Vor der Wahl war es offensichtlich, dass bei Talkrunden AfD-Vertreter ignoriert, ausgeklammert oder generell in die rechte Ecke gestellt worden sind. Anne Will moderierte erstaunlich einseitig, wenn ein AfD-Vertreter in der Runde sass. Dass es in der alternativen Partei Mitglieder hat, die im braunen Sumpf suhlen, ist unbestritten. Doch dürfen wir deswegen nicht alle Menschen, welche die AfD gewählt haben, pauschal abstrafen.
Nach der Bundestagswahl wird nun der Vorwurf laut, die einseitige Berichterstattung über diese Partei habe den Erfolg der AfD erst recht ermöglicht. Das Bashing der AfD erinnert mich an die Situation in Amerika, während und nach der Trumpwahl. Trump wurde medial gegeisselt. Trotzdem wurde er gewählt.
Die fragwürdige Wortwahl des Spitzenkandidaten Alexander Gauland am Wahlabend – «Wir werden Frau Merkel oder wen auch immer jagen» – wurde in zahlreichen Medien sofort zitiert und kritisiert. Der provokative Satz wurde auch in Gesprächen mit anderen Politikern ständig wiederholt. Jeder Fauxpas wird bei der AfD stets ausgekostet, so wie alle unkorrekten Formulierungen Trumps. Der scheidende grüne Bundestagsabgeordnete Hans-Christian Ströbele brachte es im ZDF auf den Punkt: «Ich empfehle allen, auch Ihnen hier beim ZDF oder auch bei der ARD, nicht jeden Furz oder jeden Spruch, den ein AfDler loslässt, selbst wenn der schlimm ist, tagelang, wochenlang immer wieder zu drehen und zu kommentieren. Sie haben die hochgebracht dadurch.»
Der Vorwurf, über die AfD und ihre Entgleisungen würden vor allem in ARD und ZDF zu viel berichtet, finde ich berechtigt. Die Frage muss heute gestellt werden, ob die grossen Sendeanstalten mitschuldig sind am Erfolg der AfD. Nach Carsten Reinemann, Professor für Kommunikationswissenschaft an der Ludwig-Maximilians-Universität in München, gilt: «Je häufiger eine Partei in den Medien vorkommt, je positiver über sie berichtet wird oder je stärker ihre Themen in Mittelpunkt stehen, umso eher kann eine populistische Partei profitieren.» Für ihn ist Medienerfolg gleich Wahlerfolg.
Der Verdienst der AfD ist es aber, dass die Partei Themen ansprach, die von den meisten Parteien bewusst unter den Teppich gekehrt worden sind. Das Flüchtlingsthema war im Wahlkampf tatsächlich eines der wichtigsten Themen, die in öffentlichen Diskussionen das Volk beschäftigt hatte. Die AfD sprach Unzufriedene konkret an. Sie wagte es, offen den Euro und die Überfremdung zu kritisieren. Doch wurde immer wieder versucht, die AfD-Kritiker abzustrafen und in die rechte Eck zu stellen. In einer Demokratie muss es erlaubt sein, die Meinung frei äussern zu dürfen, auch über unbequeme Themen. Doch die Fragen der AfD sind in Diskussionen meist abgewürgt worden. Es ist problematisch, wenn die Angst vor Überfremdung nur mit polemischen Argumenten niedergeschlagen wird.
Weil in zahlreichen deutschen Medien unbequemen Fragen tabu waren und Journalisten ihre Aufgabe vor allem darin sahen, die AfD abzustrafen, staute sich die Wut in der Basis erst recht auf. Sie rächten sich dann mit dem Wahlzettel. Medien haben eine wichtige Wächter- und Kontrollfunktion. Doch dürfen sie ihre Macht nie missbrauchen. Der Erfolg der AfD ist zu einem grossen Teil jenen Medien zu verdanken, die sich als Medienpriester verhalten hatten und Adjektive wie «sachgerecht» und «verhältnismässig» bewusst ausgeklammert hatten. Wichtig wäre es, die AfD in den offenen Diskussionen mit einzubinden. Ob dies nun im neuen Bundestag gelingt?
Marcus Knill ist Experte für Medienrhetorik und Autor der virtuellen Navigationsplattform für Kommunikation und Medien www.rhetorik.ch.
Der Autor vertritt seine eigene Meinung. Sie deckt sich nicht in jedem Fall mit derjenigen der Redaktion.
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Tragen Medien Mitschuld am Aufstieg der AfD?