12.06.2020

Frauen in den Medien

Was sich seit dem Frauenstreik getan hat

«Chance 50:50» bei SRF, «Equal Voice» bei Ringier und beim Tagi eine Co-Chefredaktion: «Punkto Gleichstellung kam einiges ins Rollen», sagt Patrizia Laeri (SRF) in einem Panel. Andrea Fopp (Bajour) findet: Chefs sollten Anreize schaffen und Journalistinnen fragen, was sie wollen.
von Michèle Widmer

Die Bilder vom 14. Juni 2019 bleiben in Erinnerung: Über 500'000 Menschen gingen in der Schweiz für die Gleichstellung von Mann und Frau auf die Strasse. Zahlreiche Journalistinnen marschierten mit. Unter dem Motto «No women, no news» wurde für mehr Frauen in Führungspositionen, Lohngleichheit, eine bessere Vereinbarkeit von Familie und Beruf, Schutz vor Belästigung sowie gegen Sexismus in der Berichterstattung demonstriert.

Ein Jahr später sind die Forderungen erneuert worden. In einem offenen Brief haben sich die Vertreterinnen des Medienfrauenstreiktags 2019 an die Schweizer Verleger gewendet (persoenlich.com berichtete).


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„Mier sind hässig, mier sind lut! NO WOMEN NO NEWS“ #medienfrauenstreik #medienfrauen #frauenstreik2019 #frauenstreik #womenrights #nowomennonews

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Wo stehen Schweizer Journalistinnen heute? Diese Frage wurde am Donnerstagabend an einer Onlinesession vom Reporter-Forum Schweiz diskutiert. Dazu sprachen Andrea Fopp, Co-Chefredaktorin von Bajour, Doris Kleck, Co-Inlandchefin CH Media, Patrizia Laeri, SRF-Moderatorin und baldige Chefredaktorin von CNN Money Switzerland, sowie Watson-Reporterin Sarah Serafin. Moderiert wurde die Session von Katharina Brenner vom St. Galler Tagblatt.

Etwas getan hat sich seit dem Frauenstreik bei SRF und Ringier. Die Medienhäuser haben die Initiativen «Chance 50:50» und «Equal Voice» lanciert. Das Ziel: Auf ihren Sendern, Onlineportalen und Zeitungen sollen mehr Frauen zu Wort kommen und die Berichterstattung so ausgewogener werden. Zum Start sprach Patrizia Laeri über das «Chance 50:50»-Projekt, welches basierend auf dem Vorbildprogramm «50:50 Project» der britischen TV-Station BBC lanciert wurde. Die Initiative gebe es mittlerweile in 20 Ländern und über 60 Organisationen, erklärte die Wirtschaftsjournalistin vor den rund 50 Zuschauerinnen und Zuschauern im Onlinepanel.

«Während wir zu Beginn nur 12 Prozent Expertinnen zählten, wuchs der Anteil rasch auf 40 Prozent», erzählte sie. Doch während dem Lockdown sei ein klarer Rückgang verzeichnet worden. Vor allem in stressigen Tagen falle man als Journalist zurück in alte Muster und überlege nur: Welcher Experte ist schnell zu haben? Sollen Expertinnen zu Wort kommen, seien die Vorgespräche oft aufwendiger. Frauen würden sich kritischer hinterfragen, was Laeri klar als gute Eigenschaft wertet. Beim Pendant-Projekt von Ringier war die Entwicklung ähnlich. Die Zahl der Expertinnen bei Blick und SonntagsBlick sei während dem Lockdown von 30 auf 25 Prozent gesunken, brachte Moderatorin Katharina Brenner ein.

Als vorbildlich hob Laeri Radio SRF hervor. «Die Radiosender schaffen es Monat für Monat ausgewogen zu berichten», sagte sie. Bei Radio SRF sei relativ früh eine Frau in der Führung gewesen, die weitere Frauen nachgezogen habe, erklärt sich Laeri dies. Auch das noch junge SRF-Format «Forward» zeige, das ausgewogene Berichterstattung möglich sei. Gerade junge Journalistinnen und Journalisten würden das anders angehen. Generell sei wichtig, dass man dranbleibe. «Ich bin eine Gender-Nervensäge», sagte sie, und fügte an: «Darum klappt das auch.»

Kritik an männlich geprägter Coronakrise

So eine «Gender-Nervensäge» gebe es bei CH Media nicht, brachte sich Doris Kleck, Co-Ressortleiterin Inland, ein. «Wir müssen uns mehr selbst an der Nase nehmen und uns bewusst die Frage stellen: Gäbe es auch eine passende Expertin?», sagte sie. Unter den Blattmachern verbreitet sei die Frage, ob man genug Frauen auf der Front zeige. Hiermit wolle man ausbügeln, dass das Produkt generell zu männerlastig sei. Für Kleck ist aber Besserung in Sicht: «Im Parlament sitzen nun 42 Prozent Frauen, da redet man automatisch mit mehr Frauen.»

Sarah Serafini kritisierte das stark männlich geprägte Bild der Coronakrise. Watson habe eine Epidemiologin aus Genf ausfindig gemacht und dann an ihr als Expertin festgehalten. Die anderen habe man ignoriert, weil sie ja in den anderen Medien so häufig vorkamen. Die Reporterin kritisierte zudem, dass sie in der Redaktion häufig als «Frauen-Beauftragte» angesehen werde. Es sei noch zu wenig in den Köpfen drin, dass die fehlende Gleichstellung ein gesellschaftliches Problem ist, das alle etwas angeht.

Basierend auf den Forderungen beim Frauenstreik brachte Moderatorin Brenner die Frage ein, ob sich bei den Verlagen etwas bei der Vereinbarkeit von Familie und Beruf verbessert hat. Andrea Fopp, Co-Chefredaktorin von Bajour, sagte: «In der Coronakrise hat sich in unserem kleinen Team klar gezeigt, dass diejenigen, die Kinder haben, total im Stress sind.» Bajour habe damals die Facebook-Gruppe «Gärn gschee» ins Leben gerufen, welche innert Kürze 15'000 Mitglieder hatte.

Auf politische Ebene habe es den Erfolg der Initiative zum Vaterschaftsurlaub gegeben, sagte Serafini. Sie habe zu wenig den Überblick darüber, wie es bezüglich Vereinbarkeit bei den verschiedenen Verlagen aussehe. Als positiv wertet sie allerdings, die gerade verkündete Co-Chefredaktion beim Tages-Anzeiger.

Verlage müssen neue Modelle finden

Andrea Fopp, die Bajour seit Kurzem zusammen mit Hansi Voigt leitet, äusserte sich sehr zufrieden mit dem Konzept der Co-Führung. «Bei kritischen Fragen kann man kurz Rücksprache nehmen», begründete sie. Im Mai hat Fopp zusammen mit ihrer Basler Journalistenkollegin Nora Bader das Buch «Frau macht Medien» herausgebracht. Darin erzählen 15 Frauen von ihrer eigenen Karriere und wie sie sich in dieser Männerbranche behauptet haben.

Basierend darauf sagte Fopp: «Frauen wären generell eher bereit, Co-Leitungen einzugehen, als allein Chefin zu sein.» Sie fügte an: «Wenn ein Medienunternehmen wirklich Frauen in der Führung haben will, dann muss es neue Führungsmodelle finden.» Denn, so sage es die ehemalige WOZ-Redaktionsleiterin Susanne Boos im Buch: Frauen wüssten genau, unter welchen Umständen sie Führung übernehmen würden. Man müsse sie einfach fragen.

«Wo seht ihr die grössten Baustellen?», fragte Brenner in die Runde. Es sei einiges gegangen, aber meistens auf freiwilliger Basis, so Fopp. «Meiner Meinung nach muss man mehr auf Verbindlichkeit setzen. Es braucht eine Frauen-Quote», sagte sie. Chefredaktoren und Ressortleiter müssten mehr Frauen anstellen und sie dann fördern. Serafini stimmte zu und ergänzte: «Man könnte dabei auch mit ökonomischen Interessen argumentieren.» Wenn mehr Frauen berichten würden, erreiche man mehr Leserinnen. Das würde sich sogar im Portemonnaie niederschlagen. Hier brachte sich Laeri ein: «Das war bei uns klar ein Argument. SRF verliert die Jungen und die Frauen. Wie sich zeigt, schalten Männer nicht ab, wenn mehr Frauen berichten. Allerdings schalten mehr Frauen ein.»

Lohnerhöhung für Väter

Kleck hielt fest, dass sie noch nie das Gefühl hatte, ausgebremst worden zu sein. «Ich habe auch Stellen bekommen, gerade weil ich eine Frau bin», sagte sie, und verwies auf ihre Anstellung beim Tages-Anzeiger. Für sie unabdingbar ist der Dialog. «Wir Frauen sind am Frauenstreik zusammen mit unserem Chefredaktor Mittagessen gegangen», sagte sie. Da habe sie erfahren, dass Männer, wenn sie Väter werden, eine Lohnerhöhung einfordern, weil sie jetzt ja eine Familie ernähren müssen. Das würde einer Frau nie in den Sinn kommen.

Laeri hat in ihrer Karriere andere Erfahrungen gemacht als Kleck: «Mein Glück war, dass ich ausgebremst wurde», sagte sie. Sie habe keinen Mentor gehabt und sich dann gesagt: Gut, jetzt musst du das selber machen. Schliesslich habe sie digital mehr Gas gegeben und sich eine Community aufgebaut. Sie erlebe jetzt eine neue Generation von Macherinnen, die ganz anders ticken. Es sei eine Generation, die sich traue, in dieser Angelegenheit Haltung zu zeigen und sich für ein emanzipatorisches Weltbild einsetzen. Vor ein paar Jahren wäre das noch nicht möglich gewesen.

Laut Laeri hat der Frauenstreik viel ins Rollen gebracht und einen grossen Impact gehabt. Dies zeigten Initiativen wie «Chance 50:50» oder «Equal Voice». Zudem sei die Edge-Zertifizierung entstanden, welche diversity-freundliche Unternehmen auszeichnet. RTS habe das Zertifikat bereits, bei SRF sei man dran.

Fopp richtete sich zum Schluss mit einem Appell an die Verleger und Chefredaktoren: «Schaut auf die Frauen». Es gehe nicht immer um die Frage, was Frauen fordern. Sondern eher darum, welche Anreize Redaktionen schaffen, damit Journalistinnen nicht wie so häufig mit 30 Jahren in die Kommunikation wechseln.

Die Autorin ist Mitglied im Verein Reporter-Forum Schweiz.



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