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Heisse Luft in alten Schläuchen

Hans-Jörg Walter

Als 2018 die traditionsreiche Fotofirma Kodak die Kryptowährung «Kodakcoin» in den Markt drücken wollte und damit ihren Aktien kurzzeitig einen prächtigen Höhenflug verpasste, schien ein neues Zeitalter in der Bildindustrie greifbar nahe. Urheberrechte und Bildlizenzen sollten endlich digital zertifiziert und handelbar gemacht werden. Jeder Bilddatei hätte man einen Vertrag angefügt, in dem die Nutzungsbedingungen und Verwendungsrechte definiert wären. Dem grassierenden Bilderklau hätte damit ein mächtiges Werkzeug entgegengesetzt werden können.

Ausser Ankündigungen ist dann nicht mehr viel passiert. Schon im gleichen Jahr wurden alle Hinweise auf das Prestigeprojekt auf der Webseite von Kodak getilgt. Seitdem ploppen immer wieder neue Ankündigungen von Bildagenturen mit viel KI, Krypto und En-ef-tii auf, doch keine hat es über die Pilotphase geschafft.

Heute spekulieren unsere Teenager mit Kryptos statt mit Sackgeld und Werbeagenturen wollen Beratungsschalter im Metaverse eröffnen. Kirchgemeinden veräussern das digitale Token einer Maria vor dem Kreuze Jesu Christi unter dem Titel «Schatten und Licht». Kamerahersteller entwickeln Kameras mit integriertem Krypto-Mechanismus, welche jedes Bildchen gleich als «Non Fungible Token» speichert. Alles Mögliche wird mit einer Blockchain verknüpft, vom Sneakerdesign bis zum Audiofile eines Furzes kann jede Idee, jedes Design und jeder Pixelhaufen mit einem kryptografischen Zertifikat veredelt und gehandelt werden. Aber Achtung, ein NFT ist nur ein Zertifikat. Dieses hilft zwar, die Urheberschaft fälschungssicher zu dokumentieren, schützt aber nicht vor Diebstahl oder missbräuchlicher Verwendung.

Hier helfen nur die althergebrachten Urheberrechte und die Aufmerksamkeit der Urheber und ihrer Agenturen, die mit Crawlern das Netz nach unlizenzierten Bildern durchsuchen und Sünder mit klassischen eingeschriebenen Briefen auf Papier abmahnen.

In den nächsten Jahren ist keine Revolution zu erwarten, einzelne Fotografinnen, Fotografen und Bildagenturen werden grosse und kleine Abenteuer mit NFTs vermelden, doch der entscheidende Gamechanger für das Daily Business im Bildermarkt wird erst im Metaversum eine Zukunft haben. Und das muss erstmal gebaut werden. Sie können also getrost Ihr Wallet stecken lassen.



Hans-Jörg Walter verantwortet den Bereich Bildbeschaffung und Workshops bei der Ex-Press, Visuelle Medien AG. Der ausgebildete Fotograf arbeitete für die Werbung, Industrie und Editorial, als Bildchef und Creative Director in Medienprodukten und als Dozent für Fotografie.

Unsere Kolumnistinnen und Kolumnisten vertreten ihre eigene Meinung. Sie deckt sich nicht in jedem Fall mit derjenigen der Redaktion.

 

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