19.03.2020

Krisenkommunikation

«Wir müssen das mit Umsicht und Professionalität meistern»

Hans-Peter Nehmer ist zum Harbourclub-Präsidenten gewählt worden – wegen der Coronakrise auf dem Zirkularweg. Im Interview sagt der Allianz-Kommunikationschef, was ihn und seine Kolleginnen in diesen Tagen besonders fordert.
Krisenkommunikation: «Wir müssen das mit Umsicht und Professionalität meistern»
«Wir überprüfen unseren Krisenplan für Pandemiefälle laufend», sagt Harbourclub-Präsident Hans-Peter Nehmer. (Bild: zVg.)
von Edith Hollenstein

Herr Nehmer, Sie haben etwa von einem Jahr mit einem ungewöhnlichen kommunikativen Akt Eindruck gemacht. Ihr Coming-out-Interview scheint Ihrer Karriere förderlich gewesen zu sein. Oder was war ausschlaggebend für Ihre Wahl als Harbourclub-Präsident?
Das eine hat mit dem anderen nichts zu tun. Dominique Morel, der den Harbourclub über fünf Jahre erfolgreich präsidiert hat, orientiert sich beruflich neu und verlässt daher den Club aus statutarischen Gründen. Ich war vorher bereits im Vorstand und freue mich nun, Dominiques erfolgreiche Arbeit gemeinsam mit dem Vorstandsteam weiterzuführen.

Für Sie und Ihre Kommunikationschef-Kolleginnen ist die aktuelle Zeit mit dem neuen Coronavirus besonders anspruchsvoll. Haben Sie die Krisenkommunikationskonzept aus der Schublade geholt?
Die letzten Tage sind in der Tat herausfordernd und wir beschäftigen uns schon seit einigen Wochen intensiv mit der Thematik. Der Schutz unserer Mitarbeitenden und die Sicherstellung des operativen Betriebs haben oberste Priorität. Stand heute ist beides gewährleistet. Wir hatten bei der Allianz bereits ein Bereitschaftsteam Pandemie im Einsatz und haben aktuell den Krisenstab Pandemie aktiviert, in dem auch ich aktiv mitarbeite. Unser Krisenplan wird laufend der aktuellen Situation angepasst und entsprechende Massnahmen angeordnet, die zeitnah kommuniziert werden. Eine aussergewöhnliche Situation für uns alle, bei der es jetzt gilt, diese mit der nötigen Umsicht und Professionalität zu meistern.


«Es gilt diese aussergewöhnliche Situation mit der nötigen Umsicht und Professionalität zu meistern»

Welche Schritte kann man für den Krisenfall vorbereiten, und welche nicht?
Was das Krisenmanagement anbelangt: Die Strukturen und Zuständigkeiten müssen im Rahmen des Krisenplans bereits vorab festgelegt sein, damit es hinterher keine bösen Überraschungen gibt. Pandemie ist übrigens eine der bei uns definierten Krisenszenarien, weshalb wir bereits über entsprechende Pläne verfügen. Schwierig vorauszusehen ist die Dynamik, die Krisenfälle – wie aktuell rund um das Coronavirus – entfalten. Hier gilt es, möglichst schnell und möglichst transparent zu informieren.    

Beim Treffen von schwierigen Entscheidungen wie Townhall-Meetings absagen oder externe Veranstaltungen annullieren: Welche Interessen vertreten Sie in den Sitzungen zur Entscheidungsfindung? Diejenigen der Mitarbeiter oder diejenigen der Geschäftsführung?
Als Kommunikationschef muss man immer alle Anspruchsgruppen und die bestmögliche Lösung im Blick haben. So muss die Kommunikation dem Management bei heiklen Entscheidungen auch mal den Spiegel vorhalten und Dinge kritisch hinterfragen. Gleichzeitig gilt es, die Bedürfnisse der Mitarbeitenden nicht aus den Augen zu verlieren. Das ist oft eine Gratwanderung – dient aber letztendlich dem gesamten Unternehmen. Wir haben beispielsweise gerade unsere jährliche Mitarbeiterveranstaltung abgesagt – zum Wohl unserer Mitarbeitenden und auch auf den Ratschlag der Kommunikation hin.

Ein Kommunikationschef ist also eher eine Art Anwalt der Mitarbeitenden. Heisst das: Sie sind auch Sparringpartner für den CEO?
Ich bin heute viel stärker in einer beratenden Funktion. Es geht längst nicht mehr bloss darum, als Sprecher für das Unternehmen aufzutreten. Wir sehen, dass das öffentliche Vertrauen in die Medien und die Regierungen stark abnimmt, während NGOs und Unternehmen – insbesondere Familienunternehmen – höchste Vertrauenswerte erzielen. Von CEOs wird heute erwartet, dass sie auch zu gesellschaftlichen Themen Position beziehen. Hier ist es die Aufgabe des CCOs – sogar seine Pflicht – das Management dabei zu unterstützen, ihre gesellschaftliche Verantwortung wahrzunehmen. CCOs werden künftig stark danach beurteilt werden, inwiefern sie das Management dabei unterstützen, die richtigen Entscheide zu fällen, damit ihm die Gesellschaft die «licence to operate» nicht entzieht.

Und was ist mit der Medienarbeit? Welchen Anteil hat Medienarbeit an Ihrer Tätigkeit?
Medienarbeit ist nach wie vor ein unverzichtbarer Bestandteil der Unternehmenskommunikation. Das veränderte Informations- und Medienkonsumverhalten haben sich allerdings in den letzten Jahren deutlich auf meinen Aufgabenbereich ausgewirkt. Die klassische Medienarbeit nimmt heute merklich weniger Zeit in Anspruch, wohl auch als Folge der Medienkrise. Aber gerade in kritischen Situationen – wie aktuell rund um das Coronavirus – beweist professionelle Medienarbeit noch immer ihren Wert. 

«Versicherungsexpertise ist vielleicht noch bei rund einem Dutzend Journalisten vorhanden»

Wie kann ein Kommunikationschef darauf hinwirken, dass eine Medienstelle transparente Kommunikation ermöglicht, statt dass sie sie verhindert?
Der glaubwürdige, konstruktive Dialog mit verschiedenen Anspruchsgruppen – intern wie extern – ist eine der Kernaufgaben der Unternehmenskommunikation. Ein Kommunikationsverhalten, dass auf Verhindern eingestellt ist, wird sehr rasch ein Vertrauensproblem haben. Vielmehr müssen es Unternehmen verstehen, relevante Geschichten zu erzählen, die Werte glaubwürdig vermitteln und die Menschen miteinbeziehen. Als Kommunikationschef sehe ich mich deshalb als Brückenbauer, nach innen und nach aussen. Die Medienarbeit und Social Media können hier wertvolle Dienste leisten und eher als Treiber denn als Verhinderer wirken.

In den letzten Jahren etablierten immer mehr Unternehmen eigene Medienstellen, während in den Redaktionen Journalistenstellen stark reduziert wurden. Wie viele Journalisten gibt es eigentlich noch, die wirklich fachkompetent und kritisch über die Versicherungsbranche und über Versicherungsthemen schreiben können?
Man liest immer wieder vom bewussten Aufrüsten der Kommunikationsstellen in den Unternehmen, um den Einfluss gegenüber den ausgedünnten Redaktionen zu verstärken. Das stelle ich klar in Abrede. Ein wirtschaftlich erfolgreiches Unternehmen pflegt stets ein ausgeprägtes Qualitäts- und Kostenbewusstsein. Darum habe ich in den letzten Jahren bewusst nicht in eine Vergrösserung, sondern gezielt in die Weiterbildung der Teammitglieder investiert. Andererseits beobachten wir schon, dass sich die redaktionellen Schwerpunkte in manchen Medienunternehmen verlagert haben. Mitunter frage ich mich, ob das noch Journalismus ist oder bloss Entertainment. Wirkliche Versicherungsexpertise ist vielleicht noch bei rund einem Dutzend Journalisten vorhanden, obwohl die Branche eine hohe volkswirtschaftliche Bedeutung in der Schweiz hat

Welche Journalisten sind das? Können Sie Beispiele nennen?
Es ist ein genereller Trend. Konkrete Namen oder Titel nenne ich keine.

Macht Ihnen diese Entwicklung Sorgen oder haben Sie dadurch ein einfacheres Leben?
Das macht mir schon eher Sorgen. Einerseits sehe ich den wirtschaftlichen Druck, der auf den Redaktionen lastet. Andererseits geht mit dieser Entwicklung die Vielfalt in der Medienlandschaft verloren. Gut recherchierte Hintergrundberichte werden immer seltener, auch die Qualität in der Berichterstattung geht tendenziell zurück. Dadurch verlieren Medientitel aus meiner Sicht ein stückweit an Glaubwürdigkeit und letztlich an Bedeutung.

Welche Themen und Trends beschäftigen denn derzeit die Kommunikationsteam der Schweizer Unternehmen besonders stark?
Die Entwicklung im Bereich künstliche Intelligenz und Automation wird unsere Welt nochmals stark verändern und damit auch die Unternehmenskommunikation. Wir sehen das heute am Einsatz von sprachbasierten Technologien. Im Zeitalter von Voice müssen sich Unternehmen und Organisationen überlegen, welche Stimme und Tonalität zu ihrer Identität passen. Und wie sie sich Gehör verschaffen können, wenn Suchanfragen künftig mündlich erfolgen. À propos Stimme: Die zunehmende Nutzung von Podcasts – auch im unternehmerischen Umfeld – finde ich einen spannenden Trend. Als ehemaliger Radiomoderator bin ich mir sehr bewusst, welche Kraft und Emotionalität in der menschlichen Stimme stecken.

«Das handwerkliche Rüstzeug eines CCO wird damit vielfältiger und muss gleichzeitig stets aktuell gehalten werden»

Und was für eine Rolle hat die Kommunikationsabteilung in der ganzen digitalen Transformation?
Einerseits begleitet und unterstützt die Unternehmenskommunikation den digital getriebenen Wandel in Unternehmen. Der Change kann Methoden und Prozesse, aber auch das Geschäftsmodell, die Organisation oder die Strategie betreffen. Hier trägt die Unternehmenskommunikation substanziell zu einem erfolgreichen Veränderungsprozess oder zur Implementierung von neuen Technologien bei. Andererseits wird von CCOs ein immer grösseres Technologieverständnis erwartet. Nur so können Innovationen antizipiert und sinnvoll genutzt werden. Das handwerkliche Rüstzeug eines CCO wird damit vielfältiger und muss gleichzeitig stets aktuell gehalten werden. Die Ansprüche und Anforderungen an CCOs sind im Zuge der Digitalisierung sicher gestiegen. Und ich sehe nicht, dass dieser Trend abnimmt.

Junge Mitarbeiter fordern vermehrt klare Information, weniger Schachtelsätze – also klare und ehrliche Kommunikation. Warum tun sich eigentlich viele Unternehmen so schwer damit?
Dass Unternehmen gut beraten sind, ehrlich zu kommunizieren, liegt nicht nur an den Jungen. Es ist eine Frage des Vertrauens und der Beziehungsqualität. Schaffe ich mit verklausulierten, verschachtelten Botschaften Vertrauen? Wohl kaum. Aber klare Ansagen zu machen, Position zu beziehen, das braucht mitunter Mut. Ich bin überzeugt, dass Unternehmen und ihre Exponenten künftig noch stärker Haltung beweisen müssen, wenn sie erfolgreich bleiben wollen.

Was für Trends sehen Sie in der Kommunikation respektive im Marketing bezüglich der zunehmenden Fragmentierung? Wie gelingt es Unternehmen, von potentiellen Kunden gehört zu werden? Was für Botschaften sind hier zentral?
Kein Trend, vielmehr ein Dauerthema, ist die konsequent kundenzentrierte Ausrichtung der gesamten Unternehmung. Es geht also um die Customer Experience, das Erzeugen einer positiven, sich verstärkenden Erfahrung über alle Interaktionen zwischen Unternehmung und Kunde hinweg. Hier sehe ich einen Trend im zeitnahen Erfassen und Auswerten von Kundensignalen, die auch auf dem Austausch mit der Zielgruppe beruhen – und nicht bloss Verhaltensdaten abbilden. Der dialogische Austausch mit fragmentierten Zielgruppen erfordert eine neue Herangehensweise an die Erstellung von Inhalten und die Auswahl von Kanälen. Das Entwickeln von seriellem Content, den man dann in Kampagnenschlaufen abspult, wird je länger je weniger goutiert. Das Publikum wiederum stellt immer höheren Ansprüchen. Dafür müssen Inhalte fortlaufend in kurz getakteten, hoch effizienten Kreationsprozessen entwickelt, in unterschiedlichen Kanälen ausgespielt und auf ihre Akzeptanz getestet werden. So werden Unternehmen in Zukunft weniger aufgrund ihrer Produkte und Dienstleistungen beurteilt, sondern aufgrund ihrer Fähigkeit, ihr Daseinsberechtigung, den Purpose, zu vermitteln.

Nun übernehmen Sie beim Harbourclub das Steuer. Was haben Sie Neues vor?
Die Ziele bleiben dieselben. Wir waren und sind ja erfolgreich unterwegs und im Vorstand sind wir ein gut eingespieltes und divers zusammengesetztes Team. Kontinuität ist mir sehr wichtig. Den Wandel in der Kommunikation – ausgelöst durch die Digitalisierung – haben wir mit unserem Manifest #bravenewcommunications als Schwerpunkt adressiert. Dem wollen wir noch mehr Rechnung tragen. Die Kernfrage ist welchen Herausforderungen sich Kommunikationsleiter dabei stellen müssen und wie sehr sich das Berufsbild dabei ändert. Beim Schweizer Geschäftsberichte Rating bewerten wir in den drei Jurys, Value Reporting, Design sowie Schlussjury auch in diesem Jahr wieder über 200 Schweizer Geschäftsberichte. Dabei überprüfen wir laufend die Bewertungskriterien, neu ab diesem Jahr wird zudem die Textqualität bewertet.

 



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