04.01.2022

SRF

«Mich reizt der komplette Branchenwechsel»

Die Grossbritannien-Korrespondentin Henriette Engbersen verlässt SRF und wechselt im Frühling zu einer Personalvermittlungsfirma. Die 41-Jährige spricht im Interview über ihr berufliches Ausscheren, den neuen Job und einen Aha-Moment dank vieler Frauen in Toppositionen.
SRF: «Mich reizt der komplette Branchenwechsel»
«Es war ein Aha-Moment als ich etwa auf BBC so viele Expertinnen und Politikerinnen sah»: Henriette Engbersen. (Bild: SRF/Ueli Christoffel)
von Michèle Widmer

Frau Engbersen, Sie kehren im Frühling aus Grossbritannien zurück in die Schweiz – allerdings nicht zu SRF. Wie kam es dazu?
Ich habe in London viele Menschen kennengelernt, die mitten im Leben einen Bruch in der Laufbahn wagen, die etwas komplett Neues ausprobieren. Wie etwa einen Clubbesitzer, der jetzt Oldtimer mit Elektromotoren ausstattet. Und ich habe an der Oxford Universität eine Weiterbildung zum Thema «Women in Business» absolviert. All das hat mich inspiriert. Karrieren müssen heute nicht mehr so linear verlaufen wie früher. Im Gegenteil, es hat Vorteile auszuscheren und das wage ich jetzt auch. Und ganz so verrückt wie Oldtimer zu elektrifizieren ist es dann doch nicht.

Sie wollen «eine ganz neue Herausforderung anpacken», werden Sie in der Mitteilung von SRF zitiert. Gab es am Leutschenbach keine Möglichkeit dazu?
Es ist keine Entscheidung gegen SRF, sondern eine Entscheidung für den Job als Executive Searcherin. Ich war 14 Jahre bei SRF und bin dem Unternehmen sehr dankbar für die Chancen, die mir geboten wurden. Seit ich in London lebe, bin ich mehr denn je überzeugt, dass SRF international mithalten kann, hohe Qualität bietet und wichtige Transformationen wagt. Doch persönlich habe ich Lust auf etwas Neues.

Deutschland-Korrespondentin Bettina Ramseier kehrt ebenfalls nach Zürich zurück und wird Kassensturz-Moderatorin. Wäre das nichts für Sie gewesen? Warum?
Mich reizt der komplette Branchenwechsel. Ausserdem nehme ich viele meiner Skills mit. So wie ich es als Korrespondentin geliebt habe, in Unternehmen reinzuschauen, freue ich mich als Executive Searcherin wieder darauf, mit Unternehmen zu kooperieren. Und so wie ich es als Journalistin enorm bereichernd fand, Menschen in allen möglichen Lebenslagen zu interviewen, freue ich mich darauf, auch künftig Berufstätige in einem spannenden Moment ihres Lebens zu treffen. Ich kann sie begleiten, während berufliche Änderungen anstehen.

Es habe Vorteile auszuscheren, sagten Sie zuvor. Welche?
Es gibt viele Studien, die beweisen, dass divers zusammengestellte Teams in einem dynamischen Umfeld bessere Ergebnisse liefern. «Divers» heisst Menschen mit unterschiedlicher Herkunft, Alter und Geschlecht. Und so werde ich mit meiner beruflichen Herkunft eine Bereicherung sein für mein künftiges Team bei Level Consulting.

Auch Ihr Chef, Reto Gerber (Leiter der TV-Auslandredaktion), wechselt in die Privatwirtschaft. Inwiefern hat das eine Rolle gespielt bei Ihren Überlegungen?
Sein Wechsel hat mit meinem nichts zu tun. Das ist Zufall.

«So viele Frauen in Toppositionen zu treffen, hat mich selber bestärkt»

Beim Personalvermittler Level Consulting werden Sie als Executive Searcherin tätig sein. Was werden Ihre Aufgaben konkret sein?
In erster Linie bin ich als Executive Searcherin natürlich Ansprechperson für alle Unternehmen, Organisationen und Personen. Als solche suche und selektiere ich national und international Personen auf Geschäftsleitungsebene. Ich will als Executive Searcherin einen Beitrag leisten, dass die Vielfalt in den Führungsetagen grösser wird. Für mehr Vielfalt braucht es alle: Politik, Gesellschaft und Wirtschaft. In meiner neuen Funktion habe ich einen direkten Hebel und kann bei den Frauen selber ansetzen.

Mehr Vielfalt in den Führungsetagen: Warum ist Ihnen dieses Anliegen so wichtig?
Wiederum hat mich Grossbritannien inspiriert. Ich habe gemerkt, welchen Unterschied es macht, wenn Frauen sichtbarer sind. Es war ein Aha-Moment als ich etwa auf BBC so viele Expertinnen und Politikerinnen sah, wie damals etwa Theresa May, Nicola Sturgeon oder die Finanzfrau Gina Miller. Ich habe realisiert, wie ich früher (vor London) unbewusst beim Auftritt einer Frau gedacht hab, oh eine Frau, mal sehen, ob die das kann. Das ist komplett weg. Und so viele Frauen in Toppositionen zu sehen und zu treffen, hat mich auch selber in meiner Rolle weiter bestärkt. Das ist meine Inspiration, mich dem Thema Vielseitigkeit auf Führungsetagen und Frauen zu widmen.

«Für Frauen hat es sich noch nie so sehr gelohnt, sich einzusetzen»

Was reizt Sie sonst noch am neuen Job?
Situationen der Veränderung reizen mich. Deshalb habe ich mich mit dem Brexit in London so wohlgefühlt. Auch in der Arbeitswelt laufen viele spannende Veränderungen: Die Nachhaltigkeitsdebatte, die Globalisierung, die Digitalisierung … All das verändert den Arbeitsalltag. Es sind auch andere Führungsstile gefragt. Gefordert sind etwa Agilität, Kreativität, ein kollegialerer Stil und emotionale Intelligenz – das sind alles Stärken von Frauen. Also hat es sich für Frauen noch nie so sehr gelohnt, sich einzusetzen.

Sie waren den Zuschauerinnen und Zuschauern am Bildschirm vor allem durch die Berichterstattung zum Brexit bekannt – ein sehr komplexes Thema. Wie sind Sie an diese herausfordernde Arbeit herangegangen?
Nebst der intensiven Recherche habe ich mich viel mit Korrespondentinnen und Korrespondenten aus anderen Ländern ausgetauscht. Schliesslich steckten wir alle im selben Boot und waren zeitweise täglich aufs Neue erstaunt, was sich da abgespielt hat. Die Meinungen der Bevölkerung, besonders jener, die weit ausserhalb von der Westminster-Bubble lebten, waren mir auch immer wichtig. Nur so konnte ich ein umfassendes Bild gewinnen und vermitteln.

Und welche Themen aus der Region Grossbritannien und Irland kamen in den letzten Jahren zu kurz?
Ich hätte persönlich am liebsten noch mehr über Musik, Kunst, Sport und Kultur berichtet. Da hatte London vieles zu bieten, was ich künftig vermissen werde.

Wie haben Sie die letzten Jahre in Grossbritannien am meisten geprägt? Oder anders gefragt: Was nehmen Sie von dieser Zeit mit?
Die Fähigkeit, herzhaft über sich selber zu lachen. Sowie die Weltoffenheit, der Mut, die Kreativität und der Tatendrang der Londonerinnen und Londoner.

Und nun: Auf was freuen Sie sich am meisten zurück in der Schweiz?
Auf viele Details im öffentlichen Leben, die in der Schweiz so gut funktionieren, und auf Freunde und Familie.



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