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Lebensversicherung

Benedikt Weibel

Die Vorfälle bei der Post haben eine Grundsatzdebatte über die Steuerung von staatsnahen Unternehmungen ausgelöst. Unter dem Titel «Skandale bei Bundesbetrieben» hat der «Tages-Anzeiger» neben der Postauto-Geschichte den Cyberangriff auf die Ruag, die Russland-Affäre bei der gleichen Unternehmung und den Diebstahl von Daten bei der Swisscom aufgelistet. Diese Liste zeigt vor allem eines: Auch staatsnahe Unternehmungen werden nicht von Heiligen geführt. Sie sind den gleichen Risiken und Versuchungen ausgesetzt wie jede andere Institution, vor allem wenn es um Geld geht. 

Der Begriff «Compliance» war während meiner SBB-Zeit noch nicht geläufig. Trotzdem bin ich davon ausgegangen, dass eine Firma, die Jahr für Jahr rund zwei Milliarden Franken investiert, für deliktische Handlungen anfällig ist. Es war mir klar, dass es dagegen nur ein wirksames Instrument gibt: eine starke interne Revision. Die hatten wir. Ihr Chef sah aus, wie man sich einen Revisor vorstellt; ein Wunder, dass er nicht noch Ärmelschoner trug. Er war absolut unbestechlich, hartnäckig, standfest und kannte jeden Winkel der Unternehmung. Er war Ansprechpartner für «Hinweise» (heute nennt man die Absender dieser Hinweise Whistleblower), wusste genau, wann er diese Informationen ernst zu nehmen hatte, und er führte ein stattliches Team mit fähigen Revisoren. Sein Revisionsplan, welchen er dem Prüfungsausschuss des Verwaltungsrates vorzulegen hatte, war mit dem Risikomanagement und den externen Prüfern abgestimmt. Er hatte immer ausreichend Reserven, um auf Unvorhergesehenes reagieren zu können. Seine Prüfberichte waren knapp und klar. Auf dem Deckblatt eine Tabelle, die auf den ersten Blick zeigte, ob da ein Problem war oder nicht. Die Umsetzung der vorgesehenen Korrekturmassnahmen wurde von der Revision und vom Prüfungsausschuss des VR penibel verfolgt. Wer in Verzug war, hatte nichts zu lachen. Derart ausgestaltet, hatte die Revision eine hohe präventive Wirkung. Was nicht heisst, dass nie etwas passiert wäre. Einmal hat ein Buchhalter namhafte Summen abgezweigt und sich nach Brasilien abgesetzt. (Er ist wenig später reumütig zurückgekehrt und hat sich den Behörden gestellt.)

Die Expertenberichte über die Postauto-Affäre zeigen, dass die Post eine tüchtige interne Revision hatte. Nur war sie nicht unabhängig. Der Prüfbericht über die fragwürdigen Buchungsvorgänge wurde in eine interne Vernehmlassung gegeben, worauf kritische Bemerkungen eliminiert wurden. Der Revision war es dabei nicht wohl. Deshalb hat sie eine separate Aktennotiz über die Problematik erstellt, welche sie den obersten Verantwortlichen der Post zugestellt hat. Es bleibt ein Rätsel, weshalb es trotzdem zu einer kollektiven Amnesie sämtlicher Verantwortungsträger gekommen ist. 

Die Lehre ist klar. Es braucht keine neuen Steuerungsmassnahmen. VR und Geschäftsleitung müssen sich nur bewusst sein, dass eine wirksame und unabhängige interne Revision ihre Lebensversicherung ist.             

 


Benedikt Weibel ist ein Schweizer Manager. Von 1993 bis 2006 war er Vorsitzender der Geschäftsleitung der SBB und damit deren Generaldirektor.

Unsere Kolumnisten vertreten ihre eigene Meinung. Sie deckt sich nicht in jedem Fall mit derjenigen der Redaktion. 

 

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Kommentare

  • Martin Haslebacher, 26.07.2018 18:29 Uhr
    Benedikt Weibel erwähnt den Buchhalter, der sich nach Brasilien absetzte. Er hätte auch den SBB-Projektleiter erwähnen können, der über zehn Jahre lang Aufträge an zwei Firmen eines Freundes vergab, für Arbeiten, die nur zum Teil oder gar nicht erledigt wurden. Kürzlich wurde er vom Bundesstrafgericht verurteilt. Die lange Dauer wirft Fragen auf, wie gut die Kontrolle bei der SBB effektiv war.
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