27.04.2020

Serie zum Coronavirus

«Lockdown-Gegner machen es sich zu einfach»

Folge 30: Judith Wittwer wird schon bald Chefredaktorin der Süddeutschen Zeitung. Doch vorher braucht sie noch eine Wohnung in München und hofft auf Normalität.
Serie zum Coronavirus: «Lockdown-Gegner machen es sich zu einfach»
Wird zusammen mit dem bisherigen Chefredaktor Wolfgang Krach die Redaktion der Süddeutschen Zeitung in Deutschland leiten: Judith Wittwer. (Bild: zVg.)
von Matthias Ackeret

Frau Wittwer, Sie wechseln in einigen Wochen bereits nach München. Wie gestaltet sich so ein Umzug in Zeiten von Corona?
Schwierig. Der Immobilienmarkt ist blockiert, Wohnungsbesichtigungen sind derzeit nicht möglich. Wir hoffen auf eine baldige Entspannung. 

Konnten Sie überhaupt Ihren neuen Arbeitsort besuchen und Ihre neuen Kolleginnen und Kollegen kennenlernen?
Nicht nur die Tagi-Redaktion, auch die Kolleginnen und Kollegen bei der «Süddeutschen Zeitung» in München arbeiten aktuell im Homeoffice. Der Austausch findet punktuell per Email oder Videokonferenz statt. Ich trete meine neue Stelle aber erst im Sommer an und hoffe unverändert, dass sich die Situation in den nächsten Wochen entschärft. 

Wie beeinträchtigt momentan die ganze Krise Ihren Alltag?
Bis auf ein paar wenige Kolleginnen und Kollegen in Schlüsselfunktionen, arbeitet die gesamte Tagi-Redaktion im Homeoffice. Die Sitzungen finden per Video statt, rasche Absprachen erfolgen per Slack. Das ist herausfordernd, zumal wir in den vergangenen Wochen auch eine moderne Website lanciert, auf Mobile-first-Abläufe umgestellt und Kurzarbeit eingeführt haben. Die Kolleginnen und Kollegen leisten aber herausragende Arbeit, wofür ich ihnen danken möchte. Der Zusammenhalt und die gegenseitige Unterstützung sind auch in diesen herausfordernden Zeiten in der Redaktion gross.  

Machen Sie Homeoffice?
Ich arbeite an einzelnen Tagen von zuhause aus, mit Schulkindern ist das aber nicht ganz einfach; man wird häufiger unterbrochen als im Büro. Meine Arbeitstage beginnen daher oft schon vor 6 Uhr morgens, wenn die Töchter noch schlafen. Am späten Abend wird das Liegengebliebene nachgeholt. Übernimmt mein Mann die Betreuung, arbeite ich an der Werdstrasse. 

Der Bundesrat ist momentan von allen Seiten unter Druck. Wie beurteilen Sie seine bisherige Arbeit?
Die Botschaft des Bundesrates war beim Lockdown klar und nachvollziehbar. Jetzt, wo es um die Lockerung der Schutzmassnahmen geht, wirkt die Landesregierung zögerlicher. Ich kann die Zurückhaltung jedoch nachvollziehen. Auch wenn die Zahl der täglichen Neuinfektionen zurückgegangen ist: Die Corona-Krise ist noch längst nicht ausgestanden. Die Gefahr einer zweiten Welle bleibt bestehen.

Böse Zungen sagen, dass der Tagi zu unkritisch gegenüber Bundesrat Berset und seiner Politik sei?
Die Lockdown-Gegner machen es sich zu einfach, wenn sie angesichts der ökonomischen Schäden von der Landesregierung eine rasche Lockerung fordern und kein Verständnis für die schwierige Rolle des Bundesrats aufbringen. Wer die Verantwortung trägt, muss auch verantwortlich handeln – nicht nur für einzelne Anspruchsgruppen, sondern für alle. «Die Stärke des Volkes misst sich am Wohl der Schwachen», steht in der Bundesverfassung.

Sie sind jetzt dann Chefredaktorin einer der wichtigsten deutschen Tageszeitungen. Von Ferne betrachtet, wo sind die grössten Unterschiede der Schweizer und der deutschen Corona-Politik?
Kanzlerin Angela Merkel hat einzelne Bundesländer kürzlich scharf kritisiert, weil sie auf eine raschere Öffnung drängten. Ein solch offener Konflikt konnte man in der Schweiz bisher nicht beobachten. 

Wer macht es besser?
Die Kanzlerin kann Krise. Ihre Rationalität und Ruhe wird zurecht gerade wieder sehr gelobt. Einen Wettbewerb, wer am besten durch die Krise führt, gibt es nicht.

Was war für Sie das prägendste Erlebnis der letzten Wochen?
Persönlich freuen meine Familie und ich uns natürlich auf den Wechsel nach München. Der Entscheid und die unglaublich vielen, herzlichen Reaktionen aus der Schweiz und aus Deutschland haben mich sehr bewegt.


Was bedeutet die Corona-Pandemie für die verschiedenen Akteure der Schweizer Medien- und Kommunikationsbranche? Bis auf Weiteres wird persoenlich.com jeden Tag eine betroffene Person zu Wort kommen lassen. Die ganze Serie finden Sie hier



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