09.07.2020

Tamedia

«Es wartet viel Arbeit auf uns»

Andreas Schaffner und Marco Boselli sind seit der Reorganisation der TX Group Co-Geschäftsführer der Bezahlmediensparte Tamedia. Die beiden erzählen im Interview, wie es um das Subunternehmen steht.
Tamedia: «Es wartet viel Arbeit auf uns»
Die beiden Tamedia-Chefs: Andreas Schaffner und Marco Boselli. (Bild: Urs Jaudas)
von Matthias Ackeret

Herr Boselli, Herr Schaffner, der Tages-Anzeiger warnte lange Zeit vor einer Verharmlosung der Coronakrise und befürchtet sogar eine zweite Welle. Was heisst das für Sie?
Andreas Schaffner: Es ist wirklich irritierend zu beobachten, wie viele Menschen die bundesrätlichen Distanzvorschriften ignorieren. Bei Tamedia legen wir sehr viel Wert darauf, diesen Bestimmungen nachzukommen. Wir halten bei uns die Regeln des Bundesrates ein und befolgen in unseren Büros das Social Distancing.

Wie haben Sie bei Tamedia die letzten Wochen erlebt?
Marco Boselli: Einerseits war es schon erschreckend zu erfahren, wie schnell und umfassend eine solche Pandemie das Leben einschränken und auch verändern kann. Andererseits war es positiv zu sehen, wie rasch man sich an eine solche Situation anpassen kann. Homeoffice hat sich in dieser Situation bestens bewährt.

Ist Homeoffice eine langfristige Option?
Schaffner: Tamedia hat das Teilen von Arbeitsplätzen bereits vor der Krise eingeführt. Damals war es vor allem auf arbeitsbedingte Abwesenheiten fokussiert, sodass beispielsweise ein Verkäufer oder eine Journalistin nicht zwingend einen eigenen Arbeitsplatz benötigten. Corona hat uns deutlich gemacht, dass es in vielen Bereichen grundsätzlich möglich ist, auch von zuhause aus zu arbeiten. Inwiefern und in welcher Form dies ein Modell für die Zukunft darstellt, kann ich momentan noch nicht beantworten.

Und wie wirkt sich die Coronakrise wirtschaftlich aus?
Boselli: Für uns beide war es wirklich ein Schock, wie stark der wirtschaftliche Lockdown unser Mediensystem getroffen hat. Diesen direkten Zusammenhang konnte man nicht voraussehen. Kaum wurde Mitte März die Wirtschaft runtergefahren, wurden sofort Inserate storniert oder verschoben.

«Wir hoffen, für dieses Jahr Entlassungen vermeiden zu können»

Sind die Kunden auf andere Werbeformen wie beispielsweise den Digitalbereich ausgewichen?
Boselli: Nein, sie haben die Kampagnen gestoppt. Dies betraf vor allem die Reiseveranstalter, Airlines, den Gastrobereich, die Kultur- und Konzertszene oder den Automarkt, der vollkommen stillgelegt wurde. Alles Branchen mit wichtigen Kunden von uns. Wir mussten uns plötzlich mit vollkommen anderen wirtschaftlichen Rahmenbedingungen auseinandersetzen. Dies führte dazu, dass Tamedia als erstes Medienhaus der Schweiz um Kurzarbeit nachgesucht hat, um Arbeitsplätze zu sichern und allfällige Entlassungen zu vermeiden. Aber im Gegensatz zu anderen Branchen, die damit bereits Erfahrungen gesammelt hatten, war dies für uns eine Premiere, das gab es in unserer über hundertjährigen Geschichte noch nie.

Schaffner: Auch inhaltlich war und ist diese Zeit einzigartig. Noch nie hatte wohl ein einziges Thema während mehreren Wochen die Berichterstattung so stark beeinflusst. Fast alle unsere Artikel und Interviews handelten von Corona. An dieser Stelle gebührt all unseren Teams – von den Journalistinnen und Journalisten bis zu den Mitarbeitenden in den Druckzentren – ein besonderer Dank. Unter erschwerten Bedingungen haben sie einen enormen Einsatz geleistet und grosses Engagement bewiesen – das hat uns sehr beeindruckt.

Herr Boselli: Sie wollen mit der Kurzarbeit Entlassungen vermeiden. Wird dies gelingen?
Boselli: Wir hoffen, für dieses Jahr Entlassungen vermeiden zu können. Der negative Coronaeffekt hat die strukturellen Schwächen unserer Branche aber ganz deutlich offenlegt und wird dazu führen, dass wir die Transformation noch beschleunigen müssen. Mittelfristig muss es unser Ziel sein, unseren Betrieb noch effizienter zu gestalten und nach weiteren Einsparungsmöglichkeiten zu suchen, damit wir in die Rentabilität zurückkehren und unser Geschäft langfristig sichern können.

«Wir haben das erklärte Ziel, mit weniger Inhalt den gleichen Traffic zu erzielen»

Wo genau?
Boselli: Die Zusammenarbeit in den Regionen müssen wir sicher noch optimieren. Ziel muss es sein – sowohl publizistisch wie ökonomisch –, dass einzelne Artikel, die besonders gut, ja sogar herausragend sind, eine möglichst grosse Verbreitung in all unseren Medien finden und damit an Reichweite gewinnen. Hier harzt es zuweilen noch. Zudem muss langfristig auf ein digital-pure-play-Modell hingearbeitet werden, mit dem erklärten Ziel, mit weniger Inhalt den gleichen Traffic zu erzielen. Wir machen uns dazu verschiedene Gedanken, spruchreif ist aber noch nichts. Klar ist, die Zukunft ist digital und es muss uns gelingen, unseren Journalismus langfristig vorwiegend durch die Einnahmen von Digitalabos finanzieren zu können.

Schaffner: Jedes Schweizer Medienhaus steht momentan vor der schwierigen Aufgabe, seine Strukturen für die Zukunft auszurichten. Corona hat uns den Strukturwandel drastisch vor Augen geführt.

Sie nehmen Einsparungen beim Korrektorat vor. Schadet dies nicht der Qualität Ihrer Produkte?
Boselli: Die Anpassungen im Korrektorat hängen mit der Umstellung unserer Zeitungstitel auf Mobile First zusammen und waren nötig, um die Abläufe optimal auf die neuen Prozesse abzustimmen, sodass eben weiterhin die selben Qualitätsleistungen garantiert werden können. Dass wir uns im Zuge dessen von zwei Personen trennen mussten, bedauere ich aber natürlich sehr.

«Ziel muss sein, bis Mitte nächsten Jahres keine Zugriffe auf ein Schweizer Newsportal möglich sind, ohne dass eine verifizierbare E-Mail-Adresse hinterlegt ist»

Welche Auswirkungen hatte die ganze Krise auf den Medienkonsum?
Schaffner: Sowohl bei Print, aber vor allem beim Digitalen konnten wir mehr Abos verkaufen. Bei Le Matin Dimanche beträgt die Zunahme rund einen Viertel gegenüber unserem ursprünglichen Plan. Bei den anderen Zeitungen prognostizierten wir Anfang des Jahres einen fortlaufenden Rückgang, liegen nun aber über Budget. Zudem konnten wir die Anzahl Neuregistrierungen auf unseren Newsplattformen steigern. Es herrschte während der Coronazeit eine grosse Nachfrage nach Information, was sich auch im Verkauf von Tages- und Monatspässen zeigte. Viele Nutzer scheinen ein Verständnis dafür entwickelt zu haben, dass gute Information nicht gratis ist, und zeigen auch eine entsprechende Zahlungsbereitschaft. Das ist das Positive an dieser Krise.

Boselli: Trotz der grossen Herausforderungen bewegen wir uns in einer für den Journalismus enorm spannenden Zeit. Noch nie war das Informationsbedürfnis so gross und die Möglichkeiten im Journalismus so vielfältig. Das ist eine grosse Chance, die es gemeinsam anzupacken gilt. In den vergangenen Monaten haben wir die Prozesse auf Mobile First umgestellt, sogenannte Mission Statements zur Schärfung der Profile der Ressorts erarbeitet oder auch eine Analyse unserer Leserschaft gemacht – um nur ein paar Beispiele laufender Projekte zu nennen. Um für unsere Leserinnen und Leser relevant zu bleiben, müssen wir ihnen das beste, auf ihre Bedürfnisse abgestimmte Informationsangebot bieten. Es braucht noch viel Detailarbeit, aber es ist toll zu sehen, wie das Team mitzieht, um unseren Journalismus erfolgreich in die Zukunft führen.

Ist die die Registrierungspflicht, bei der neu auch die SRG mitmacht, immer noch ein Thema?
Boselli: Ja, unbedingt. Es ist die Erbsünde der Medien, dass wir dies nicht früher gemacht haben. Bei anderen grossen Portalen wie Facebook oder Amazon geht gar nichts ohne Registrierung.

Aber die Zahl der derjenigen, die sich registrieren, liegt unter den Erwartungen?
Boselli: Solange die Registrierung freiwillig ist, werden sich die Zahlen erwartungsgemäss auf tiefem Niveau bewegen. Ziel muss es aber sein, dass bis Mitte des nächsten Jahres keine Zugriffe auf ein Schweizer Newsportal möglich sind, ohne dass zumindest eine verifizierbare E-Mail-Adresse hinterlegt ist.

«Ich empfinde die Zusammenarbeit mit Goldbach als sehr gut, aber wir sind noch nicht dort, wo wir sein wollen»

Der Verkauf Ihrer Produkte wurde an Goldbach ausgegliedert. Hat sich dies bewährt?
Boselli: Goldbach ist im Kern ein Vermarkter, das ist ein Riesenvorteil. Zudem haben sie durch den Zusammenschluss mit der ehemaligen Tamedia Advertising unsere Verkäuferinnen und Verkäufer, mit denen wir bereits erfolgreich zusammengearbeitet haben, übernommen. Dies zahlt sich für uns aus, da die Ansprechpartner die gleichen geblieben sind. Ich empfinde die Zusammenarbeit mit Goldbach als sehr gut, aber wir sind noch nicht dort, wo wir sein wollen.

Inwiefern?
Boselli: Wir erhofften uns eine verstärkte 360-Grad-Vermarktung und übergreifende Packages. Aber ich gebe zu, während den Corona-Zeiten haben sich die Prioritäten verschoben. Auch von unserer Seite kann man den Verkauf noch optimieren, indem wir beispielsweise beim Commercial Publishing noch kreativer werden.

Wie grenzt sich Tamedia von der TX Group ab?
Schaffner: Die neue Struktur ist erst ein halbes Jahr alt und muss sich noch etablieren. Tamedia steht für Qualitätsjournalismus und umfasst das grösste private Redaktionsnetzwerk der Schweiz. Für unser Unternehmen, das bis anhin sehr zentral geführt wurde, bedeutet diese Neuorganisation ein grosser Schritt, da erstmals zentrale Verantwortlichkeiten von der Gruppe übertragen wurden, was uns aber auch mehr unternehmerische Unabhängigkeit verschafft. Wir wollen Tamedia in eine erfolgreiche Zukunft führen. Wir stehen vor grossen Herausforderungen und es wartet viel Arbeit auf uns. Aber ich denke, wir sind auf gutem Weg, dass uns dies gelingen wird.

Boselli: Ich war nur kurz in der früheren Unternehmensleitung, konnte aber bereits dort feststellen, mit welchem Herzblut Journalismus in unserem Haus betrieben wird. Dies ist in der heutigen Zeit ein wichtiges Signal. Ich bin der festen Überzeugung, dass die jetzige Struktur der TX Group absolut zeitgemäss ist und eine pro Unternehmen viel fokussiertere Arbeitsweise ermöglicht. Man darf nicht vergessen, unsere Gruppe deckt mittlerweile höchst unterschiedliche Bereiche ab und erstreckt sich von Internetplattformen wie Doodle, jobs.ch und Homegate über 20 Minuten und 20 Minuten Radio bis zu den Herausforderungen im klassischen Printgeschäft – und dies in der deutschen wie in der welschen Schweiz.

Bedeutet der Wechsel von Judith Wittwer zur Süddeutschen Zeitung eine weitere Annäherung oder Übernahme der Süddeutschen Zeitung?
Boselli: Nein, überhaupt nicht. Wir sind aber stolz, dass Judith diese Chance bekommen hat und ich glaube, dies spricht auch für den Tages-Anzeiger und die Arbeit, die sie hier gemacht hat.

Nun hat der Tages-Anzeiger eine neue Doppelchefredaktion mit Priska Amstutz und Mario Stäuble. Was erhoffen Sie sich von dieser Lösung?
Die Bewerbung von Priska und Mario hat uns überzeugt. Ihre Co-Chefredaktion ist eine moderne Form des Jobsharings auf oberster Kaderebene. Inhaltlich und operativ grenzen sie sich klar ab, strategisch ergänzen sie sich perfekt – ich bin überzeugt, dass sie den Tagi erfolgreich und intelligent weiterentwickeln werden.



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Kommentare

  • Ueli Custer, 09.07.2020 09:09 Uhr
    Interessant: Herr Boselli möchte beim Commercial Publishing noch kreativer werden. Und nur eine Antwort später meint Herr Schaffner, dass Tamedia für Qualitätsjournalismus steht. Dazu würde aber auch eine klare Trennung zwischen kommerziellen und journalistischen Inhalten gehören. Etwas, das der Tages-Anzeiger seit längerer Zeit systematisch unterläuft. Worte, nichts als leere Worte.
  • Victor Brunner, 09.07.2020 08:42 Uhr
    Was auffällt, in allen Interviews mit Leuten von TA und SZ spielt Qualität eine nebensächliche Rolle. Die hat sich auch in der Berichterstattung über Corona gezeigt. Immer im Wind, zuerst voll auf BR Linie dann als die ersten kritischen Stimmen aufkamen ist der TA auch auf den Zug aufgesprungen und eine um 180 Grad gedrehte Position eingenommen. Die Zeitung hat unter Judith Wittwer an Format verloren, Nationale Politik und Wirtschaft wurde gekürzt, dafür belanglose Gesellschaftsthemen aufgebläht. TA Interna wurden/werden grundsätzlich tot geschwiegen und nur in unabhängigen Portalen wie PRSÖNLICH thematisiert. Die neue Chefredaktion wird das Profil der Zeitung auch nicht schärfen können. Der TA und SZ haben keine Köpfe mehr, zuviele mittelmässige JournalistenInnen die Themen, teilweise zu zweit, bearbeiten die keine sind, Rollkofferartikel oder in einem Italienbashing enden wie der kürzlich erschienene Artikel: Hör mir bloss auf mit Italien! Dass wenige in der TA Redaktion etwas können beweisen die Artikel über das USZ, oder Panama papers wo Leute vom TA involviert waren. Die Abozahlen das TA werden wieder zurück gehen, nicht weil das Informationsbedürfnis in der Gesellschaft nicht vorhanden ist sondern weil die Macher der Zeitung Ansprüche nicht erfüllen können.
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