14.08.2022

Branchenwechsel

«Ich bin immer noch ein Newsjunkie»

Der bekannte Radiomoderator Patrick Hässig kümmert sich seit einigen Jahren als Pflegefachmann um Patienten im Spital. Der 43-Jährige sagt, weshalb er sich nie als Journalist gesehen hat. Und er erzählt, was ihn am neuen Job befriedigt – und warum «Toast Hässig» nach wie vor eine Rolle spielt.
Branchenwechsel: «Ich bin immer noch ein Newsjunkie»
«Die Mischung zwischen der grossen Verantwortung den Patienten gegenüber, dem medizinischen Wissen und den pflegerischen Tätigkeiten macht diesen Beruf attraktiv», sagt Patrick Hässig, diplomierter Pflegefachmann am Stadtspital Zürich, Standort Waid. (Bilder: zVg)
von Tim Frei

Knapp fünf Jahre ist es her, seit Patrick Hässig seinen Job als Morgenshow-Moderator bei Energy Zürich aufgegeben hat. Damals, im September 2017, verliess er die Medienbranche, weil er kurz vor Vierzig «dä Häbel nomal umätue» und «nochmals etwas ganz anderes im Leben machen» wollte (persoenlich.com berichtete). Mit dem Job als diplomierter Pflegefachmann HF im Stadtspital Zürich, Standort Waid, hat er diese Alternative gefunden. Dafür musste er ein dreijähriges Studium absolvieren.


Was befriedigt Sie an der Aufgabe als Pflegefachmann?
Vorneweg: Ich habe festgestellt, dass es sehr schwierig ist, zu beschreiben, was wir den ganzen Tag lang machen. Die Mischung zwischen der grossen Verantwortung den Patienten gegenüber, dem medizinischen Wissen und den pflegerischen Tätigkeiten macht diesen Beruf attraktiv. Es ist schön zu sehen, wenn man mit Menschen zu tun hat, denen es am Abend oder nächsten Tag besser geht als zuvor. Man sieht eine klare Kurve, die im besten Fall aufwärts geht. Nach einem Tag sieht man als Pflegefachmann genau, was man erreicht hat, da es messbar ist.

Auch erfolgreiches Radiomachen ist doch durch die Hörerzahlen messbar …
Klar. Diese Zahlen erscheinen aber nur halbjährlich, im Job als Pflegefachmann ist die Messbarkeit praktisch jeden Abend gegeben. Sie erlaubt es zudem, klar zu benennen, was man während eines Arbeitstags zu welcher Zeit gut gemacht hat. Ob zufrieden oder unzufrieden: Ich kann am Abend nach Hause und weiss genau, weshalb und was ich gemacht habe. Das ist mir wichtig.

In einem Interview mit Radio SRF 3 haben Sie gesagt, dass Ihnen erst im Job als Pflegefachmann bewusst wurde, dass Sie früher in der Öffentlichkeit standen. Wie haben Sie das gemeint?
Oft muss ich im Patientenzimmer erzählen, wie es früher in meinem Job als Radiomoderator war. Ich würde lieber mehr über die Patientinnen und Patienten, ihre Krankheit, ihre Bedürfnisse reden. Ich muss aber zuerst über mich erzählen, das ist ja eigentlich völlig schräg, es müsste doch umgekehrt sein. Das hat mir gezeigt, wie lang es «anäehebäd», wenn man in den Medien gearbeitet hat. Zum Beispiel das Radio24-Morgenshowspiel «Toast Hässig» ist immer wieder ein Thema, das ist ja schon zehn Jahre her. Es scheint, dass wir mit diesem schrägen Spielnamen einen Pflock eingeschlagen haben, der sich in den Zürcher Köpfen festgesetzt hat.

Wirklich überraschend kommt Hässigs Wechsel in die Gesundheitsbranche nicht, schliesslich kam er bereits zu Beginn seiner Radiokarriere als Moderator beim Radio Unispital mit dem Gesundheitswesen in Berührung. Nach fünf Jahren bei Radio Sunshine folgte von 2004 bis 2005 sein erstes Engagement bei Energy Zürich.

«Ich wollte unbedingt nach Zürich», erinnert sich Hässig: «Ich bin ein Stadtzürcher, und in Zürich tanzt der Medienbär». Sein erstes Mal bei Energy Zürich war allerdings eine Erfahrung, die Hässig rückblickend als schwierigsten Moment seiner Medienkarriere bezeichnet. Der 43-Jährige moderierte montags als Stellvertreter von Roman Kilchsperger die Morgenshow, da dieser sonntags für die Sendung «MusicStar» im Einsatz stand. «Dieser Vergleich mit dem grossen Roman war wirklich hart, zumal ich damals intern wie extern unbekannt war.»

Diese Ausgangslage habe ihn zwar angespornt, «aber ich war nicht wirklich glücklich». Und deshalb sei er auch nicht unglücklich gewesen, als er nach einem Jahr bei Energy die Chance erhalten habe, zum damaligen DRS 3 (heute: SRF3) zu wechseln, unter anderem als «Hitparaden»-Moderator.


Was hat es mit Ihnen gemacht, die «Hitparade» zu moderieren?
Ich habe schnell gemerkt, welch grossen Stellenwert die «Hitparade» als damals hörerstärkste Sendung im Land hatte, sowohl intern wie auch extern. Ich hatte regelmässig Durchfall am Sonntag vor der Sendung, weil ich es – offenbar mit jeder Faser meines Körpers – möglichst gut machen wollte. Weil ich wusste, ein grosser Teil der Deutschschweiz hört mir zu. Darunter auch mein Chef François Mürner, der mich eingestellt und geformt hat. Über die «Hitparade» habe ich so viel gelernt, sie war ein Türöffner für mich. Ich hätte nie gedacht, dass das so einen Impact haben kann.

Nach drei Jahren bei SRF 3 wurde Hässig das Morgenaushängeschild bei Radio24, später auch Moderationsleiter. Fünf Jahre später, im Jahr 2013, kehrte er zu Energy Zürich zurück. Zudem war er auch Gastgeber der SRF-Sendung «Weniger ist mehr», die 2014 abgesetzt wurde.

Radiomachen spielt noch heute eine Rolle im Leben von Patrick Hässig. Für Energy hat er nach wie vor Freelancer-Mandate. Bei seiner Kündigung im Herbst 2017 hatte er mit den Verantwortlichen vereinbart, dass er «ab und zu und wenn es ihm zeitlich passt» weiterhin für den Sender moderiert. «Ich bin dem damaligen Chef Dani Büchi und dem heutigen Roger Spillmann sehr dankbar dafür.»

Apropos Moderator: Thomas Gottschalk hat über sich gesagt: «Ich bin kein Journalist, sondern ein Entertainer». Haben Sie sich als Journalist gesehen?
(Bestimmt.) Ich habe mich sicher nicht als Journalist gesehen. Als Radiomoderator hat man nicht sehr viele journalistische Tätigkeiten. Man ist darauf angewiesen, dass die Redaktion journalistisch korrekt arbeitet, damit man die Stories danach ohne Probleme und attraktiv präsentieren kann. Als Entertainer habe ich mich auch nicht gesehen, ich war nie ein Moderator mit Ecken und Kanten und auch keiner, der polarisierte. Ich bin gerne und bewusst mit einer Stimmung «mitgeschwommen», die gepasst hat.

Dennoch: Sie hatten eine verantwortungsvolle Rolle …
… natürlich. Deshalb habe ich das auch so ernst genommen, ich wollte es so gut wie nur möglich machen. Ganz wichtig scheint mir, dass man sich auf Augenhöhe bewegt. Als Radiomoderator befindet man sich logischerweise in einer anderen Sphäre als das Publikum: Man gibt ihm etwas, es glaubt einem: Als Radiomoderator hat man eine unheimliche Macht. Glaubwürdigkeit ist das höchste Gut. Verliert man sie, dann schadet man dem Sender und sich selbst. Mir war es daher immer wichtig, nicht abgehoben, borniert zu sein – über Minderheiten, Religionen oder Schwächere habe ich meines Wissens nie einen blöden Spruch gemacht.

Eine Einstellung, die Hässig auf dem Weg, politisch aktiv zu werden, sicher nicht geschadet haben dürfte. «Ich war nie in einen Skandal verwickelt als Moderator. Mit der GLP vertrete ich seit Frühsommer 2022 eine Partei im Zürcher Gemeinderat, die alles andere als eine Polpartei ist, was sehr gut zu mir als Person passt. Die Polarisierung in der Politik, dieses ewige Hin und Her, finde ich mühsam.»


Was hat Sie eigentlich in die Politik geführt?
Die Arbeit als Pflegefachmann, mein Engagement für die Pflegeinitiative, und der damit verbundene Auftritt in der «Arena» hat meinen Weg in die Politik, in den Zürcher Gemeinderat beflügelt. Solange man voll in der Medienbranche arbeitet, sollte man nicht politisch aktiv sein. Ich war stets ein politisch interessierter Mensch – und jetzt, wo ich nicht mehr in den Medien arbeite, kann ich mich politisch engagieren.

Hat sich durch Ihr neues Leben als Politiker und Pflegefachmann auch Ihr Medienkonsum verändert?
Leider nicht (lacht). Ich bin immer noch ein Newsjunkie. Ich bin gerne informiert, wenn ich morgens aufstehe. Wenn ich ehrlich bin, dann hat das im Ansatz schon fast mit einer Sucht zu tun. Aber bei wem ist das heute nicht der Fall? Das Handy ist bei den meisten ein ständiger Begleiter. Ich habe zwar keine Push-Nachrichten abonniert – das tue ich mir nicht an. Die grossen Newsportale – NZZ, Tages-Anzeiger, Blick – besuche ich regelmässig, zudem scrolle ich durch Twitter, Instagram, Facebook.

Also voll digital?
Absolut. Ich habe noch nie eine Zeitung physisch gekauft in meinem Leben, nur Magazine. Nicht wegen des Reizes oder des Preises, ich brauche Zeitungen in Papierform schlicht nicht. Früher standen uns auf Redaktionen für die Arbeit die wichtigsten Zeitungen zur Verfügung, zudem hatten wir welche im Elternhaus.

Wie hat sich Ihr Tagesablauf verändert?
Jetzt bin ich einem Team eingebunden. Das bedeutet: Ich muss mich viel mehr an starre Strukturen halten, was vorher im Radio nicht der Fall war. Ich wusste zwar, zu welcher Zeit es was in der Sendung zu tun galt, aber dabei hatte ich relativ freie Hand. Im Spital kann man natürlich nicht mehr viel selber entscheiden. Vieles ist klar vorgegeben. Da ich aber ein Freund von Regeln und klaren Ansagen bin, kann ich mich damit sehr gut identifizieren. Ich mache auch selbst gerne klare Ansagen (lacht).

Den Verlust an Freiheiten vermissen Sie demnach nicht?
Nein, ich bin aber wohl der Typ Pflegefachmann, der überdurchschnittlich viel Zeit bei den Patientinnen und Patienten im Zimmer verbringt. Weil ich halt etwas mehr rede als meine Kolleginnen und Kollegen (lacht). Und weil ich auch Gegenfragen stelle. Ich finde es immer schade, wenn es ein Monolog ist, sei dies von den Patienten oder von mir. Es soll ein Dialog sein und sobald dies der Fall ist, dauert es meistens etwas länger. Darauf bin ich aber stolz, denn darum geht es schliesslich: dass man mit den Menschen, die unfreiwillig im Spital liegen, eine Beziehung aufbauen kann. Es sind nicht einfach Ansagen von Pflegefachpersonen, es ist ein Geben und Nehmen in dieser Beziehung. Das spricht mich sehr an.

Dass Sie den Abgang aus der Medienbranche nicht bereuen, ist offensichtlich. Gibt es aber Dinge aus dieser Zeit, die Sie vermissen?
Ja, dass es ruhig ist, wenn ich an meinen Arbeitsort komme. Wenn ich mich kurz vor Arbeitsbeginn um 7 Uhr im Stationszimmer auf die Frühschicht vorbereite, herrscht ein sprichwörtliches «Ameisengewusel». In solchen Momenten denke ich gerne an meine Radiozeit zurück: Es war so schön, um halb vier Uhr ganz allein einen Kaffee rauszulassen – nur du, deine Themen, deine Sendung. Da konnte ich mich richtig konzentrieren, das fehlt mir heute. Heute hole ich mir diese Ruhe im Toggenburg, wo ich ein Ferienhaus mit meinem Partner habe.



In der Serie «Branchenwechsel» stellt persoenlich.com Personen vor, die im Journalismus oder in der Werbung gearbeitet und nun ihren angestammten Beruf verlassen haben. Bereits erschienen sind:

Sandra Hänni: Vom Privatfernsehen zur Upcyclerin.

Seraina Kobler: Von der NZZ zur Buchautorin.

Curdin Janett: Vom Werbeagentur-CEO zum Käse-Affineur.

Marc Krebs: Vom Kulturjournalist zum Start-up-Unternehmer.

Melchior Bruder: Von TeleZüri und SRF zur Kindergartenlehrperson.



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