BLOG

Wer hat Angst vor klaren Zahlen?

Michael Bornhäusser

Am Dienstag ist es wieder soweit. Die Semesterzahlen der TV-Reichweiten werden veröffentlicht. Für einige ein freudiges Ereignis, für einige eben nicht. Mediapulse hat 1840 «Käschtli» in die Haushalte gestellt, und die Marktforscher werten die Daten aus, die von diesen Geräten gemessen werden, rechnen hoch und kommunizieren die Zahlen. Die Ergebnisse dieser Auswertungen entscheiden in aller erster Linie über die zukünftigen Werbeumsätze der Sender und dienen auch zur Programmplanung. So weit – so gut.

Nun mag man sich fragen, warum bei über acht Millionen Einwohnern nur 1840 «Kätschli» eine statistisch relevante Reichweite ergeben können. So repräsentiert jedes der Geräte circa 4350 Einwohner. Ausserdem sind die Geräte nicht besonders schlau. So wird zeitversetztes Fernsehen (Catch-up-TV) nicht erhoben, die Geräte stehen an einem TV-Gerät im Haushalt, messen nur, was nicht zeitversetzt gesehen wird und messen auch die TV-Nutzung auf weiteren Geräten im Haushalt nicht. TV-Streaming ist ein Fremdwort, und speziell junge Zielgruppen sind nach wie vor unterrepräsentiert, da diese auf verschiedensten Geräten TV konsumieren und den höchsten Anteil an Catch-up-TV-Nutzern stellen.

Man könnte also erwarten, dass viel Kritik von Seiten der Veranstalter kommt und die Reichweitenmesser von Mediapulse unter Dauerbeschuss ob ihrer limitierten Datenerhebung stehen. Dies aufgrund der Tatsache, dass die Schweiz eines der Länder ist, welches die höchste IPTV-Penetration und damit eine perfekte Datenbasis hat. Swisscom TV sei Dank.

Nur, weit gefehlt! Das markführende SRF freut sich regelmässig über die klare Marktführerschaft, wenn auch die Zuschauer eher älter sind. Die einstrahlenden Privaten aus Deutschland haben SRF in den Werbeinnahmen erstmals überholt, für sie ist ebenfalls alles in Ordnung. Beide profitieren von ihrer Grösse, da sie auf circa 1200 Geräte in der Deutschschweiz kommen und munter hochgerechnet werden. Warum etwas ändern? Leidtragende sind die kleineren Anbieter, die durch die geringen Fallzahlen benachteiligt sind. Im WG 31, dem Verbreitungsgebiet von Telebasel, kommen gerademal 102 Erfassungsgeräte zum Einsatz, und das ist definitiv ungenau.

Die grossen Sender sind zufrieden und die Kleinen haben Angst. So hat mir ein Verantwortlicher eines Regional-TV-Anbieters wörtlich mitgeteilt, dass «eine Änderung, egal welche, weniger Zuschauer für seine Sender bedeuten könnte, und das gehe doch nicht». Mathematische Belehrungen über statistische Schwellenwerte meinerseits blieben leider ungehört.

Fakt ist, die aktuelle Reichweitenmessung ist ungenau (zu kleine Fallzahlen) und nicht an den Medienkonsum angepasst (Single Source Messung, kein Streaming, kein Catch-up-TV). Es wird nach Uhrzeiten und nicht nach Sendungen gemessen, eine aussagekräftige Programmanalyse und Planung ist auf Basis der Daten ebenfalls nicht möglich.

Doch es gäbe eine Lösung!

Swisscom und UPC haben circa zwei Millionen Setup-Boxen für IPTV in der Schweiz verteilt. Diese messen jede Nutzung, jede Sendung und zwar zeitgenau. Swisscom und UPC haben eine APP, die die Nutzung von Swisscom TV auf Smartphones und Tablets misst, das heisst, man hätte verschiedene Endgeräte des gleichen Kundenkontos in der Messsystematik.

Doch (noch) sitzen die Anbieter auf den Daten. Einzig der Vermarktungspartner Admeira hat seit April Zugriff auf «anonymisierte» Datensätze aus der Swisscom-TV-Nutzung. Wie also den Staatskonzern dazu bewegen, die Information an die Veranstalter und nicht nur an die Vermarkter weiter zu geben? Ein gutes Argument ist immer Geld. Mit Reichweitendaten dieser Qualität ist sicher auch Geld zu verdienen. Mediapulse lebt gut mit den Beiträgen, die die Veranstalter für die nicht optimalen Erhebungen bezahlen. Man könnte also für massiv bessere Daten ebenfalls Geld verlangen. Eine weitere Massnahme wäre politischer Druck, da es ja nicht so ganz die feine Art ist, dass der Staatskonzern Admeira und dem Partner Ringier die Zahlen zur Verfügung stellt, der Rest des Marktes aber in die Röhre schaut.



Michael Bornhäusser ist geschäftsführender Stiftungsrat von Telebasel.

Unsere Kolumnisten vertreten ihre eigene Meinung. Sie deckt sich nicht in jedem Fall mit derjenigen der Redaktion.

Kommentar wird gesendet...

Kommentare

  • Sandro Prezzi, 11.07.2018 19:32 Uhr
    Lieber Herr Bornhäusser Ihr Frust über die TV Reichweitenmessung als Stiftungsrat von Telebasel ist ja verständlich. Schön wäre aber, wenn Sie sich bezüglich Ihrer Kritik über die Datenerhebung und Auswertung schlau gemacht hätten, bevor Sie hier daran rummäckeln. Vieles was sie behaupten ist nämlich einfach falsch oder überholt (Verweis auf Siri Fischer, sie hat schon einiges richtigstellt). Dass die TV Reichweitenmessung zukünftig der wechselnden Technologie angepasst werden kann ist längst erkannt. Ob dies zu besseren Zuschauerzahlen für Telebasel führt, ist aber nicht gesichert. Bis dahin stellen die Mediapulse TV Zahlen die vom Markt akzeptierte Währungsforschung dar. Apropos: gute Mediaplaner schauen nicht nur auf Ratings sondern sehen auch in "Nullerratings" Kontaktpotential und buchen auch solche Sender.
  • Siri Fischer, 09.07.2018 08:26 Uhr
    Guten Tag Da stimmen einige Sachen im Kommentar nicht: Catch-up Nutzung wird komplett bis 7 Tage nach Ausstrahlung gemessen, die Nutzung wird nach Sendungen erhoben (und nicht nach Uhrzeit) und alle TV-Geräte in einem Messhaushalt bekommen ein ,Käschtli‘ und werden somit erfasst. Dass mit Return Path Data von z.B. Swisscom TV, upc, Sunrise TV zusätzliche Informationen gewonnen werden könnten, ist klar und deswegen werden auch Projekte in diese Richtung vorangetrieben. Zudem soll mit dem SMDH Swiss Media Data Hub die TV Nutzung über Online erhoben und die nestehenden Messlücken in diesem Bereich geschlossen werden. Ich bin sicher, Mediapulse wäre bereit Ihnen die Details über das bestehende Messsystem sowie die Ausbaupläne vorzustellen.
  • Giuseppe Scaglione , 06.07.2018 16:18 Uhr
    Guter Artikel! Vielen Dank, Herr Bornhäusser. Ohnehin kann man sich wundern, weshalb Kunden im Online-Zeitalter überhaupt noch fragwürdige Hochrechnungen akzeptieren. Bei der Radioforschung ist es übrigens nicht besser. Aber eben: Die Angst vor Veränderung lähmt die Branche. Vielleicht ist es aber auch Angst vor der Realität: Denn hart gemessene Online-Zahlen sind natürlich tiefer als Fantasiezahlen aus Hochrechnungen. Anbieter wie Spotify oder Netflix freut das Verharren von Radio- und TV-Sendern in der Steinzeit. Sie haben die für sie und ihre Kunden wichtigen Daten schon lange - ohne die Konkurrenz oder irgendeinen Verband zu fragen.
Kommentarfunktion wurde geschlossen

Die neuesten Blogs

Zum Seitenanfang20240426