren wir uns. 2006 hat sich die Branche auf DAB als künftige Rundfunktechnologie festgelegt, 2014 wurde der Abschalttermin festgelegt, und Ende 2024 schliessen wir diesen von der Branche angestossenen Prozess dann ab.

Wo sehen Sie die Herausforderungen für die Radiobranche in den nächsten Jahren?
Die wahren Herausforderungen betreffen nicht die UKW-Abschaltung, sie sind ganz anderer Art: Wie findet das Radio sein Publikum in Zeiten globaler Konkurrenz und von Streamingdiensten? Wie reagieren die Radios auf geänderte Nutzungsgewohnheiten, und wie schaffen sie es, die Stärken des Mediums weiterzuentwickeln? Und für uns und die Radios sehr wichtig: Wie finanzieren wir den lokalen und regionalen Service public, der ja die Raison d'Être der privaten Lokalradios ist?



In der Serie «Das war 2021» greifen wir die grossen Themen des Jahres in kompakter Form nochmals auf. Hier finden Sie die Übersicht.



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Kommentare

  • Victor Brunner, 18.12.2021 09:06 Uhr
    "In der Zwischenzeit ist die UKW-Abschaltung offenbar bei der Bevölkerung angekommen und akzeptiert". Bernard Maissen, Direktor des BAKOM ist ein typischer Beamter, keine Ahnung von der Realität und übernimmt die Argumentation von Interessengruppen an. Auch Doris Leuthard, seine ehemalige Chefin hat den gleichen Fehler gemacht. Heute das Desaster weil die Rechnung ohne Wisen der Kunden gemacht wurde! Nun müssen die Sender nachinvestieren, aber aus der eigenen Tasche, keine Steuergelder.
  • Werner Feurer, 17.12.2021 09:53 Uhr
    Ich war anfänglich gleicher Meinung wie Roger Schawinski. Seit ich im Auto über DAB+ u.a. auch meinen Lieblingssender Klassik Radio störungsfrei hören kann, kann ich dieses System allen nur empfehlen. Dieses für die Betreiber kostengünstigere System wird sich bald durchsetzen.
  • roger schawinski, 17.12.2021 09:16 Uhr
    Nun ist klar: Bernard Maissen hat dem Bundesrat die Fake-Zahl von „12% ausschliesslicher“ UKW-Nutzung eingeflüstert. Diese Trickserei von ganz oben ist beschämend! Der Marktanteil von UKW - und der ist entscheidend - liegt bei 27%, und dies sogar gemäss der vom Bakom finanzierten Studie zur Radionutzung. Mit dieser offensichtlichen Täuschungsstrategie will man die weitgehend gescheiterte DAB-Zwängerei durchdrücken, obwohl immer noch mehr als 50% aller Autos auf UKW angewiesen sind. Roger Schawinski
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